© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/15 / 02. Oktober 2015

Ein Tête-à-tête der Welteroberer
Hinter dem Dreimächtepakt zwischen dem Deutschen Reich, Japan und Italien von 1940 lauerte bereits das Konzept eines künftigen Krieges der Rassen
Wolfgang Kaufmann

Am 27. September 1940 unterzeichneten der deutsche Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop, sein italienischer Amtskollege Gian Galeazzo Ciano Conte di Cortellazo und der japanische Botschafter Saburo Kurusu in der Berliner Reichskanzlei den Dreimächtepakt. Damit sollte die bisherige politische „Achse Berlin-Rom-Tokio“, welche 1937 mit dem Beitritt Italiens zum bilateralen Antikominternpakt zwischen Deutschland und Japan geschmiedet worden war, nun den Charakter eines „Militärbündnisses zwischen den drei mächtigsten Staaten der Erde“ annehmen, wie Ribbentrop anläßlich des erneuten Vertragsabschlusses ganz unbescheiden erklärte.

Großbritannien sollte eingeschüchtert werden 

Ziel des Paktes, dem sich bis zum Juni 1941 auch noch Ungarn, Rumänien, die Slowakei, Bulgarien, Jugoslawien beziehungsweise der Unabhängige Staat Kroatien anschlossen, war es zum einen, die Vereinigten Staaten von einem Kriegseintritt abzuhalten und Großbritannien durch Einschüchterung friedensbereit zu machen. Zum anderen ging es um die Festlegung der Interessen- und Einflußsphären der drei Hauptsignatarstaaten: Japan bekam den nicht näher definierten „großostasiatischen“ Raum zugesprochen, Italien das Mittelmeer samt seiner Anrainergebiete und Deutschland Osteuropa, wobei die Rolle der Sowjetunion offenblieb – für die bestand im Frühherbst 1940 theoretisch noch die Möglichkeit, sich dem Pakt anzuschließen, womit ein gigantischer „Kontinentalblock“ vom Atlantik bis zum Pazifik entstanden wäre.

Allerdings erlangte diese „Aufteilung“ Eurasiens und Nordafrikas wegen der nachfolgenden militärischen und politischen Entwicklungen niemals eine nennenswerte praktische Bedeutung. Deshalb besteht seitens der Historikerzunft auch kein Bedarf, zu untersuchen, was passiert wäre, wenn die beiden dominierenden Achsenmächte, nämlich das Dritte Reich und das kaiserliche Japan, am Ende tatsächlich gesiegt hätten. Dabei handelt es sich hier um eine der interessantesten Fragestellungen zum Zweiten Weltkrieg überhaupt, deren Beantwortung Ungeahntes zutage fördert.

So deutet alles darauf hin, daß die Führung des Dritten Reiches keineswegs bereit war, dem Tenno-Staat Zentral- und Ostasien zu überlassen, obwohl man sich im Januar 1943 sogar noch auf eine formelle Trennung der Operationsgebiete (und damit implizit auch der künftigen Machtbereiche) entlang des 70. Grades östlicher Länge, also in etwa der Linie Omsk–Taschkent–Kabul–Karatschi, einigte. Warum sonst hätte der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, im April 1942 befehlen sollen, die Asienforschung „stärkstens auszubauen“, während Hitler die Planung einer gigantischen Breitspurbahn zum Transport von schwerem Kriegsgerät bis nach Wladiwostok in Auftrag gab und der Ostminister Alfred Rosenberg von einem Cordon sanitaire aus deutschen Schutzgebieten träumte, welcher sich um das nach Sibirien abgedrängte „Moskowitertum“ spannte? Natürlich, weil es im Wesen des Nationalsozialismus lag, grenzenlos zu expandieren und dabei letztlich auch die „Gelbe Gefahr“ zu neutralisieren, deren frühere Ausgriffe nach Europa in der Propaganda immer wieder aufs negativste thematisiert wurden.

Deshalb entstand dann 1943 das zum SS-Imperium gehörende Reichsinstitut Sven Hedin für Innerasienforschung, dessen Mitarbeiter sich buchstäblich bis zum 8. Mai 1945 mit der Vorbereitung des Dritten Weltkrieges gegen den Noch-Achsenpartner befaßten, wobei als sicher galt, daß die künftigen Kampfhandlungen zwischen Großdeutschland und Großjapan als Führungsmacht der „minderwertigen gelben Rasse“ vor allem in Tibet und der Mongolei stattfinden würden. Aus diesem Grunde erfolgte dann auch eine eifrige Suche nach Bündnispartnern in der Region mit versteckten „nordischen“ Genen.

