© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

Null Respekt
Deutschland im Blaulicht: Von „Verpiß dich, du Schlampe“ bis zu Gewalt / Die Polizistin Tania Kambouri hat ein aufrüttelndes Buch über ihre Erlebnisse im Streifendienst geschrieben
Elena Hickman

Der Vorfall war traurigerweise fast schon alltäglich für sie: Im Herbst 2013 fuhr die Polizistin Tania Kambouri zu einem Einsatz – ein türkischer Mann hatte die Beamten gerufen. Vor Ort angekommen, weigerte sich der Mann aber konsequent, sein Anliegen einer weiblichen Polizistin zu nennen. Stattdessen mußte Kambouri sich Beleidigungen und Beschimpfungen anhören. „Daraufhin entgegnete ich, ich könnte auch wieder fahren und er sagte, ich sollte dies tun“, erzählt sie. Kambouri fuhr weg und meldete das Verhalten der Leitstelle, zeitgleich rief der Mann erneut dort an und forderte einen männlichen Polizisten. Da ein Polizeieinsatz aber kein Wunschkonzert ist, fuhr Kambouri wieder zurück. „Der Bürger sah uns“, berichtet sie, „und schrie uns patzig an. Somit Einsatzende.“

Nach diesem Erlebnis schrieb Kambouri einen Leserbrief an das Mitgliedermagazin der Gewerkschaft der Polizei, in dem sie auch diesen Vorfall schilderte, und begann mit der Frage: „Wie sieht die Zukunft in Deutschland aus, wenn straffällige Migranten sich (weiterhin) weigern, die Regeln in ihrem Gast- beziehungsweise Heimatland zu akzeptieren?“

Angst davor, in die „rechte“ Ecke gestellt zu werden

Sie und ihre Kollegen würden täglich mit straffälligen Migranten konfrontiert, darunter größtenteils Muslime – Türken, Araber, Libanesen –, welche nicht den geringsten Respekt vor der Polizei hätten. „Dabei fängt die Respektlosigkeit bereits im Kindesalter an“, hebt Kambouri besonders hervor. 

Ihr Leserbrief erregte in ganz Deutschland Aufsehen. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Arnold Plickert, sagte zu ihrem Brief: „Ein authentischer Bericht aus dem Polizeialltag.“ Das sahen ihre Kollegen offensichtlich auch so. Das Echo sei gewaltig gewesen, berichtet Kambouri, „die Erleichterung war förmlich zu spüren“. Denn mit ihrem eigenen Migrationshintergrund sei es ihr möglich, den Finger in die Wunde zu legen, ohne in den Verdacht zu geraten, ausländerfeindliches Gedankengut verbreiten zu wollen.

Ganz im Gegensatz zu anderen Polizisten: „Viele meiner deutschen Kollegen trauen sich nicht, zum Thema ‘straffällige Personen mit Migrationshintergrund’ klar Stellung zu beziehen oder überhaupt etwas zu äußern, aus Angst davor, in die rechte Ecke gestellt und als Rassist abgestempelt zu werden.“

Kambouri grenzt sich gleichzeitig aber auch sehr deutlich von Bewegungen wie Pegida, Parteien wie der AfD oder Politikern wie Thilo Sarrazin ab. Das wirkt zuweilen etwas bemüht. Denn obwohl sie einige von Sarrazins Thesen als „bizarr“ verwirft, stellt sie gleich danach fest: „Dennoch spricht er negative Entwicklungen an, die schlicht und ergreifend wahr sind.“ Sein Horrorszenario habe für sie leider viel Realistisches. Ist  ihre Abgrenzung also weniger inhaltlich begründet und eher eine Absicherung, selbst nicht in die rechte Ecke gestellt zu werden?  

 Kambouri liebt ihren Beruf: Mit Menschen reden, ihnen helfen, Spannung erleben und viel draußen sein – das macht sie seit zwölf Jahren gerne. Aber in den letzten Jahren hat sich auch viel Frust bei ihr angestaut über eine Situation, die sich immer weiter verschlimmert. Es herrsche „kein Respekt vor Frauen, kein Respekt vor der Polizei, kein Respekt vor dem Staat, in dem wir leben“, beklagt die Polizeikommissarin. „Waren es vor Jahren noch Einzelfälle, die Kopfschütteln und Empörung bei mir und meinen Kollegen auslösten, werden sie heute zur Kenntnis genommen wie der Wetterbericht“, schreibt Kambouri in ihrem Buch „Deutschland im Blaulicht. Notruf einer Polizistin“, eine Art Fortsetzung ihres Leserbriefs 2013.

Dabei erzählt sie aber nicht einfach nur von einem generell steigenden Gewaltverhalten, verbal und körperlich, gegenüber Polizisten. Die Tochter griechischstämmiger Eltern prangert offen muslimisch geprägte Migranten für solche Vergehen an: „Die Zunahme von Respektlosigkeit und Aggressivität in unseren Städten ist mehr als auffällig. Und man kommt nicht um die Feststellung herum, daß sich straffällige Personen mit Migrationshintergrund, vor allem junge Männer aus muslimisch geprägten Ländern, dabei besonders hervortun.“

 Gleichzeitig stellt die 32jährige mit eigenem Migrationshintergrund aber auch klar: „Das soll keine Pauschalverurteilung sein und schon gar keine rassistische Vorverurteilung aufgrund der Herkunft oder des Glaubens.“ Aber es sei schlichtweg eine Tatsache, daß manche Bevölkerungsgruppen bei bestimmten Verhaltensmerkmalen und Straftaten auffallend überrepräsentiert seien. Eine Einschätzung, die Kambouri durch jahrelange Polizeiarbeit geben kann und die auch die Politik nicht wegdiskutieren kann.

