© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

Jörg Baberowski. Der Berliner Historiker besticht durch seinen Realismus
Der Nonkonforme
Karlheinz Weißmann

Die erste Frage an Jörg Baberowski im FAZ-Interview zielte darauf ab, ob er sich als „Rechtsintellektueller“ betrachte. Er hat den Verdacht zurückgewiesen, aber doch so, daß seine Verortung in der Mitte nicht dahingehend mißverstanden werden kann, er wolle im Juste milieu untertauchen.

Konformismus ist die Sache des Historikers Baberowski nicht, eher die Unbestechlichkeit des Urteils, was um so schwerer wiegt, als er regelmäßig auf vermintem Gelände – dem Schlachtfeld des Europäischen Bürgerkriegs – „unterwegs“ ist. Vor allem seine Untersuchungen zu Stalin und zum System des Stalinismus haben dazu beigetragen, wieder ins Gedächtnis zu rufen, wo der Ursprung des großen Konflikts gesucht werden muß, der das 20. Jahrhundert geprägt hat. Dabei hebt Baberowski nicht nur die persönliche Motivation des Terroristen hervor, sondern auch die Rationalität seiner Aktionen, das heißt die Bedeutung des Schreckens als Herrschaftsinstrument, um eine gefügige Masse zu erzeugen. Eine Interpretation, die keinen Platz mehr läßt für irgendwelche Versuche, einen „guten“ von einem „bösen“ Bolschewismus zu unterscheiden und die strukturelle Nähe zum Widerpart unterstreicht.

Der Schritt hin zu solchen Positionen dürfte Baberowski kaum ganz leicht gefallen sein. Soweit sich das den Anmerkungen zur Person des 1961 in Radolfzell am Bodensee Geborenen entnehmen läßt, der heute einen Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin bekleidet, hat er nicht nur die generationentypische politische Prägung erhalten, sondern sich ursprünglich selbst auf die Seite der äußersten Linken geschlagen. Der Kommunistische Bund Westdeutschlands (KBW), dem er als Schüler angehörte, galt gerade wegen seiner Ausrichtung am China Maos auch als Vertreter einer authentischen Linie, die jede Distanzierung vom stalinistischen Erbe ablehnte. Baberowski hat allerdings betont, wie abstrakt das Revolutionsgerede stets geblieben sei, im Grunde wie die ganze Doktrin der Achtundsechziger lediglich dazu da, sich selbst in die überlegene Position zu setzen. Insofern erscheint ein Satz in dem erwähnten Gespräch – „Ich habe meinem Vater unrecht getan“ – nicht nur menschlich berührend, sondern auch aufschlußreich, weil das Unrecht darin bestand, moralisch über jemanden zu richten, von dessen historischer Erfahrung man selbst nichts verstand, mehr noch: deren Verständnis man ausdrücklich und bewußt verweigerte.

Das sind Schritte zu einer ungewohnten Vergangenheitsbewältigung. Bemerkenswerter ist vielleicht noch, daß Baberowski mittlerweile sogar das generelle Fehlen solcher Erfahrung in einer postheroischen Gesellschaft für problematisch, möglicherweise gefährlich hält, da dies unfähig mache, den Ernstfall zu bewältigen. Das ist dann allerdings eine sehr weitreichende Annäherung an heute oftmals als verfemt geltende Positionen.