© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

Eine grausame Schönheit
Natur und Theater: Yadegar Asisi zeigt sein neues Panoramabild „Great Barrier Reef“ in Leipzig
Sebastian Hennig

Mit seinen Panoramabildern knüpft Yadegar Asisi an die großen Bildmächte von Natur und Geschichte an. Diese zweigen aus einer Wurzel und haben in ihrer Erscheinungsweise viele Gemeinsamkeiten. So bedeutet die Naturgeschichte Entwicklung und Formwandel. Die Geschichte der Völker offenbart sich oftmals wie eine Naturmacht mit zerstörerischer und erneuernder Elementarkraft.

Zu Jahresbeginn wurde in Dresden ein Monumentalgemälde von der Zerstörung der Stadt eröffnet (JF 8/15). „Dresden 1945 – Tragik und Hoffnung einer europäischen Stadt“ zählte während der vier Monate seiner Dauer 165.000 Gäste. Inzwischen ist an dieser Stelle wieder eine Fata Morgana der Barockstadt auf ihrem Höhepunkt zu sehen. Jährlich wird der Wechsel zwischen Dresden 1945 und 1756 erfolgen. Nach einem dreiviertel Jahr spielerischer Eleganz ist drei Monate lang die vergehende Stadt zu sehen. Im westöstlichen Divan hat Goethe das Atemholen als Metapher für das menschliche Sein dargestellt: „Die Luft einziehen, sich ihrer entladen; jenes bedrängt, dieses erfrischt; so wunderbar ist das Leben gemischt.“ 

„Great Barrier Reef – Wunderwelt Korallenriff“ zeigt seit dem 3. Oktober in Leipzig diese dunkle und helle Seite in einem Bild vereint. Die drückenden Geräusche der Sauerstoffflasche weichen einer schwebenden Musik. Der Komponist Eric Babak hat die Effekte seiner Klänge auf lokale Lautsprecher verteilt. Wie bei Prokofjews „Peter und der Wolf“ hören wir eine dunkle drohende Musik. Aus dieser Richtung zeigt sich auf dem Bild der schnittige Kopf eines zwischen zwei Klippen herannahenden Hais.

Erst der Eindruck, dann die Einordnung

Yadegar Asisi schildert die Arbeit am Unterwasserbild als eine Erholung von der Last der Geschichte. Er hat dabei genossen, sich einem Thema wieder einmal beschwingt annähern zu können. Am Ende der Pressekonferenz unterstreicht er mit eindringlichen Worten seine pädagogische Absicht. Die Einfachheit und das Selbstverständnis des Schauens von einem ruhigen Standpunkt ist unter Reflexionen verschüttet. Viele hätten ihm vom Panorama des zerstörten Dresden seinerzeit abgeraten. Zurückgezogen auf die unanfechtbare Position des Ausländers ist der Perser seiner Intuition gefolgt. Die Bestätigung dafür erhielt er vor allem durch die Besucher. Der Zuspruch gleicht dem Applaus auf der Bühne. Die Betrachtung der Panoramen ist kein intellektueller Vorgang. Bildungsunabhängig werden alle Teile der Gesellschaft davon erreicht. 

Die Einleitung zu seinem neuesten Streich beginnt er in Leipzig mit der Feststellung: „Ich glaube, daß wir in Deutschland in einem der tollsten Länder der Welt leben.“ Die Besonnenheit und Kraft, mit der man sich hier gegen den Wahn der Welt behaupte, böte hervorragende Arbeitsbedingungen. Derart begünstigt, fragt er rhetorisch, ob es opportun sei, zu tun, was er tut. Und ganz klar antwortet er sich selbst: „Ja, man darf.“

Die sinnliche Überwältigung vertreibt nicht das Nachdenken, sie weckt es und regt es an. Das geschieht so in der richtigen Reihenfolge. Erst der Eindruck und dann die Einordnung. Der stummen unbewegten Darstellung komme heute noch mehr Bedeutung zu als im 19. Jahrhundert. Dem ruhigen Blick auf etwas sehr Komplexes weist Asisi eine große Bedeutung zu. Wer in der Kneipe zwei Leute beim Gespräch beobachtet, wäre bereits der Zeuge eines sehr komplexen Vorgangs. Er empfiehlt, aus dem Fenster auf ziehende Wolken zu sehen, auf das Meer.