Kambouri erzählt in ihrem Buch nicht nur von den ungewöhnlichen Extremfällen, sondern von ihrem ganz normalen Alltag: von libanesischen Jugendlichen, die einer Kontrolle mit Hohn und Spott begegnen („Scheiß Bullen“, „Du kannst mir gar nix“), über aggressive Männer, die einen Alkoholtest als unter ihrer Würde empfinden, bis hin zu gewalttätigen Streits zwischen Clans, für die plötzlich keine Zeugen zu finden sind.

Viele Spannungen würden sich zunehmend heftig entladen, erklärt die Polizistin, „jederzeit drohen Situationen zu eskalieren, selbst bei kleinsten Anlässen, meist absolut unvorhersehbar“. Und eben besonders unter muslimischen Migranten, die sich nicht in Deutschland integrieren. Kambouri fordert deshalb, Widerstand gegen Polizisten härter zu bestrafen, Gerichtsurteile schneller auszusprechen und gleichzeitig weniger Verfahren einzustellen. Ansonsten würde die erzieherische Wirkung fehlen: „Wenn die Täter keine Sanktionen erfahren, machen sie immer weiter.“ Dann entsteht aus der Respektlosigkeit unter Jugendlichen nicht plötzlich Freundlichkeit und Integrationswille als Erwachsener, sondern Gewalt und eine noch stärkere Abgrenzung. Ein Kreislauf, der nur schwer zu durchbrechen ist.

Gefragt seien deshalb souveräne Entscheidungen, die konsequent durchgesetzt würden. Wer sich nicht integrieren möchte, ignoriert eben alle Hilfsangebote. „Ergeben sich daraus erhebliche Nachteile für die gesamte Gesellschaft, führt kein Weg an Sanktionen vorbei“, urteilt Kambouri in einem Interview.

 Besonders als Frau bekommt sie von Türken, Libanesen, Kurden und anderen aus diesem Kulturkreis keinen Respekt. Häufig wird sie von den Männern komplett ignoriert, aber auch Beleidigungen wie „Verpiß dich, du Schlampe“ seien keine Seltenheit mehr. Frauen seien eben Menschen zweiter Klasse, und an dieser „Rolle der Frau läßt sich eines der größten Integrationsprobleme muslimisch geprägter Migranten ablesen“, schreibt Kambouri.

 Allerdings gibt es Momente, da wird kurz ignoriert, daß sie eine Frau ist – wenn sie fälschlicherweise für eine Türkin, Libanesin oder ähnliches gehalten wird. „Unendlich oft werde ich aufs allerfreundlichste ‘türk müsün’ gefragt: ‘Bist du Türkin?’“, berichtet die Kommissarin, die sowohl die griechische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Sobald sie die Frage verneine, schlage die Freundlichkeit jedoch um in verächtliche Blicke, abweisende Gesten oder offenen Widerstand. Am schlimmsten seien aber die Zugewanderten, gibt sie zu, die „mir daraufhin vorwerfen, eine Verräterin zu sein“. Sie sei doch „eine von uns“. 

Die Autorin sieht das als „Merkmale bewußter Abschottung“ und eine Erklärung für die vielen jungen Muslime, die sie „auf Deutschland und die Deutschen“ schimpfen hört, um ihren Haß und ihre Abgrenzung offen zu demonstrieren“. Sie würden in einer Art „Parallelgesellschaft“ leben, wo Friedensrichter Streitigkeiten regeln und die Ehre über allem steht. Eine Teilhabe am Leben der Mehrheitsgesellschaft würde weder gesucht noch eingefordert, prangert die Polizistin an, denn „man müßte sich erklären und rechtfertigen und am Ende wahrscheinlich noch anpassen“. Einige muslimische Einwanderer in Deutschland wollten vielleicht einen deutschen Paß bekommen (und alle Vorteile genießen, die daraus entstehen) – aber Deutsche wollten sie nicht sein.

Bei allem Lob und Unterstützung, die sie von seiten ihrer Kollegen, besonders aber auch ihrer Vorgesetzen, für ihren Leserbrief bekam – verändert hat sich seitdem nichts. „Viel Rauch um nichts“, lautet ihr bedrücktes Urteil. So schnell werde sie aber nicht aufgeben, stattdessen versuche sie mit diesem Buch, jetzt noch einmal etwas zu bewegen: „Falls wir das unterlassen, uns stattdessen noch länger von Sozialromantikern und Kulturrelativisten blenden lassen oder die Probleme weiterhin nur halbherzig angehen, steht unsere Gesellschaft vor einer inneren Zerreißprobe.“

Tania Kambouri:  Deutschland im Blaulicht. Notruf einer Polizistin.  Piper Verlag, München 2015, Broschur, 221 Seiten, 14,99 Euro