© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

Bei TTIP geht es weder um Chlorhühner noch nur um Freihandel
Steuerzahler, Obacht!
Jörg Fischer

Für das Regierungszentralorgan FAZ waren es nur „über hunderttausend Menschen“, die am vorigen Samstag in Berlin gegen die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) demonstriert haben. Daß die Polizei von 150.000 und die Veranstalter von 250.000 sprachen – geschenkt. Doch die „besseren Argumente“ sprechen weder für das geheim verhandelte TTIP noch für das unterschriftsreife kanadische Pendant Ceta oder das „Dienstleistungsabkommen“ Tisa.

Die Anti-TTIP-Kampagne ist auch nicht „auf dem braunen Mist gewachsen“ (Spiegel), nur weil die AfD, die FPÖ, der Front National oder die US-Tea-Party, Donald Trump und der Reagan-Konservative Pat Buchanan mit unterschiedlichen Argumenten warnen. Auch der demokratische Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders glaubt – mit Blick auf den Nafta-Vertrag zwischen den USA, Kanada und Mexiko – nicht an die Arbeitsplatz- und Einkommensversprechen. Und die Berliner Kundgebung wurde von eher linken Organisationen getragen.

Von den grünen oder DGB-Maulhelden sollte sich niemand täuschen lassen – die werden dem politisch-medialen Mainstream folgen. Auch das Demonstrationsmotto „Für einen gerechten Welthandel“ und TTIP-Witze wie Chlorhühnchen lenken nur ab. Zahlreiche US-Standards übertreffen sogar die in der EU, wie das VW-Dieseldesaster vorführt. Deregulierung, Privatisierung oder die Aushöhlung des Datenschutzes laufen auch ohne TTIP – und Angriffe auf die Meinungsfreiheit kommen nicht aus Washington, sondern aus Berlin und Brüssel. Gesetze wie der Buy American Act zeigen, daß US-Politikern ihr Land mehr Herzen liegt, als alles Gerede um Globalisierung.

Gegen die Abschaffung von Zollhürden spricht nichts, aber „zentrale Elemente des geplanten Abkommens wie die Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren (ISDS), die Vereinheitlichung von Normen und Standards sowie die Markt­öffnung im Bereich der Kultur, der Daseinsvorsorge und der öffentlichen Ausschreibungen nutzen vor allem den Interessen globaler Konzerne, die mit besserer Kapital- und Personalausstattung kleine und mittelständische Unternehmen vom Markt verdrängen werden“, warnt die Initiative „KMU gegen TTIP“, die damit den Nagel auf den Kopf trifft.

Die ISDS-Paralleljustiz könne „Gesetze und Regulierungen nicht kippen, sondern höchstens Entschädigungszahlungen beschließen“, hält der Großindustrieverband BDI dagegen – und verrät damit, worum es eigentlich geht: den Steuerzahler für fiktive entgangene Milliardengewinne haften zu lassen, wenn dem Volkswillen entsprechende Gesetze oder Parlamentsbeschlüsse von Konzernlobbyisten ausnahmsweise nicht verhindert werden können.

Arbeitsgemeinschaft „KMU gegen TTIP“:  www.kmu-gegen-ttip.de