Gedrängel unter Wasser wie vor der Mona Lisa

Am Eingang des Panometers wird ein Filmbild gezeigt. Unter einem niedrigen Horizont rollt Welle auf Welle heran, wie auf Caspar David Friedrichs Gemälde „Mönch am Meer“. Dahinter streckt sich eine bergige Landschaft. Auf dem Sand liegen Korallenbruchstücke, wie sie das Wasser aus den Tiefen heraufgebracht hat. Mit dem Geheimnis dieser Relikte hat das Abenteuer begonnen. In seiner Hand hätten sie Asisi zur Frage herausgefordert: „Wer bist du? Woher kommst du?“

Daß er selber als Taucher das riesige Riff vor der australischen Küste erkundet und fotografiert hat, will er nicht überbewertet wissen. Die meisten Bilder, die so entstehen, seien zufällig und chaotisch. Es gebe heute schon Gedrängel an den berühmtesten Punkten unter Wasser, wie vor der Mona Lisa im Louvre. Die Möglichkeiten der Technik seien zwar fantastisch. Aber es gehe letztlich um Inhalte.

Unterwasserfotografie arbeitet mit Kunstlicht und Nahaufnahmen. Eine weite Umsicht, wie sie das Panorama in Leipzig ausbreitet, ist dem menschlichen Auge in natura nie gegeben. Die beschränkte Taucherperspektive ist hier auf ein Fußballfeld ausgeweitet. Von allen bisher entstandenen Panoramabildern ist hier die Illusion einer umfassenden Räumlichkeit am überzeugendsten gegeben. Der weite Blick geht dennoch nicht durch kristallklare Fluten. Er ist von einer Trübung umfangen, welche das gewaltige räumliche Ausgreifen des Ozeanraums eindrucksvoll veranschaulicht. Durch Zeigen, Andeuten und Verbergen wird der ungeordnete Natureindruck in eine sinnliche Wirklichkeit gehoben.

Zwischen Authentizität und Wirklichkeit

Die Herkunft des 1955 in Wien geborenen Iraners aus einer Kultur der Metaphern und Chiffren ist eine gute Basis für die Überhöhung der Wirklichkeit im Panorama. Asisi weiß um den feinen Unterschied zwischen Authentizität und Wirklichkeit. Der Kult des Authentischen macht uns blind für das Konkrete. Im Hinblick auf die Sensationen des Himalaya und Amazonas meint er lapidar: „Der Auenwald in Leipzig ist auch ganz gut.“

Die Meeresbiologin Moshira Hassan hat als Beraterin am neuen Panorama mitgewirkt. Sie betont, daß die Entscheidung für eine emotionale und ästhetische Wahrnehmung der Natur für sie ausschlaggebend für die Teilnahme war. In diesem Ansatz sieht sie die einzige Möglichkeit zum Schutz der Riffe. In seinem letzten Satz knüpft Yadegar Asisi an diesen Gedanken an, indem er bekräftigt: „Ich kann etwas nicht verteidigen, wenn ich es nicht liebe.“ 

Der Betrachter erblickt um sich ein riesiges Vexierbild, in dem viel versteckt ist. Sind es Fische oder Blätter? Erst auf den zweiten Blick entschlüsselt sich die Mimikry der Wesen. Oben an einer der Korallenfelsnadeln stiebt ein Schwarm auseinander und sieht dabei aus wie ein fabelhafter Greif, der sein Gefieder spreizt. Es ist ein umfassendes Landschaftsbild. Zwei Korallentürme ragen in die Höhe. Gegenüber erhebt sich ein Massiv. Wie von Sukkulenten, riesigen Bovisten und Farnen überwuchert wirkt dieser Lebensraum. Unten ist ein kleinerer Hügel zu erblicken, dem das Wachstum zum Turm noch bevorsteht. Eine Seeschildkröte stößt sich in die Tiefe ab. Dazwischen wuseln Taucher als kleine Dissonanzen in der homogen-vielgestaltigen Unterwasserwelt. Mit einem Arpeggio stieben zinnoberrote Fischlein auseinander. Licht bricht durch, und die große Wand widerspiegelt den Sonnenschein. Wir erblicken eine bodenlose, grausame Schönheit, die das Gegenteil vom betrügerischen Kitsch der Naturfilme bezeichnet. Hier liegt die Regie offen zutage. Das Panometer ist Natur und Theater zugleich. 

Das Panorama „Great Barrier Reef“ ist bis zum 18. September 2016 im Panometer Leipzig, Richard-Lehmann-Str. 114, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Sa./So. bis 18 Uhr, zu sehen. Der Eintritt kostet 11,50 Euro (ermäßigt 10 Euro, Kinder unter 6 Jahren frei). Telefon: 0341 / 35 55 34-0

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