© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/15 / 02. Oktober 2015

Endlich wieder eins
Chronik der Einheit: Anders als der 9. November 1989 ist der 3. Oktober 1990 kein emotional aufgeladenes Datum / Dieser Tag setzt eher den Schlußpunkt hinter markante Ereignisse und Entscheidungen auf dem Weg zur Wiedervereinigung

19. Dezember 1989

„Einheit unserer Nation“ 

DDR-Ministerpräsident Hans Modrow und Bundeskanzler Helmut Kohl vereinbaren Verhandlungen über eine „deutsch-deutsche Vertragsgemeinschaft“. Am Abend sagt Kohl in Dresden vor mehreren tausend begeisterten Zuhörern: „Mein Ziel bleibt, wenn die geschichtliche Stunde es zuläßt, die Einheit unserer Nation.“

Zwei Tage später hebt der Minister für Nationale Verteidigung, Theodor Hoffmann, den Schießbefehl für die DDR-Grenztruppen offiziell auf.

1. Februar 1990

Drei-Stufen-Plan

Modrow verkündet den Drei-Stufen-Plan „Für den Weg zu einem einheitlichen Deutschland“, der u.a. eine Konföderation vorsieht. Zuvor hatte Michail Gorbatschow in Moskau klargemacht, daß die Sowjetunion die DDR weder halten kann noch will.

Laut einer repräsentativen Umfrage befürworten 76 Prozent der DDR-Bürger eine Vereinigung beider deutscher Staaten.

8. Januar 1990

„Wir sind ein Volk!“

Auf der ersten Leipziger Montagsdemonstration nach der Weihnachtspause dominieren die Losungen „Wir sind ein Volk!“ und „Deutschland einig Vaterland“. 

Seit Jahresbeginn können Bundesbürger die DDR und Ost-Berlin ohne Visum und ohne Zwangsumtausch besuchen.

10. Februar 1990

„Alleiniges Recht der Deutschen“

In Moskau erhält Helmut Kohl die grundsätzliche Zustimmung der sowjetischen Führung zur deutschen Einheit: „Ich habe heute abend an alle Deutschen eine einzige Botschaft zu übermitteln. Generalsekretär Gorbatschow und ich stimmen darin überein, daß es das alleinige Recht des deutschen Volkes ist, die Entscheidung zu treffen, ob es in einem Staat zusammenleben will.“

11.-13. Februar 1990

Zwei-plus-vier

Am Rande der Abrüstungsverhandlungen in Ottawa einigen sich die vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs auf Verhandlungen mit beiden deutschen Staaten über die deutsche Einheit (Zwei-plus-vier).

18. März 1990

Freie Wahlen

Erste und einzige freie Volkskammerwahl in der DDR: Die bürgerliche „Allianz für Deutschland“, bestehend aus CDU, Demokratischer Aufbruch und DSU, geht mit 48,15 Prozent als klarer Sieger hervor. Die SPD erreicht 21,94 Prozent, die ehemalige Staatspartei SED (jetzt PDS) 16,33, die Liberalen 5,28 Prozent. Das Bündnis 90 erhält lediglich 2,91 Prozent. Die Wahlbeteiligung liegt bei 93,4 Prozent.

12. April 1990

Regierungsbildung

Die Volkskammer wählt Lothar de Maizière (CDU) zum Ministerpräsidenten einer großen Koalition aus den Allianzparteien CDU, DSU, DA sowie der SPD und den Liberalen, da dies „im Prozeß der Vereinigung beider Teile Deutschlands erforderlich“ sei.

28. April 1990

Widerstände weichen

Die Staats- und Regierungschefs der EG-Staaten stimmen in Dublin der Vereinigung Deutschlands zu. Zuvor hatten sich die britische Premierministerin Margaret Thatcher sowie der französische Präsident François Mitterrand aus Furcht vor deutscher Hegemonie gegen eine Wiedervereinigung gesperrt. Als die Regierungschefs von Holland und Italien eine Beteiligung an den Verhandlungen beanspruchten, beschied Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher sie mit den unmißverständlichen Worten: „You are not part oft the game!“

13. Juni 1990

Die Mauer ist weg

In Berlin beginnt der endgültige Abriß der fast 50 Kilometer langen Mauer, die die Stadt seit dem 13. August 1961 teilte. 

15. Juni 1990

Offene Vermögensfragen

Beide deutschen Regierungen veröffentlichen eine gemeinsame Erklärung zur Regelung offener Vermögensfragen. Zwar gilt der Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“, das heißt, in der DDR enteignetes Grundvermögen wird grundsätzlich den ehemaligen Eigentümern zurückgegeben.

