© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Helle und dunkle Wege
Cornelius Persdorf

Eine Anspielung auf Übervater Willy Brandt gehört bei Sozialdemokraten zur Pflichtübung: „Mehr Demokratie leben“ titelte der Beschluß unter Federführung von Heiko Maas. „Bei einer Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes ist derart der Eindruck entstanden, daß Einzelinteressen und Lobbyismus regieren. Immer stärker nehmen Lobby-Gruppen Einfluß auf die Politik“, hieß es im fünften Punkt des Leitantrages der SPD. Sogar die sonst eher nüchterne Internet-Initiative Lobbycontrol zeigte sich angetan über so viel „vielversprechende Beschlüsse für Transparenz und bessere Regeln in Sachen Lobbyismus“.

Der Antrag wurde im September 2011 beschlossen. Mittlerweile hat sich Heiko Maas vom saarländischen Oppositionsführer zum Bundesjustizminister gemausert. Aber Lobbykontrolle scheint noch immer keine Herzensangelegenheit der Regierungsparteien zu sein. Der Bundestag hat auf Druck der CDU/CSU- und SPD-Fraktion Berufung gegen ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts vom Juni eingelegt, das das Parlament zur Veröffentlichung der Namen und Firmen jener Lobbyisten verpflichtet, die es mit einem Hausausweis privilegiert hat. Dieser ermöglicht es seinem Träger, den Bundestag ohne viel Anmeldungsprozedere zu betreten. Damit ergeben sich naturgemäß bessere „Geschäftskontakte“ zu den Abgeordneten. Findige Interessenvertreter bleiben zwei Wege, um an den praktischen Türöffner zu kommen: Der „helle“, transparente Weg führt über die Bundestagsverwaltung, die alle Namen und Firmen veröffentlicht. Der dunkle Pfad führt über die parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktionen. Immerhin tausend Wirtschaftsagenten haben laut Süddeutscher Zeitung diesen Weg gewählt – bei 630 Abgeordneten. Ihre Namen und Arbeitgeber bleiben der deutschen Öffentlichkeit jedoch bisher verborgen. 

Und sie bewegt sich doch: Völlig überraschend gab die SPD ganze vier Jahre nach den großen Worten von 2011 nun eine vollständige Liste der Öffentlichkeit preis, nachdem Grüne und Linkspartei ihre verhältnismäßig geringfügigen Wirtschaftskontakte bereits freiwillig veröffentlicht hatten. Den Sozialdemokraten wurde der öffentliche Druck von Kontroll-Initiativen wie abgeordnetenwatch.de einfach zu groß – anders als der Union, die sich immer noch der Nachvollziehbarkeit verweigert. Den Internet-Lobbywächtern zufolge hat die Bundestagsfraktion der SPD brisante Gesprächspartner: Beispielsweise verfügt ein Vertreter des Rüstungskonzerns Thyssen-Krupp über den begehrten Hausausweis – mit freundlicher Unterstützung jener Partei, zu der Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel gehört. Gabriel verlautbarte im Mai viel von seiner Absicht, die Rüstungsexporte einzuschränken – während die Zahl der Einzelgenehmigungen für Rüstungsausfuhren in der ersten Jahreshälfte um 50 Prozent zunahm. Auch Facebook findet sich auf der Liste – just die Firma, die Minister Maas im Kampf gegen „rechte Hetze“ im Internet einspannen will.