© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

Der Flaneur
Gastronomie im System
Claus-M. Wolfschlag

Also doch nicht zu ‘Vapiano’?“ fragt er. „Das System ist dort mies“, antworte ich. „Während du deine Pizza ißt, warte ich vermutlich noch auf die Pasta.“ „Dann also in die ‘L’Osteria’?“ fragt er. „Ja, besser das“, antworte ich. „Du wolltest ja weder ins ‘Alex’ noch ins ‘Louisiana’“, sagt er. „Ich wollte halt keinen Burger“, antworte ich.

Fünf Minuten später betreten wir den Raum. Stimmengewirr. Lange Theke. Dunkle Holztische. Von der Decke mit den breiten Abluftrohren hängen Reihen schwarzer Fabriklampen im Bauhausstil. Robustes Fischgrätparkett. Ich überlege, ob es aus Echtholz ist. „Du bist doch immer gegen die Globalisierung. Aber mit System­gastronomie hast du kein Problem“, sagt er. „Ich bin wohl ein Durchschnittsmensch“, antworte ich.

„Irgendwann, wenn es so weitergeht, wird jeder Fleck der Erde         austauschbar sein.“

Schließlich ist das Wesen der Systemgastronomie, den optimalen Geschmacks-Mittelwert der Zielgruppe zu treffen, denke ich. In vielen Tests muß ermittelt worden sein, welches Ambiente die meisten Restaurantbesucher bevorzugen. Die Auswahl der Tische, das Speisenangebot, die Klangkulisse, die Raummaße. Alles ist vermutlich auf diesen quantitativ höchsten Wohlfühlfaktor ausgerichtet. Es fehlen Geschmacksverirrungen, die undurchdacht geführten Gaststätten oft eigen sind: vergilbte Tapeten, schlechte Zeichnungen im volkstümlichen Stil, nachgebaute Bauernstühle. All diese Augenschocks, die der abgestumpften Stammkundschaft nicht mehr auffallen, fehlen hier ebenso wie jede Originalität.

„Die Austauschbarkeit stört, doch ist sie die logische Folge der Globalisierung“, sage ich. „Irgendwann, wenn es so weitergeht, wird jeder Fleck der Erde austauschbar sein. Dann ist das Ziel der ‘Einen Welt’ erreicht, das viele so herbeisehnen. Wenn es dann soweit ist, möchte ich wenigstens nicht bei ‘Vapiano’ sitzen, sondern lieber an einem dunklen Holztisch in der ‘L’Osteria’-Filiale mit einem Ramazotti meine Trauer ertränken.“ „Aber vorher gehen wir noch zu ‘Starbucks’ auf einen Kaffee“, sagt er.