© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

Protest, der nicht vergehen will
Pegida-Jubiläum: Seit einem Jahr demonstrieren in Dresden Bürger gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ und die etablierten Parteien
Lion Edler

Am kommenden Montag wird es das 44. Mal sein. Die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, kurz Pegida, rufen wieder zur Demonstration in Dresden auf. Die Protestbewegung, die sich vor allem mit Asyl- und Einwanderungspolitik beschäftigt, wird dann ihren ersten Geburtstag feiern. Es war ein Jahr mit Höhen und Tiefen.

Daß die in Dresden entstandene Bewegung einmal die Schlagzeilen der Republik bestimmen würde, war damals noch nicht absehbar. Etwa 350 Bürger beteiligten sich an der ersten Demonstration im Oktober 2014 – Anlaß waren nach Angaben des Organisators Lutz Bachmann Straßenschlachten zwischen Kurden und Islamisten in einigen deutschen Städten. Insbesondere die Asylkrise gab der Bewegung dann Auftrieb: Anfang Dezember waren es bereits 10.000 Pegida-Demonstranten; im Januar wurde mit 25.000 Personen der Höchststand erreicht. Die darauffolgende Demonstration wurde nach einer  islamistischen  Terrordrohung von der Polizei verboten. 

Anders als der Name des Bündnisses vermuten läßt, betonten die Redner auf den Demonstrationen, daß man sich nicht generell gegen den Islam, sondern gegen eine von Pegida befürchtete Islamisierung wende. Ein Positionspapier mit 19 Punkten, das im Dezember veröffentlicht wurde, versuchte Mißverständnisse auszuräumen. Darin heißt es, Pegida befürworte die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und politisch Verfolgten als „Menschenpflicht“. Gleichzeitig wird jedoch eine „Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten“ verlangt. Zum Islam heißt es: „Pegida ist für den Widerstand gegen eine frauenfeindliche, gewaltbetonte politische Ideologie, aber nicht gegen hier lebende, sich integrierende Muslime!“

Doch nicht alle Journalisten interessierten sich für das Positionspapier und für die bei den Demonstrationen geäußerten Worte. Für die schreibende Zunft waren Pegida-Demonstranten schlicht „Asylhasser“ (Bild), oder eine „rechte Gaunerbande“ (Berliner Zeitung). Die Demonstranten in Dresden reagierten mit dem berüchtigten Schlachtruf „Lügenpresse“ . 

Wohlwollende Pegida-Beobachter kritisierten, daß Pegida selbst zu den Mißverständnissen beigetragen habe, weil die Organisatoren das Positionspapier auf den Demonstrationen nicht verlesen hätten. Große Teile der Politik schienen ihr Urteil allerdings ohnehin gefällt zu haben – Politiker beschimpften die Demonstration als „diese komische Mischpoke“ (Grünen-Chef Cem Özdemir) und als „kruden Haufen“ (Altkanzler Gerhard Schröder). Bundeskanzlerin Angela Merkel behauptete, daß die Demonstranten zwar „Wir sind das Volk“ riefen, „aber tatsächlich meinen sie: Ihr gehört nicht dazu – wegen eurer Hautfarbe oder eurer Religion.“ In der AfD kam es über die Haltung zu den Pegida-Demonstrationen zu parteiinternen Auseinandersetzungen.

Zum Gesicht der Bewegung wurden der Betreiber einer Werbeagentur, Lutz Bachmann, sowie die Wirtschaftsberaterin Kathrin Oertel. Vor allem Bachmann hatte bei den Medien einen schweren Stand, da sie ihm seine Vorstrafen und manche Facebook-Kommentare vorhielten, in denen er unter anderem Asylbewerber als „Viehzeug“ bezeichnet hatte. 

Bachmann trat unter Druck als Pegida-Vereinsvorsitzender zurück und entschuldigte sich für die Wortwahl, die er als „unüberlegte Äußerungen“ bezeichnete. Weil Bachmann sich dennoch nicht aus der Pegida-Organisation zurückziehen wollte und Kritiker eine Radikalisierung der Bewegung fürchteten, trat Oertel aus der Bewegung aus und gründete die Abspaltung „Direkte Demokratie für Europa“, die jedoch bedeutungslos blieb.  

Unterdessen breitete sich die Pegida-Bewegung auch auf andere Städte aus und konnte in Leipzig („Legida“) ebenfalls fünfstellige Teilnehmerzahlen erreichen. Unter den Erwartungen blieben hingegen westdeutsche Ableger wie „Bogida“ (Bonn), „Dügida“ (Düsseldorf) oder „Kagida“ (Kassel). In der Regel konnten die Demonstrationen dort nur dreistellige Teilnehmerzahlen vermelden; gleichzeitig boten die Reden oftmals stärkere Angriffsfläche als die gemäßigteren Aussagen der Dresdner Zentrale. Das Problem: Die Marke „-gida“ war nicht geschützt – alle erdenklichen Gruppen konnten sich gegen den Willen von „Pegida“ diesen Namen anheften.

Nach den Streitigkeiten sanken die Teilnehmerzahlen ab Februar deutlich. Im April gab es dennoch mit dem Auftritt des niederländischen Islam-Kritikers Geert Wilders noch einmal einen Höhepunkt. Inzwischen erlebt die Bewegung unter dem Eindruck der Asylkrise eine Wiederbelebung: Bei der Demonstration am vergangenen Montag beteiligten sich bereits wieder Tausende an den Protesten. Während die Dresdner Studentengruppe „Durchgezählt“ von 9.000 Teilnehmern spricht, gehen die Pegida-Organisatoren von bis zu 20.000 Demonstranten aus. Die Polizei veröffentlicht seit Wochen keine Zahlen mehr. Für einen Eklat sorgte ein von Teilnehmern mitgeführter Galgen, an dem Schilder mit den Namen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hingen.