Doch sollen Enteignungen, die auf besatzungsrechtlicher Basis zwischen 1945 und 1949 vorgenommen wurden, nicht mehr rückgängig gemacht werden. Kohl und Schäuble behaupten später, dies sei so von der Sowjet-union zur Bedingung ihrer Zustimmung zur Deutschen Einheit gemacht worden. Gorbatschow hat dieser Darstellung stets widersprochen.

17. Juni 1990

Gedenken

Zum ersten (und einzigen) Mal wird in der DDR offiziell der Opfer des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 gedacht.

21. Juni 1990

Staatsvertrag

Bundestag und Volkskammer verabschieden den Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion; außerdem die Entschließung über die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze.

Einen Tag später stimmt auch der Bundesrat dem Staatsvertrag zu, nur die SPD-regierten Länder Niedersachsen (Gerhard Schröder) und Saarland (Oskar Lafontaine) stimmen dagegen.

1. Juli 1990

Währungsunion

Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion tritt in Kraft. Damit wird die D-Mark zum alleinigen Zahlungsmittel in der DDR. Löhne, Gehälter, Mieten und Renten werden im Verhältnis 1:1 umgestellt, Sparguthaben und Bargeld gestaffelt umgetauscht. 

15./16. Juli 1990

Bündnisfrage

Beim Treffen mit Kohl im Kaukasus gibt Gorbatschow seine Zustimmung, daß das vereinte Deutschland selbst entscheiden darf, in welches Bündnis es eintritt.

22. Juli 1990

Fünf neue Länder

Die Volkskammer beschließt (mit Wirkung zum 14. Oktober) das Ländereinführungsgesetz; die seit 1952 zentralistische DDR wird föderativ. 

23. August 1990

Beitritt beschlossen

Die Volkskammer beschließt in nächtlicher Sitzung „den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 mit Wirkung vom 3. Oktober 1990“. Dieser Beschluß bedeute „nicht mehr und nicht weniger als den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik“, bedauerte der Vorsitzende der PDS-Fraktion, Gregor Gysi – was die Mitglieder der Regierungsfraktionen mit begeisterndem Beifall quittierten. 

31. August 1990

Einigungsvertrag unterzeichnet

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und DDR-Staatssekretär Günther Krause unterzeichnen in Berlin den etwa tausend Seiten umfassenden „Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands“.

12. September 1990

Zwei-plus-vier-Vertrag

Beim letzten Treffen der Zwei-plus-Vier-Gespräche in Moskau unterschreiben die Außenminister der Alliierten und der beiden deutschen Staaten den „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“. Faktisch ist es ein Friedensvertrag, auch wenn er nicht so heißt (u.a. um weitere Reparationsforderungen auszuschließen). Deutschland erhält die Souveränität zurück. Die alliierten Hoheitsrechte werden mit Wirkung vom 3.Oktober 1990 ausgesetzt. Reste des Besatzungsrechts bleiben jedoch in Kraft, etwa der Klageausschluß gegen Maßnahmen zum „Zwecke der Reparation oder Restitution oder aufgrund des Kriegszustands“. Auch die letztlich längst obsolete Uno-Feindstaaten-Klausel bleibt nominell in Kraft.

20. September 1990

Einigungsvertrag beschlossen

Bundestag und Volkskammer beschließen gegen die Stimmen von Grünen und PDS den Einigungsvertrag. Auch einige Abgeordnete der Unionsfraktion stimmen dagegen, etwa wegen der Abtreibungsregelung oder der Art, wie die Abtretung Ostdeutschlands anerkannt wurde.

24. September 1990

Austritt aus dem Pakt

Der Minister für Abrüstung und Verteidigung der DDR, Rainer Eppelmann, und der sowjetische Oberkommandierende des Warschauer Paktes, General Pjotr Luschew, unterzeichnen in Ost-Berlin ein Protokoll, das den Austritt der DDR aus dem Warschauer Vertrag besiegelt.

Bereits am 21. September hat Eppelmann die Grenztruppen der DDR aufgelöst. Einen Tag zuvor wurden den NVA-Soldaten die Uniformen der Bundeswehr ausgehändigt. Am 2. Oktober rollen die DDR-Streitkräfte in einem Appell ihre Truppenfahnen ein.

3. Oktober 1990

Einigungsvertrag in Kraft

Die DDR (16,1 Millionen Einwohner) tritt um Mitternacht der Bundesrepublik (63,6 Millionen Einwohner) bei. Vor dem Reichstagsgebäude feiern Hunderttausende: mit Feuerwerk, Läuten der Freiheitsglocke, Hissen der Bundesflagge und Nationalhymne.