© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/15 / 09. Oktober 2015

„Wir hatten keinen Grund, Verdacht zu hegen“
Dieselaffäre: Der VW-Aktionsplan zur Nachbesserung wird in den USA kaum reichen / Mißtrauen gegen alle Hersteller gesät?
Elliot Neaman

Bei der Detroit Auto Show im Januar dieses Jahres schien die Zukunft rosig: 49 Prozent der Premium- und Luxusautos, die 2014 in den USA ausgeliefert wurden, stammten von deutschen Herstellern – 2005 war es nur ein Drittel. Das Gros davon stammte allerdings von Mercedes und BMW, nicht einmal zehn Prozent von der VW-Tochter Audi – aber mit solidem Zuwachs. Die im Mittelpreissegment positionierte VW-Hauptmarke, die seit Jahren mit Absatzrückgängen kämpfte, gab sich optimistisch: der neue Passat und das ab 2016 im VW-Werk Chattanooga (Tennessee) vom Band laufende große SUV-Modell mit drei Sitzreihen werde die Wende bringen.

Michael Horn, der 2014 nach nur drei Jahren den ehemaligen GM- und Jaguar-Manager Jonathan Browning als VW-Regionalchef ablöste, wird sich von seinen hochgesteckten Zielen wohl verabschieden: Am 8. Oktober muß er vor dem Energy & Commerce Committee des US-Kongresses in Washington zur VW-Diesel-Affäre Rede und Antwort stehen. Und die hierfür zuständigen Republikaner Tim Murphy und Fred Upton haben schon angekündigt, intensiv nachzufragen, warum die Abgas-Manipulation solange unentdeckt blieb.

Teure Sammelklagen und Umweltstrafzahlungen

Daß der VW-Skandal überhaupt aufflog, war reiner Zufall. „Wir hatten keinen Grund, Verdacht zu hegen“, sagte John German, US-Geschäftsführer des Internationalen Rats für ein sauberes Verkehrswesen (ICCT), der den einschlägigen Aufsichtsbehörden weltweit Forschungsdaten zur Verfügung stellt. Sein ICCT-Kollege Peter Mock wollte VW eigentlich einen Gefallen tun, als er vorschlug, die Dieselfahrzeuge des deutschen Autobauers an den sehr viel schärferen Schadstoffregelungen in den USA zu testen und dann den Europäern als leuchtendes Vorbild vorzuhalten.

Kaum war die Nachricht vom Dieselschwindel publik geworden, da kündigte eine Anwaltskanzlei in Seattle bereits die erste Sammelklage gegen VW an. Allein bis zum 27. September wurden 33 weitere derartige Klagen eingereicht – ein Ende ist nicht abzusehen, denn in der Vergangenheit war man damit des öfteren erfolgreich: So zahlte Toyota 2012 in der Folge mehrerer Rückrufaktionen wegen unkontrollierter Beschleunigung seiner Fahrzeuge Schadenersatz in Höhe von 1,2 Milliarden Dollar zur Beilegung einer Sammelklage. In aller Regel stecken dabei die Anwälte den Großteil des Geldes ein, während die Opfer bestenfalls einen kleinen Scheck erhalten. VW wird zudem tief in die Tasche greifen müssen, um die von der US-Umweltbehörde EPA erhobenen Geldstrafen zu zahlen, die sich im Milliarden-Dollarbereich bewegen könnten. 

Einer Studie der Kanzlei Mayer Brown zufolge werden 35 Prozent aller in den USA eingereichten Sammelklagen entweder außergerichtlich beigelegt oder von Klägerseite zurückgezogen. Weitere 31 Prozent werden vom Gericht abgewiesen, während von den 33 Prozent erfolgreichen Sammelklagen vor allem die Anwälte profitieren und viele Kläger nie einen einzigen Cent an Schadenersatz bekommen. In einigen Fällen ziehen Sammelklagen sich jahrelang hin.

Daß einzelne VW-Verantwortliche strafrechtlich belangt werden, ist eher unwahrscheinlich, da sich ihre Schuld nur schwer beweisen ließe. Zudem würde eine strafrechtliche Verfolgung auch unschuldige Arbeitnehmer und Aktionäre treffen und im schlimmsten Fall VW finanziell ruinieren. Aus all diesen Gründen ist die Staatsanwaltschaft in den USA eher abgeneigt, Ordnungswidrigkeiten zu kriminalisieren.

Bislang hat Michael Horn seinen Posten retten können. Den größten Schaden aus der Affäre hat der gute Ruf des deutschen Autobauers erlitten, der mit einiger Sicherheit zu einem Einbruch der Verkaufszahlen sowohl in den USA als auch in Europa führen und auch die Dieselfahrzeuge anderer Hersteller wie Audi, BMW, Porsche und Mercedes in Mitleidenschaft ziehen wird. Eine gewisse Ironie liegt darin, daß sich die Anzahl der verkauften Dieselfahrzeuge, deren derzeitiger Marktanteil in den USA nur bei drei Prozent liegt, kurzfristig erhöhen könnte, da die Autohändler sie zum Schleuderpreis verscherbeln werden.