Dabei handelte die deutsche Seite aber ohne genauere Kenntnis der japanischen Pläne, die tatsächlich ebenfalls darauf abzielten, die Weltherrschaft zu erlangen. Der Wunsch nach uneingeschränkter Dominanz resultierte in diesem Fall aus der traditionellen Hakko-Ichiu-Doktrin, welche angeblich auf den legendären ersten Tenno Jimmu zurückging, der wiederum als Abkömmling der Sonnengöttin Amaterasu Omikami galt. Selbige Lehre besagte, daß die japanische „Yamato-Rasse“ insgesamt göttlicher Natur und damit zur Beherrschung „aller acht Himmelsrichtungen“, also der gesamten Erde, prädestiniert sei. Daraus ergab sich natürlich ein scharfer Gegensatz zur weißen und damit auch zur „nordisch-arischen“ Rasse. Dieser äußerte sich unter anderem in der Herausgabe und Verbreitung von Traktaten, in denen man den Weißen eine besonders nahe Verwandtschaft mit den Affen unterstellte, während die „Yamato-Rasse“ im Gegenzug als Begründerin der gesamten Weltzivilisation gefeiert wurde.

Tokios Träume, große Teile Nordamerikas zu okkupieren

Wie sehr man im Kaiserreich Großjapan gewillt war, nach dem erhofften Sieg im Zweiten Weltkrieg im globalen Rahmen zu agieren, zeigen die konkreten Intentionen hinsichtlich territorialer „Erwerbungen“, welche beileibe nicht nur den „großostasiatischen“ Raum betrafen. Beispielsweise geht aus einer Aufstellung des Tokioter Kriegsministeriums vom Dezember 1941 hervor, daß Japan die Absicht hatte, Teile Nordamerikas zu okkupieren und darüber hinaus ein „Generalgouvernement Zentralamerika“ zu errichten, zu dem sämtliche Karibikstaaten sowie Ecuador, Mexiko, Chile und Peru gehören sollten. Und die Bevölkerungs- und Rassenabteilung des Amtes für Forschung im Ministerium für Gesundheit und Soziales begann dann Mitte 1943 auch schon einmal, die japanische Besiedlung von „Assyrien“ und der Türkei sowie des Iran und Irak zu planen; die entsprechenden Ausarbeitungen mit dem Titel „Weltpolitik der Yamato-Rasse“ fanden sich 1981 in einem Tokioter Antiquariat.

Damit war der spätere Konflikt zwischen den beiden Achsenpartnern genauso vorprogrammiert wie durch die Wunschträume Hitlers, Himmlers und Rosenbergs von einem Vordringen bis ans Gelbe Meer. Das wußten die Strategen des Tenno auch ganz genau – und zwar schon lange vor dem Abschluß des Dreimächtepakts. Hiervon zeugen unter anderem die Ausführungen des Premierministers Hiranuma Kiichiro von Anfang 1939. Aber man lebte in Tokio in der festen Überzeugung, im künftigen Endkampf gegen die anderen Sieger des Zweiten Weltkrieges zehn Millionen Soldaten, 200.000 Flugzeuge und Unmengen von Kriegsschiffen aufbieten zu können.

In Vorbereitung des megalomanen Griffs nach Regionen, die gemäß der Bestimmungen des Dreimächtepaktes eigentlich nicht zur japanischen Machtsphäre gehören sollten, wurden zunächst Vorstöße bis nach Russisch-Turkestan (heute Kasachstan, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan) und Chinesisch-Turkestan (heute: Autonome Region Xinjiang) ins Auge gefaßt, was einerseits strategische, andererseits aber auch wirtschaftliche Gründe hatte, weil sich dort enorme Bodenschätze befanden. Der Einmarsch in diese Gebiete erforderte allerdings eine intensive Vorbereitungs- und Aufklärungsarbeit. 

Vertragstreue stand für alle Parteien zur Disposition

Deshalb entsandte der Militärgeheimdienst Kantogun Johobu im Rahmen der „Operation Tibet“, welche im Februar 1942 anlief, als mongolische Pilger getarnte Spione in das Grenzgebiet zwischen Tibet und Chinesisch-Turkestan. Deren Aufgabe bestand darin, Informationen zu sammeln und dann die Ankunft der Armeen des Tenno abzuwarten. Diese erfolgte allerdings niemals, was die beiden letzten Aufklärer namens Kimura Hisao und Nishikawa Kazumi jedoch nicht daran hinderte, noch bis 1950 im Reich des Dalai Lama auszuharren.

Weitere Agenten der Japaner operierten in Russisch-Turkestan und dem Kaukasusraum, wo sie freilich weniger Aufklärungsarbeit betrieben, als potentielle Kollaborateure anzuwerben versuchten.

All diese Aktivitäten und Pläne zeigen, daß der Dreimächtepakt nicht das Papier wert war, auf dem er stand, wobei Tokio hier genausowenig vertragstreu zu bleiben beabsichtigte wie Berlin. Andererseits erfüllte das Bündnis aber zumindest den Zweck, auf den der japanische Botschafter in Rom, Shiratori Toshio, gehofft hatte, als er dringend zum Abschluß desselben riet: Es verhinderte tatsächlich das Zustandekommen der befürchteten „Einheitsfront“ der Weißen gegen die „Yamato-Rasse“.