© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

Der Schulaufstand von Dresden-Prohlis
Sachsen: In der Landeshauptstadt widersetzen sich Eltern der Einquartierung von Asylbewerbern in der Nachbarschaft einer Grundschule
Ronald Gläser

Am 1. Oktober kam die Asylkrise nach Dresden-Prohlis. Mitten in der Hochhaussiedlung rund um die Boxberger Straße befinden sich zwei aneinandergrenzende Schulgebäude, alte DDR-Plattenbauten. Das eine wurde nur sporadisch genutzt, das andere beherbergte vorübergehend die 89. Grundschule.

Paßt, dachte sich die Dresdner Stadtverwaltung – da lassen sich Asylbewerber unterbringen. Rund 7.000 leben bereits in der Landeshauptstadt. Weitere 3.000 sollen bis Jahresende kommen. Und die Kinder der Grundschule? Der gemeinsame Schulhof beider Schulen solle durch einen Bauzaun abgetrennt werden. Auch die Turnhalle wurde für die Einwanderer reserviert, so daß es mit dem Sportunterricht schwieriger werden würde.

Soweit, so alltäglich. Aber dann geschah etwas, womit die Politiker und Bürokraten nicht gerechnet hatten: Die betroffenen Bürger akzeptierten diese Einquartierung von 150 Asylbewebern nicht und verabredeten sich zum zivilen Ungehorsam. Die Eltern der Kinder der 89. Grundschule forderten die Politiker heraus – und setzten sich durch. Und das kam so: Am Freitag vor zwei Wochen informierte der zuständige Bürgermeister für Soziales, Peter Lames (SPD), die Eltern der Schule in einem Brief, der der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, über die neuen Nachbarn. Nach einer pathetischen Einleitung über die „Kraft und Ressourcen“ kostende „humanitäre Pflichtaufgabe“ der Unterbringung von Asylbewebern heißt es darin dann lapidar: „Mit dem raschen Bezug innerhalb weniger Tage ist zu rechnen.“

Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Die Großmutter eines Drittkläßlers schüttelt den Kopf: „Ich mußte den Brief zweimal lesen, bis ich verstand, was da los ist.“ Die Asylbewerber sollen fast Tür an Tür mit Grundschülern untergebracht werden. Viele Eltern erfuhren davon noch am Freitag aus den Medien. Über das Wochenende formierte sich der Widerstand in der Elternschaft. Am Montag Abend trat der Ortsbeirat, das zuständige Lokalparlament, zusammen. 100 Väter und Mütter quetschten sich als Zuhörer in den Saal. Weitere 200 Personen warteten draußen. Die Atmosphäre war aufgeheizt. Als Lames verkündete, er könne für die Sicherheit der Kinder garantieren, wurde er ausgelacht. „Lüge, Lüge“, schallte es den Politikern entgegen. Später war auch noch eine Informationsveranstaltung für die Eltern in der Schule. Die Stimmung hatte sich zwischenzeitlich nicht aufgeheitert. Als den Eltern wie beiläufig erklärt wurde, daß die Asylbewerber sich teilweise die sanitären Einrichtungen mit den Grundschülern würden teilen müssen, war für die meisten die rote Linie überschritten.

Am nächsten Morgen traten die Eltern in den Streik – Unterrichtsboykott. Die Herbstferien begannen damit für die Kinder eine Woche früher. Auch die Lehrer wollten jetzt der Schulleitung nicht mehr bedingungslos folgen. Am selben Tag knickte die Schulverwaltung ein: Plötzlich wird ein Ausweichquartier gefunden. 20 Minuten Fahrt mit dem Schulbus nehmen die Eltern in Kauf. 

Einen Tag danach: Im zukünftigen Asylbewerberheim wird schon kräftig gewerkelt. Überall steht Baumaterial herum, Schubkarren mit Mörtel. Handwerker ziehen neue Wände. Ein Radio dudelt vor sich hin. Die Eltern im Nachbargebäude bereiten den Umzug vor. Alle sind froh, aber auch angespannt. Nein, mit Journalisten wollen sie nicht reden. Ich sage jetzt nichts mehr, erklärt ein Vater unwirsch. Eine Lehrerin der Schule wird deutlicher: „Wir dürfen nichts sagen. Sonst kriegen wir Ärger mit der Schulleitung“, sagte sie und schaut sich um. Warum? „Weil die Presse alles falsch darstellt.“ 

Auch in Berlin drohen Beschlagnahmungen

So berichtete die Dresdner Morgenpost zunächst, „nur“ die Hälfte der Kinder habe sich am Vortag krank gemeldet. In Wahrheit sind wohl nur 25 der 250 Schüler erschienen. Eine Mutter, die ihren zehn Jahre alten Jungen am Dienstag noch hingebracht hatte, war Heike U. Doch sie habe das nur getan, weil sie nichts von dem Protest der anderen Eltern gewußt habe. Auch sie klagt darüber, daß es „keine Meinungsfreiheit mehr“ gäbe. Eine Einschätzung, die nach der jüngsten Studie des John-Stuart-Mill-Instituts nach 1990 noch nie von einer größeren Zahl von Personen geteilt worden ist (24 Prozent). Die Mutter beklagt ferner, daß den Asylbewerbern alles recht gemacht werde, während „wir Deutsche an den Rand gedrängt werden“.

Diese Auffassung wird andernorts geteilt. Auch in Berlin drohen weitere Schulgebäude, etwa Turnhallen, beschlagnahmt zu werden. „Dann werden wir unsere Kinder dort nicht mehr hinbringen“, hätten etliche Eltern ihm angekündigt, berichtet ein Grundschuldirektor der JF auf Nachfrage. Möglicherweise macht das Dresdner Beispiel bald Schule.