Nun drängt sich natürlich die Frage auf, ob Volkswagen tatsächlich als einziger Fahrzeughersteller geschummelt hat. Die Konkurrenz fragt sich seit Jahren verwundert, wie es VW gelungen ist, erschwingliche saubere Dieselmotoren zu bauen. So kann man es ihnen kaum verdenken, wenn nun Schadenfreude aufkommt. „Ich möchte nicht mit Volkswagen tauschen“, so etwa GM-Chef Bob Lutz, denn „die Glaubwürdigkeit ihrer Marketing-Kampagnen in den USA ist damit vollkommen zerstört. Sie haben immer mit ihrer technischen Überlegenheit gepunktet: die einzigen, die Dieselautos bauen können.“ Selbst wenn sich herausstellen sollte, daß VW die Schummel-Software tatsächlich als einzige eingebaut hat, hat der Skandal erheblich dazu beigetragen, die Verbraucher in ihrem tiefen Mißtrauen gegenüber Autoherstellern zu bestärken.

„Was nicht zwingend nötig ist, wird gestrichen“

„Neben dem riesigen finanziellen Schaden, der heute noch gar nicht abzusehen ist, ist diese Krise vor allem eine Vertrauenskrise“, erklärte der neue VW-Chef Matthias Müller am Dienstag vor über 20.000 in Wolfsburg versammelten Mitarbeitern. „Nur wenn wir alles lückenlos aufarbeiten, nur dann werden uns die Menschen wieder vertrauen“, sagte der Ex-Porsche-Chef, der zugleich ankündigte, massiv zu sparen, „um die Folgen der Krise zu managen“. Alle geplanten Investitionen kämen auf den Prüfstand: „Was nicht zwingend nötig ist, wird gestrichen oder geschoben.“ Und das werde „nicht ohne Schmerzen gehen“.

Kurzfristig werde VW Lösungen vorstellen, um das Abgasverhalten nachzubessern: „Teilweise wird dabei die Überarbeitung der Software ausreichen. Bei einem Teil der Fahrzeuge werden dagegen auch zusätzliche Eingriffe an der Hardware notwendig sein.“ Acht der elf Millionen betroffenen Diesel-Autos sind innerhalb der EU unterwegs. Ob die von VW in Aussicht gestellten technischen Lösungen zur Beseitigung der Abgas-Manipulationen auch in den USA ausreichen, ist zweifelhaft. Hier sind die Emissionswerte strenger und die Verbraucherrechte größer. Aber Müller gab sich optimistisch: „Wir können und wir werden diese Krise bewältigen.“

Was sich bislang mit einiger Sicherheit sagen läßt, ist, daß das „Dieselgate“ wohl Veränderungen an den Zulassungsverfahren für US-Autos nach sich ziehen wird. In ihrer jetzigen Form sind sie mit Interessenkonflikten behaftet – so können amerikanische Hersteller etwa einen privaten Dienstleister ihrer Wahl mit der Messung des Kraftstoffverbrauchs beauftragen. Die Technologie zur Messung von Emissionen im Straßenverkehr existiert. Schon vor Monaten wurden bei solchen Messungen mit Hilfe von Sensoren, die am Straßenrand installiert waren, in der Schweiz bei Dieselautos von VW und Audi Unstimmigkeiten festgestellt. Bei den Tests der Wissenschaftler der University of West Virginia, die die Daten für das ICCT lieferte, kamen mobile Meßgeräte zum Einsatz.

Nicht zuletzt hat der Skandal gezeigt, in welchem Maße Autos schon heute fahrbare Computer sind. Künftig wird die Technologie nur noch komplexer und die Fahrzeuge damit zunehmend sicherer werden, je weniger sie auf menschliche Fahrkünste angewiesen sind – zugleich werden sie aber auch empfindlicher für Hackerangriffe werden und sich leichter von Abgas-Betrügern und anderen Unheilstiftern manipulieren lassen. Der VW-Skandal ist nur die erste Seite in diesem neuen Kapitel in der Geschichte der Automobilindustrie.






Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt europäische Geschichte an der University of San Francisco. In JF 37/15 schrieb er über die Kapitulation vor den politisch Korrekten an US-Hochschulen.

Schwieriges Automobilland USA

Wo wehen die größten Star-Spangled Banner-Flaggen? In Washington D.C.? Nein, über den Toyota- oder Honda-Autohäusern an Ausfallstraßen von Städten wie Orlando oder Tampa. Und die Japaner sind damit, ihrer Modellpolitik und Autowerken in den USA gut gefahren: Toyota lag 2014 – trotz diverser Rückrufaktionen – mit 14,4 Prozent Marktanteil nur knapp hinter Ford (15 Prozent). Der General-Motors-Konzern (Chevrolet, Buick, GMC, Cadillac) führte mit 17,9 Prozent. Rechnet man Fiat-Chrysler (12,7 Prozent) hinzu, dann kommen die „Big Three“ der einst größten Autoindustrie der Welt auf einen Heimatmarktanteil von 45,6 Prozent – was dem Anteil des iPhones am US-Smartphone-Markt entspricht. Audi und VW sind mit zusammen 2,7 Prozent Nischenanbieter und damit schwächer als Seat in Deutschland. Neben der unverhohlenen Aufforderung von US-Industrie und Gewerkschaften, amerikanische Produkte zu kaufen, sorgen protektionistische Gesetze wie der Buy American Act von 1933 oder der Buy America Act von 1983 dafür, das US-Hersteller bei der öffentlichen Beschaffung bevorzugt werden.

Foto: John Swanton, Sprecher der kalifornischen Umweltbehörde Air Resources Board, beim Abgastest eines Passat Diesel: Am 8. Oktober müssen der Amerika-Chef von Volkswagen, Michael Horn, und die EPA-Behörde vor dem US-Kongreß in Washington zur Affäre Rede und Antwort stehen