© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/15 / 09. Oktober 2015

Neue Heimat für die verfemten Soldaten
Angehörige der Polnischen Heimatarmee wurden nach der Vertreibung der Deutschen 1945 als Ansiedler in Schlesien geduldet
Paul Leonhard

Im nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung menschenleeren Niederschlesien siedelten die polnischen Kommunisten vor siebzig Jahren vor allem aus ihrer Sicht unberechenbare Elemente an: aus der Volksarmee entlassene Soldaten, die aus den an Stalin verlorenen ostpolnischen Gebieten stammten, und ehemalige Soldaten und Unteroffiziere der aufgelösten, entschieden antikommunistisch eingestellten Heimatarmee (Armia Krajowa). 

Sie sollten im neuen Grenzland, über dessen dauerhafte Zugehörigkeit zum polnischen Staat sich damals niemand in Warschau Illusionen hingab, eine Chance erhalten. Die Bedingung war, daß sie über ihre Vergangenheit zu schweigen und sich gegenüber der kommunistischen Regierung loyal zu verhalten hatten. An diese „verlorenen Soldaten“, von denen einige auch noch nach Kriegsende in den ostpolnischen Wäldern gegen die Russen kämpften, erinnert eine kleine Ausstellung im Heimatmuseum von Bunzlau.

Stalin ließ die Heimatarmee gnadenlos verfolgen

Die Vernichtung des größten Teils der Heimatarmee hatte Stalin bereits im Sommer 1944 dem Kriegsgegner überlassen. Nachdem sowjetische Propagandasender die Bevölkerung Warschaus erst zur Erhebung gegen die deutsche Besatzungsmacht ermuntert hatten, schauten die Soldaten der Roten Armee ab dem 1. August 1944 befehlsmäßig vom anderen Ufer der Weichsel zu, wie SS-Sondereinheiten den Aufstand niederschlugen. Rund 15.000 polnische Kämpfer und ein Vielfaches an Zivilisten in der Hauptstadt bezahlten diesen Einsatz für die Freiheit ihres Landes mit dem Leben. Und während die Deutschen nach der polnischen Kapitulation den Überlebenden den Status von Kriegsgefangenen zuerkannten und die meisten auch das Kriegsende erlebten, verunglimpfte Stalin die Aufständischen als eine „Handvoll machtgieriger Krimineller“.

Letztlich hatte die SS dem Diktator in Moskau die Drecksarbeit abgenommen. Mit der weitgehenden Vernichtung der Heimatarmee war die einzige Organisation ausgeschaltet, die sich der Sowjetisierung Polens hätte entgegensetzen können. Schon während der deutschen Besatzung Polens hatten aus polnischen Agenten des für Staatssicherheit zuständigen Volkskommissariats des Inneren (NKWD) bestehende Sondereinheiten den Auftrag, die im Untergrund kämpfenden Einheiten der Heimatarmee zu unterwandern, Zwietracht zu säen und die Bevölkerung durch Massaker an Zivilisten gegen die Soldaten aufzuhetzen. Auch wurden Untergrundkämpfer an die Gestapo verraten. Die als Pedant zur Heimatarmee gegründete Bürgerwehr, eine kommunistische Untergrundbewegung, erhielt allerdings wenig Zulauf.

Als die Rote Armee Ostpolen eroberte, wurden die überlebenden Soldaten der Heimatarmee in die in der Sowjetunion aufgestellte polnische Volksarmee gepreßt oder liquidiert. Die sowjetrussischen Einheiten ließen die Bevölkerung spüren, daß sie – wie bereits im September 1939 – keineswegs als Befreier kamen. Die Sowjetsoldaten würden „zerstören und plündern“, massenhaft junge Mädchen und Frauen vergewaltigen, heißt es in einem vertraulichen Protokoll der Vollversammlung des Zentralkomitees der kommunistischen Polnischen Arbeiterpartei (PPR) vom 17. Dezember 1944. Die Lage sei „schwierig“, die Ausschweifungen der Roten Armee würden „die Leute gegen die Sowjetunion“ aufbringen, schätzten die polnischen Kommunisten ein, die im Auftrag Stalins ein Moskau höriges Regime in Polen installieren sollten.

Besonders gefürchtet waren die Sondereinheiten des NKWD, die nicht nur die Reste der entschieden antikommunistisch eingestellten Heimatarmee vernichten sollten, sondern gleichzeitig die gerade noch unter der deutschen Besatzung unterdrückten Polen von neuem in Angst und Schrecken versetzten. So sollte Widerstand von vornherein unterdrückt und die polnischen Kommunisten, eine zuvor ungeliebte Minderheit, an die Macht gebracht werden. Das NKWD setzte dabei auf die in der Sowjetunion bereits erfolgreich praktizierte Methode einer allgemeinen Verunsicherung.

„Bei legalen und illegalen Hausdurchsuchungen wurde der Bevölkerung ihr Eigentum gestohlen und vollkommen unschuldigen Menschen wurden deportiert oder ins Gefängnis geworfen“, schildert General Zygmunt Berling, bis Oktober 1944 Kommandeur der polnischen Volksarmee und Mitglied des im Juli1944 auf Weisung Stalins in Lublin gebildeten Komitees der Nationalen Befreiung, 1956 in einem Schreiben an Parteichef Wladyslaw Gomulka die Situation: „Man erschoß die Leute wie die Hunde. (...) Keiner wußte, was man ihnen vorwarf, wer den Haftbefehl ausgeschrieben hatte und was mit ihnen geschehen sollte.“

Selbst Gomulka konstatierte bei einer Vollversammlung des Zentralkomitees seiner Partei im Mai 1945, daß „in unseren Gefängnissen die Insassen wie Tiere behandelt“ würden. Es werde soweit kommen, daß die kommunistische Arbeiterpartei und die nach sowjetischem Vorbild aufgebaute und von sowjetischen Beratern gelenkte politische Sicherheitspolizei Urzad Bezpieczenstwa (UB) „die schlechteste Tarnorganisation des NKWD sind“.

Lange wurde Geschichte der Heimatarmee verschwiegen

Die Westalliierten mußten 1945 einräumen, daß Polen, für dessen staatliche Unabhängigkeit Frankreich und Großbritannien einst gegen das nationalsozialistische Deutschland in den Krieg gezogen waren, nun einschließlich des Polen  zugeschlagenen deutschen Ostens unter den Einfluß Stalins gefallen waren. „Das NKWD und der UB hatten in Polen die Zügel derart fest in der Hand, daß dort auf Jahre hinaus keine Demokratie in unserem Sinne möglich war“, schätzte Arthur Bliss Lane, amerikanischer Botschafter in Warschau, ein.

Im kommunistischen Polen taten die ehemaligen Angehörigen der Heimatarmee bis weit in die siebziger Jahre gut daran, ihre Geschichte zu verschweigen. Ein in einem niederschlesischen Dorf angesiedelter Oberfähnrich erzählte kurz vor seinem Tod, wie er in den fünfziger Jahren im polnischen Ostteil von Görlitz jenem Mann wieder begegnete, der einst seine in der Untergrundbewegung aktive Freundin an die Gestapo ausgeliefert hatte. Der einstige NKWD-Agent war inzwischen ein hoher Funktionär der Polnischen Arbeiterpartei in Niederschlesien geworden.

Dauerausstellung über die Armia Krajowa der Abteilung für Stadtgeschichte des Bunzlauer Keramikmuseums  www.muzeum.bole­slawiec.net