© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

In der Asyl-Zwickmühle
Baden-Württemberg: Die Union fürchtet angesichts der Flüchtlingskrise um ihre Rückkehr an die Macht nach der Landtagswahl 2016
Michael Paulwitz

Verhagelt Angela Merkel der baden-württembergischen CDU zum zweiten Mal die Landtagswahl? 2011 besiegelte ihre Energiewende den Rauswurf der jahrzehntelang regierungsgewohnten Südwest-Union und ihres unglücklich agierenden Kurzzeit-Ministerpräsidenten Stefan Mappus, der den von der Kanzlerin nach Brüssel weggelobten Günther Oettinger abgelöst hatte, aus der Villa Reitzenstein. 

Fünf Jahre später liegt die CDU in Umfragen alleine gleichauf mit Grünen und SPD zusammengenommen. Doch die scheinbare Stärke trügt: Die sture Weigerung der Kanzlerin, ihre Asylpolitik der offenen Tore zu revidieren, läßt die Basis verzweifeln, vergrault die Wähler und droht den Landesverband vor dem entscheidenden Urnengang im März 2016 zu spalten.

Vierzig Prozent gibt das Meinungsforschungsinstitut Insa der oppositionellen CDU, 24 den vom Amtsbonus ihres Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann profitierenden Grünen und nur noch 16 Prozent der vom Mitregieren ausgezehrten SPD. Mit der AfD und dem knappen Einzug von FDP und Linken könnte im März ein Sechs-Parteien-Landtag in Stuttgart zustande kommen, in dem keine Regierung gegen die Union möglich wäre. 

Fragt sich nur, mit wem der jetzige Fraktionschef und Spitzenkandidat Guido Wolf dann regieren soll. Die FDP muß schwachbrüstig um den Einzug zittern, eine Koalition mit der jetzt schon an der Zehn-Prozent-Marke kratzenden AfD hat Wolf kategorisch ausgeschlossen: Die habe in der Asylkrise nur „Emotionen“ und keine „politischen Antworten“ zu bieten. Die hat die Union allerdings noch weniger, weswegen ihr Vorsatz, alles zu tun, um den Landtagseinzug der AfD zu verhindern, auch kaum aufgehen dürfte.

Bei den Wahlkämpfern herrscht Alarmstimmung: Nicht nur auf Dresdener Pegida-Kundgebungen, auch in den Kommentarspalten von Facebook- und Netzseiten der Südwest-CDU wird die Parteichefin als „Volksverräterin“ tituliert. Die Stimmung kippt. Stammwähler sagen altgedienten Landtagsabgeordneten bei Veranstaltungen offen ins Gesicht, daß sie diesmal für die AfD stimmen würden. Der aus Baden stammende Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warnt in Bundesparteigremien vor einem dramatischen „Vertrauensverlust“ an der Basis.

Erfolg der Republikaner 1992 als Warnung

Für den sonst so wählerstarken Vorzeige-Landesverband ein fast unlösbares Dilemma: Begnügt er sich in der Asylkrise damit, die Sorgen und Nöte der überforderten Bürger und Kommunen nach Berlin weiterzumelden, drohen Wahlkämpfer und Wähler frustiert zu Hause zu bleiben; geht er zu sehr auf Distanz zur Kanzlerin, liefert er ein chaotisches Erscheinungsbild und riskiert zudem, je später er kommt, der AfD-Konkurrenz erst recht die Wähler zuzutreiben. Den älteren Parteienrecken steckt der Schrecken von 1992 noch in den Knochen, als die CDU den Aufstieg der Republikaner in letzter Minute mit härteren Aussagen zum damaligen Asyl-Chaos bremsen wollte und die neue Partei zweistellig in den Landtag einzog.

Der Riß zieht sich quer durch die Parteiebenen. Während Landeschef und Schäuble-Schwiegersohn Thomas Strobl Loyalitätsadressen nach Berlin schickt und Merkel als „Fels in der Brandung“ preist, fordert JU-Landeschef Nikolaus Löbel nach CSU-Vorbild einen „Aufnahmestopp“ und warnt vor der Gefährdung der „Zukunft Deutschlands“ und der „Unterwanderung“ des Landes. Auf den von zahlreichen baden-württembergischen Kommunalpolitikern unterzeichneten „Brandbrief“ an die Kanzlerin antworteten 36 CDU-Landräte und -Oberbürgermeister mit einem „offenen Brief“, der sich demonstrativ hinter Merkels Asylpolitik stellt. Und während der südwürttembergische Bezirksvorsitzende Thomas Bareiß, der im Bundestag auch schon gegen die Euro-„Rettungspolitik“ opponiert hatte, im Oktober mit Forderungen nach „Grenzsicherung“ und Leitkultur wiedergewählt wurde und den ungarischen Kultusminister und früheren Tübinger Studenten Zoltán Balog zum Parteitag eingeladen hatte, verteidigte zur gleichen Zeit sein südbadischer Amtskollege Andreas Jung auf seinem Bezirksparteitag die „Willkommenskultur“ der Kanzlerin und kritisierte die ungarische Politik als „zynisch“.

Frontmann Guido Wolf und der integrationspolitische Sprecher Bernhard Lasotta üben sich im Seiltanz über den Klüften. Mit der Forderung nach Einschränkung des Familiennachzugs für Asylbewerber und eher symbolpolitischen Vorschlägen wie dem von den rheinland-pfälzischen Nachbar-Wahlkämpfern ins Spiel gebrachten Burka-Verbot, das auf dem Landesparteitag im Dezember beschlossen werden soll, versucht Wolf Asylskeptiker wieder einzufangen. Unzufriedene Funktionäre unterstellen Wolf, er fahre in der Asylkrise wie auch bei der Kritik an grün-roter Gender-Klientelpolitik mit angezogener Handbremse, weil er sich die schwarz-grüne Regierungsoption offenhalten will. Vergrault er aber zu viele Wähler durch Taktieren und Lavieren, könnte auch das zur Milchmädchenrechnung werden.