© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

Das blaue Wunder blieb aus
Wien: Die FPÖ konnte zwar deutlich zulegen, doch die Sozialdemokraten verloren dank Leihstimmen aus anderen Lagern weniger als erwartet
Michael Link

Eher nachdenklich zeigte Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) das Siegeszeichen, während sein freiheitlicher Herausforderer Heinz-Christian Strache lachend den Daumen nach oben streckte. Ein Duell mit zwei Siegern? „Ich nehme dieses Ergebnis mit einer Mischung von Respekt und Demut entgegen“, bekannte Häupl nach der Wiener Landtagswahl.

Das blaue Wunder für Wien war also, wenngleich nicht ohne ein blaues Auge für die rot-grüne Stadtregierung, ausgeblieben. Trotz eines Minus von knapp fünf Prozent kann die SPÖ das Wahlergebnis als Sieg darstellen, zumal der Abstand zur zweitplatzierten FPÖ mit rund neun Prozent unerwartet groß war.

Dabei hatten die Umfragewerte offenbar vor allem infolge der Füchtlingsthematik und der österreichischen Asylpolitik den Freiheitlichen bis kurz vor der Wahl große Hoffnung auf die selbst angekündigte „Oktoberrevolution“ in der Bundeshauptstadt gegeben.

SPÖ sieht ihre Flüchtlingspolitik bestätigt 

Die Wahl zwischen mehreren Parteien schien tatsächlich gerade in den Tagen vor der Wahl im Schatten der Frage „Bürgermeister Häupl oder Strache?“ gestanden zu haben. Infolge des zum „Duell“ zwischen Bürgermeister Michael Häupl und Heinz-Christian Strache stilisierten Wahlkampfes war mit 77 Prozent die Wahlbeteiligung relativ hoch. Tatsächlich war die Wiener Landtagswahl als erste Wahl in einer Millionenmetropole innerhalb der EU seit dem Ausbruch der Flüchtlingskrise und als ein Gradmesser für die politische Stimmungslage in ganz Europa auch international von großem Interesse.

Doch allein die Angst vor einem Bürgermeister Strache stellte laut Wahlanalysen ein entscheidendes Wahlmotiv für viele SPÖ-Wähler dar. Bereits vor der Wahl wanderten laut Meinungsumfragen zahlreiche Wähler in Richtung SPÖ, um einen FPÖ-Sieg zu verhindern – wohl zu Lasten der Grünen, die knapp ein Prozent verloren, und der bürgerlichen ÖVP, die unter Parteichef Manfred Juracka mit 9,2 Prozent das schlechteste Wien-Ergebnis ihrer Geschichte einfuhr.

Häupl habe sich in der Flüchtlingspolitik klar als „Gegenmodell zur FPÖ, als Anti-Strache“ positioniert und sich für taktische Wähler attraktiv gemacht, erklärt Politik-Berater Thomas Hofer von der Agentur H & P Public Affairs. Bereits vor der Wahl hatte es Hofer auf den Punkt gebracht: Auf diese Weise sei es möglich, sich „mit Leihstimmen von anderen Parteien rüberzuretten“.

Daß die Wiener Sozialdemokraten ihr Minimalziel, einen Bürgermeister Strache zu verhindern, erreicht haben, versuchen auch Bundeskanzler Werner Faymann und die Bundes-SPÖ als Erfolg für ihre Flüchtlingspolitik zu verkaufen. Und die Freude der Freiheitlichen über das Rekordergebnis von knapp über dreißig Prozent kann angesichts eines hohe Erwartungen auf den Wahlausgang weckenden Kopf-an-Kopf-Rennens mit der SPÖ knapp vor der Wahl keine gänzlich ungetrübte sein.

Die FPÖ wird auch künftig die Oppositionsbank drücken. Häupl kündigte zwar am Montag an, noch in dieser Woche mit allen vier im Rathaus vertretenen Parteien Gespräche zu führen. Zugleich versicherte er, seine Anti-Strache-Linie fortzuführen und schloß dezidiert aus, dem Beispiel der rot-blauen Koalition im Burgenland zu folgen. 

Zwar haben die Roten auch die Möglichkeit, mit der ÖVP mittels einer knappen Mehrheit die Stadtregierung zu führen, doch eine Fortsetzung der seit fünf Jahren bestehenden rot-grünen Koalition gilt als wahrscheinlich. Eine Regierungsbeteiligung der neu im Parlament vertretenen linksliberalen Neos im Rahmen einer Dreierkoalition ist wohl nur theoretisch möglich.

Auf den ersten Blick scheint am Tag nach der Wiener Landtagswahl also alles beim alten. Dennoch ist der freheitliche Zugewinn realpolitisch nicht ganz unbedeutend: 34 Mandate ermöglichen den Blauen eine Sperrminorität und somit die Möglichkeit, bei Abstimmungen im Wiener Landtag einen bestimmten Beschluß zu verhindern. Es ist anzunehmen, daß die FPÖ insbesondere im Rahmen kontroverser Themen wie Flüchtlinge, Bildung und Wohnen davon des öfteren Gebrauch machen wird.

FPÖ stellt künftig den Vizebürgermeister

 Darüber hinaus werden die Freiheitlichen mit dem bisherigen Rathausklubchef Johann Gudenus einen Vizebürgermeister sowie ebenfalls zum ersten Mal in ihrer Geschichte zwei Bezirksvorsteher stellen – und zwar in Arbeiterbezirken mit einem hohen Anteil an Gemeindebauten. Die reale Möglichkeit einer Blaufärbung dieser ehemals roten Hochburgen hatte sich bereits nach der Wiener Landtagswahl  2010 angekündigt, bei welcher der Abstand zwischen SPÖ und FPÖ in den Arbeiterbezirken stark geschrumpft war. Tatsächlich führte laut dem Marktforschungsinstitut Sora der stärkste Wählerstrom von der sozialdemokratischen zur freiheitlichen Partei.

„Mit mehr als 30 Prozent habe ich mein Wahlziel erreicht“, resümierte dann auch Strache gegenüber dem ORF den Wahlausgang. Die FPÖ-Wien habe das beste Ergebnis ihrer Geschichte erreicht. Dieser Erfolg könne „nicht kleingeredet“ werden.