© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/15 / 02. Oktober 2015

Moskau hin – Brüssel her
Serbien: Der Balkanstaat will zwar in die EU, möchte es sich aber nicht mit Rußland verscherzen
Maximilian Seidel

EU-Kommissionssprecherin Maja Kocijancic ließ keinen Zweifel aufkommen. Die Teilnahme Serbiens an der Militärübung „Slawische Verbrüderung 2015“ zusammen mit Rußland und Weißrußland sei das falsche Signal. Die Kommission betrachte die Entwicklung  mit Sorge, erklärte die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini und rief Serbien auf, sich an seine EU-Beitrittsverhandlungen zu erinnern. 

Doch Belgrad schlug die Warnungen in den Wind. Statt dessen zeigte sich Außenminister Ivica Dacic optimistisch, daß sich die Teilnahme nicht negativ auf die Bemühungen des avisierten EU-Beitritts auswirken wird. Einerseits habe Serbien das Recht, mit jedem zu kooperieren, mit dem man dies wolle. Auf der anderen Seite stehe Belgrad in weitaus größerer militärischer Interaktion mit dem Westen und der Nato als mit Rußland, erklärte der Vorsitzende der Sozialistischen Partei Serbiens.

Lebendiger Zorn über Nato-Bombardement 

Anfang September nahmen dann 60 serbische Soldaten an der 700-Mann starken Militärübung in der russischen  Schwarzmeerstadt Novorossijsk, östlich der Halbinsel Krim teil. Laut General Vladimir Shamanov ging es bei der Übung darum, „illegale, bewaffnete Formationen“ aufzuspüren und zu eliminieren, berichtete die Nachrichtenagentur Tass. Wenig später besuchte Verteidigungsminister Bratislav Gašic das Nato-Hauptquarier in Neapel und unterstrich Belgrads Interesse an einer Kooparation mit der Allianz im Rahmen des Programms „Partnerschaft für den Frieden“. 

Moskau hin. Brüssel her. „Innehalten“ fordert nun die Südosteuropa-Analystin Dagmar Skrpec in der einflußreichen US-Zeitschrift Foreign Affairs mit Blick auf die westlichen Regierungen. Bevor diese Serbien vollständig umarmen, sollten sie die Reden und Aktionen von Regierungschef Aleksandar Vucic analysieren. Diese, so Skrpec weiter, seien eher von uneindeutiger Natur. So signalisiere er auf der einen Seite das Interesse an einer Westverschiebung seines Landes, doch seine anschließenden  Handlungen und Reden stünden nicht immer damit im Einklang.

Folgt man der Sichtweise des serbisch-orthodoxen Bischofs von Montenegro, Amfilohije Radovic, verwundert dies wenig. Dem Geistlichen zufolge, wolle Serbien auch nicht zu diesem Europa gehören. Statt dessen sei das Land in einem viel höheren, wahreren Sinne Europa als das heutige EU-Europa, das sich von seiner Geschichte, von seiner Tradition und Religion und damit auch seiner Zukunft verabschiedet habe. Dieses EU-Europa habe aus der Emanzipation von Minderheiten, aus der radikalen Gleichstellung und der Zerstörung der Familie einen Kult gemacht, der den eigentlichen Kult Europas, das Christentum, verdrängen soll. Und das selbst mit strafrechtlichen Mitteln, um Bischöfe und Geistliche, die sich diesen Tendenzen widersetzen, und Intellektuelle, die den Islam als Gefahr sehen, mundtot zu machen. 

Belgrad hatte gegen heftigen internationalen Protest die „Gayn Pride Parade“ mehrmals untersagt, war dafür aber von der russischen Orthodoxie und russischen konservativen Intellektuellen belobigt worden. Nun finden seit 2014 unter größten Sicherheitsvorkehrungen „Pride“-Paraden statt.

Nationen wie Serbien, die ihrer Geschichte und ihrem Glauben treu blieben, würden mit Gewalt der neuen Weltordnung unterworfen, erklärten serbische Intellektuelle wie der jüngst verstorbene Nationaldichter Dobrica Cosic oder der Politologe Srdja Trifkovic. Sie verweisen darauf, daß die Nato, die Belgrad 1999 wegen des Kosovo bombardierte, dem Islam hundert Jahre nach Ende des Osmanischen Reiches erneut die Tür zum „Herzen des Balkans“ geöffnet habe. Auch Rußland ergehe es nicht anders. Es stehe der einen entgrenzten, entnationalisierten Weltordnung mit ihrer relativistischen Moral im Wege. 

Daß Moskau sich bis heute einer Anerkennung des unabhängigen Kosovo im UN-Sicherheitsrat widersetzt, ist ein weiterer Umstand, der Belgrad und Moskau verbindet. Die Politik der  EU und der internationalen Gemeinschaft, die von Serbien teils ultimativ eine Anerkennung der Unabhängigkeit der ehemaligen serbischen Provinz forderte, hat es einem um Vermittlung bemühten serbischen Politiker wie dem 2003 ermordeten Premier und Hoffnungsträger Zoran Djindjic nicht leicht gemacht. Er erschien in Serbien als Verzichtspolitiker, und Kollegen, die in den Kosovo-Verhandlungen eine Alternativlösung zur Unabhängigkeit vorschlugen, wurden im Westen gern als verbohrte Nationalisten abgestraft, die sich in nichts vom einstigen roten Diktator Miloševic unterscheiden würden. 

Liebe zu Rußland wird nicht immer erwidert

Die fast schon zwangsläufige Folge war die Annäherung an Rußland. Dabei war und ist Rußland keineswegs realpolitische Option. Moskau mag sich wirtschaftlich in Serbien engagieren. Doch wenn es ernst wurde, ob gestern oder heute, haben sich die großen Hoffnungen der Serben, die sie in Rußland setzten, selten bis nie erfüllt. Dafür ist Serbien für den russischen Bären eine zu kleine Schachfigur, auch wenn Moskau aktuell etwa die türkischen Ambitionen in den Gebieten auf dem Balkan, die Ankara zur historischen Einflußsphäre erklärt, mit Besorgnis betrachtet. Dennoch stoppte Wladimir Putin im Dezember überraschend den Bau der Erdgaspipeline South Stream und stieß damit Serbien vor den Kopf.

Belgrad scheint hin und hergerissen. Die EU sieht die politische Elite zwar weiterhin als erstrebenswerte Option. Eine Mehrheit der Serben ist sich da aber nicht so sicher und drückt in Umfragen ihre Sympathie für Rußland aus. Dem wiederum möchte Regierungschef Vucic begegnen indem er – mit Blick auf westliche Sorgen – versucht, im Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung die Wogen zu glätten: „Es ist ganz simpel: Serbien wird den Pfad nach Brüssel nicht verlassen. Aber natürlich wollen wir die traditionell guten Beziehungen zu Rußland bewahren. Das heißt nicht, daß wir eine Alternativroute suchen, nein, Serbien bleibt auf EU-Kurs. Punkt.“