© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

Mussolinis Balkandesaster
Vor 75 Jahren begann Italien den Krieg gegen Griechenland: Der Feldzug mündete in eine Blamage
Wolfgang Kaufmann

Italien war schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts bemüht, die Vorherrschaft im östlichen Mittelmeer und auf dem Balkan zu erlangen. In Verfolgung dieses Zieles kam es im April 1939 zur Annexion des benachbarten Königreiches Albanien, wodurch eine gemeinsame Grenze mit Griechenland entstand. Das wiederum rief die Briten auf den Plan, welche um ihre Machtstellung im Nahen Osten fürchteten, da Italien im Spätsommer 1940 auch noch in Britisch-Somaliland und Ägypten eingefallen war. 

In dieser Situation ordnete Mussolini am 15. Oktober 1940 einen Präventivschlag an, um der Besetzung Griechenlands durch Commonwealth-Truppen zuvorzukommen und sich im übrigen auch gegenüber Hitler zu profilieren, der von dem Angriff „erst aus den Zeitungen erfahren“ sollte.

Angriffszeitpunkt zur Regen- und Schlammperiode

Das Unternehmen „Emergenza G“ („Fall Griechenland“) begann dann auch kurz darauf, nämlich am 28. Oktober. Zuvor hatte der Duce noch ein Schein-Ultimatum an den Athener Ministerpräsidenten Ioannis Metaxas gesandt, in dem er freien Durchmarsch für italienische Truppen zum Zwecke der Besetzung nicht näher spezifizierter „strategischer Punkte“ in Griechenland forderte, woraufhin Metaxas kurz und bündig mit „Nein!“ antwortete. 

Diese harte Haltung resultierte aus der Hoffnung, Italien militärisch gewachsen zu sein. Und tatsächlich standen den Angreifern unter dem Oberbefehl von Generalleutnant Sebastiano Visconti Prasca nur acht Divisionen zur Verfügung, während die Griechen nach der allgemeinen Mobilmachung 15 Divisionen aufbieten konnten. Außerdem fehlten auf italienischer Seite Transportmittel, Geschütze und Panzer, und es kam zu vielerlei Querelen zwischen den einzelnen Kommandeuren. Ebenso war der Angriffszeitpunkt extrem unklug gewählt: Im Oktober beginnt auf dem Balkan erfahrungsgemäß eine Regen- und Schlammperiode, welche das sommerliche Schönwetter ablöst.

Deshalb fraß sich die Offensive der Mussolini-Truppen dann auch schon Anfang November in der grenznahen Epirus-Region fest, woraufhin Visconti Prasca vom früheren Vize-Kriegsminister Ubaldo Soddu ersetzt wurde. Wenig später starteten die Griechen eine Gegenoffensive. In deren Verlauf überschritten die Armee-Abteilung Westmazedonien und das III. Korps am 17. November 1940 die griechisch-albanische Grenze und eroberten kurz darauf Korca in Südostalbanien. Zeitgleich drangen das I. und II. Korps bis Himara vor, so daß zum Jahresende das gesamte südliche Albanien unter griechischer Kontrolle stand.

Damit hatte sich Italien auf ganzer Linie militärisch blamiert, was zum Rücktritt von Generalstabschef Marschall Pietro Badoglio führte. Andererseits waren die Griechen aber auch nicht stark genug, ihrerseits weiter nach Norden vorzustoßen. Zudem entblößten sie ihre Grenze zu Bulgarien, das dann am 1. März 1941 dem Dreimächtepakt beitrat und der Stationierung deutscher Truppen zustimmte, was eine Intervention der Wehrmacht hochwahrscheinlich machte. In Erwartung derselben startete Mussolini, der um seine Beute fürchtete, neun Tage später eine erneute Offensive, die „Operation Primavera“, welche er diesmal persönlich leitete. Doch auch das und der nunmehrige Einsatz von 17 frischen Divisionen änderte nichts an der Patt-Situation im albanisch-griechischen Grenzgebiet.

Dann sorgte der deutsche Balkanfeldzug, der am 6. April 1941 begann, für völlig neue Verhältnisse: Binnen weniger Wochen kapitulierten die griechischen Truppen, die sich zu spät aus Albanien zurückgezogen hatten, sowie auch alle anderen Armeeverbände Athens. Kurz darauf, am 30. April, war die Besetzung des griechischen Festlandes einschließlich des Peloponnes abgeschlossen.

Viele Massaker unter der italienischen Besatzung

Im Anschluß hieran teilten Deutschland, Italien und Bulgarien Griechenland in drei Besatzungszonen auf: Während Athen, Piräus, der Raum um Thessaloniki, ein Streifen an der türkischen Grenze und einige kleinere Inseln sowie der größte Teil Kretas an Deutschland fielen und Bulgarien Ostmazedonien und Westthrakien erhielt, sicherte sich Italien trotz seines militärischen Totalversagens den gesamten Rest des Landes. Ebenso versuchte Mussolini die Bildung einer Kollaborationsregierung in Athen zu verhindern, weil sein Trachten dahin ging, Griechenland nicht nur zeitweise zu besetzen, sondern zu zerstückeln und dann zu wesentlichen Teilen Italien einzuverleiben. 

Damit scheiterte er aber am Widerstand der deutschen Seite, welche es ablehnte, den griechischen Staat zu eliminieren. Trotzdem errichteten die Italiener in aller Stille sogenannte „Vorbehaltszonen“, die schon einmal der Verwaltung Roms unterstellt wurden.

Ebenso installierte Italien ein hartes Besatzungsregime, das dem der Wehrmacht und im übrigen auch dem der Bulgaren in nichts nachstand. Sichtbarster Ausdruck dessen sind die zahlreichen Massaker an der Zivilbevölkerung, welche in diesem Falle nicht nur Vergeltung für Partisanenangriffe, sondern auch ethnische Säuberungen waren. Der bekannteste Massenmord dieser Art fand am 16. und 17. Februar 1943 in den Dörfern rund um Domenikon in der Nähe des Olymp statt. Damals erschossen Soldaten der 24. Infanterie-Division Pinerolo 175 Menschen, was aber nur die Spitze des Eisbergs darstellte, denn viele der weiteren Exekutionen des Frühjahrs und Sommers 1943 wurden niemals dokumentiert. Dennoch konnte die Historikerin Lidia Santarelli nachweisen, daß die italienischen Besatzungstruppen über 400 Dörfer zerstörten, wobei Tausende Zivilisten ums Leben kamen. Pläne der griechischen Regierung, hierfür Reparationen von Rom zu fordern, verliefen allerdings sämtlich im Sande.