© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/15 / 02. Oktober 2015

Geteilte Meinung zum ganzen Deutschland
„Bericht zur Deutschen Einheit“: Die 25-Jahre-Bilanz der Bundesregierung bemüht sich nach Kräften, dem Jubiläumsjahr gerecht zu werden
Christian Schreiber

Die Deutsche Einheit wird ein Vierteljahrhundert alt. Zu diesem Jubiläum war es der Bundesregierung offenbar wichtig, positive Nachrichten unter das Volk zu bringen. Die wichtigste Botschaft des rechtzeitig zu den Feierlichkeiten vorliegenden „Berichtes zur Deutschen Einheit“ lautet: „Die Einheit ist vollzogen und gelungen.“ Allerdings wird im Kleingedruckten eingeräumt, „daß noch viele Aufgaben vor uns liegen“. 

Bundeskanzler Helmut Kohl hatte  „blühende Landschaften“ versprochen, und seine Nachfolgerin Angela Merkel ist der Meinung, daß dieses Versprechen eingelöst wurde. „Der Aufbau Ost ist gelungen“, glaubt die Kanzlerin, und der Bericht ihrer Regierung strotzt nur so von positiven Aufzählungen: „Neben der guten Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes ist auch die Haushaltskonsolidierung weiter vorangeschritten. Der Schuldenstand der neuen Länder ist sogar deutlich niedriger als in westdeutschen Vergleichsländern“, heißt es dort. Zudem wird erwähnt, daß im vergangenen Jahr zum zweitenmal hintereinander mehr Menschen in die neuen Bundesländer kamen als wegzogen. „Ziel sind gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland. Bei der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzierungen wird deshalb auch beraten, ob und wie die speziellen Förderprogramme der neuen Länder nach und nach in ein gesamtdeutsches Fördersystem für strukturschwache Regionen überführt werden können.“

Auch wenn der Bericht sich um ein positives Fazit bemüht, kommen die Verfasser nicht um die Fakten herum. „Die recht positiven Entwicklungen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Abstand der ost- zur westdeutschen Wirtschaft immer noch recht groß ist.“ Die Wirtschaftsleistung des Ostens liege selbst mit Berlin bei nur 71 Prozent des Westniveaus. Zudem belegen die Zahlen, daß die Ostwirtschaft diese Kluft in den vergangenen sechs Jahren nicht mehr verkürzen konnte. „Auch der Abstand bei der Arbeitsproduktivität ist beachtlich, zudem gibt es immer noch starke Unterschiede bei Lohn- und Rentenniveau“, heißt es. 

Positives Bild im Volk

Die Bewertung der Wiedervereinigung durch die Bevölkerung falle in ganz Deutschland aber positiv aus: „77 Prozent der Ostdeutschen und 62 Prozent der Westdeutschen haben die Wiedervereinigung auch für sich persönlich als vorteilhaft erlebt“, heißt es in dem Bericht. Auch die allgemeine Lebenszufriedenheit sei im Osten (76 Prozent) und Westen (83 Prozent) sehr hoch. Nicht zu den verbreitenden Positiv-Meldungen der Regierung paßt übrigens ein Vorstoß des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium. Der Bund solle die Ende 2019 mit dem „Solidarpakt II“ auslaufende Förderung der neuen Bundesländer zu einem Umbau der Wirtschaftsförderung nutzen, heißt es in dem Gutachten. Statt den Ostländern wie heute Gelder auch für den Ausbau von Infrastruktur oder Arbeitsplätzen über den Länderfinanzausgleich zuzuweisen, sollten die Mittel künftig bundesweit nach einheitlichen und geschärften Kriterien über die „Gemeinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftsförderung“ verteilt werden. Damit kämen sie auch bedürftigen Regionen in Westen zugute.

Zahlreiche Ost-Medien sehen in dem Regierungsbericht eine „Einheits-Müdigkeit“. „Der Osten hinkt wirtschaftlich um ein Drittel hinterher – und das seit Jahren. Der Stillstand ist wie zementiert. Die Lebensperspektiven im Osten werden auf Dauer schlechter bleiben“, schreibt die Mitteldeutsche Zeitung. „Und der Westen wird weiter Ausgleichszahlungen leisten müssen. Eine breite Debatte wird sich freilich auch aus diesem Bericht und trotz des Jahrestages nicht ergeben. Es fehlt leider das Interesse.“ Die Bundesregierung sieht hingegen den Osten fit für den gesamtdeutschen Wettbewerb, wenn 2019 der Solidarpakt ausläuft: „Von 2011 bis 2014 konnten die ostdeutschen Flächenländer und ihre Gemeinden insgesamt Haushaltsüberschüsse erwirtschaften. Damit sind wichtige Weichen gestellt, daß die neuen Länder 2019 die Vorgaben der Schuldenbremse erfüllen und ab 2020 ausgeglichene Haushalte vorlegen können“, so der Bericht. 

Die Opposition äußerte sich skeptisch zu dem Papier der Regierung. „Nichts Neues“, kommentierte Linken-Fraktionschef Gregor Gysi. Auch Stephan Kühn, der Ost-Beauftragte der Grünen, sprach von „einem jährlichen Routinebericht, der keine neuen Erkenntnisse liefert“.