© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/15 / 02. Oktober 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Königin der Welt
Marcus Schmidt

Ausgerechnet Wolfgang Bosbach. Als wäre Bundeskanzlerin Angela Merkel angesichts fallender Umfragewerte nicht schon gebeutelt genug, zog nun im ZDF-Politbarometer ausgerechnet auch noch einer der hartnäckigsten parteiinternen Kritiker an der Kanzlerin vorbei. Unter den zehn beliebtesten Politikern rangiert Merkel hinter Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), SPD-Chef Sigmar Gabriel und Bosbach nur noch auf Platz vier.

Auch wenn es sich bei der Umfrage um eine Momentaufnahme handelt, wird immer deutlicher: der Unmut über Merkels Kurs in der Asylkrise wächst – auch in den eigenen Reihen. Die Schwesterpartei CSU hat sich in der Flüchtlingsfrage bereits vor Wochen von Merkel abgesetzt. Nun wird übereinstimmend berichtet, daß in der vergangenen Woche in der Sitzung der CDU/CSU-Fraktion hinter verschlossenen Türen deutliche Kritik an Merkel laut wurde. Die Kanzlerin reagierte dem Vernehmen nach unwirsch. „Ist mir egal, ob ich schuld bin am Zustrom der Flüchtlinge, nun sind sie halt da“, beschied sie ihren Kritikern. Merkel, so scheint es immer mehr Beobachtern, hat sich verrannt.

Oder war Merkels vor allem im Ausland als großzügig wahrgenommene Geste, Zehntausende in Ungarn gestrandete Flüchtlinge nach Deutschland einreisen zu lassen, gar nicht so selbstlos wie bislang angenommen? Verfolgt sie damit einen Plan? Denn es gibt mittlerweile auch eine ganz andere Deutung für Merkels Verhalten in der Asylkrise.

Szenenwechsel. 6.400 Kilometer von Reichstag und Kanzleramt entfernt, in New York, tagt die Vollversammlung der Vereinten Nationen. Neben Papst Franziskus, dem Star des Auftakts in der vergangenen Woche, stand Merkel als „mächtigste Frau der Welt“ im Fokus. Der  Auftritt der „Flüchtlingskanzlerin“ vor der Vollversammlung, wo Merkel unter anderem für eine „bessere Welt“ eintrat, kam am East River gut an. So gut, daß es ein Gerücht bis ins ferne Berlin geschafft hat: Merkel strebe an die Spitze der Weltorganisation. Der Zeitpunkt scheint günstig, denn Ende kommenden Jahres scheidet der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, aus dem Amt. Seine Nachfolgerin könnte – als erste Frau – Merkel werden. Derlei Spekulationen sind nicht neu, sondern spielten bisher in allen „Ausstiegsszenarien“ eine Rolle, die sich mit dem Ende von Merkels Kanzlerschaft beschäftigen. Doch nun könnte es konkret werden. 

Dazu paßt, daß die 61jährige mehrfach zu erkennen gegeben hat, sie wolle nach Möglichkeit freiwillig aus dem Amt scheiden. Bislang wurden alle Überlegungen über einen Wechsel nach New York mit Hinweis auf den ungünstigen Zeitplan verworfen. Denn die Vereinten Nationen wählen bereits Mitte 2016 einen neuen Generalsekretär. Merkel hat dagegen mehrfach beteuert, sie wolle bis zum Ende der Legislaturperiode 2017 im Amt bleiben. Doch würde sie sich an dieses Versprechen gebunden fühlen, wenn sie als „Anschlußverwendung“ tatsächlich an die Spitze der Weltgemeinschaft rücken könnte? Vermutlich nicht.