© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

Knapp daneben
Alte sind heute anders
Karl Heinzen

Offenburg ist das Canossa der öffentlich-rechtlichen Fernsehunterhaltung. Hier verkündete Thomas Gottschalks Nachlaßverwalter Markus Lanz im April 2014 das Ende des ZDF-Klassikers „Wetten, dass ...?“ Anderthalb Jahre später läuteten die ARD-Kollegen Alexander Mazza und Francine Jordi am gleichen Ort den Niedergang des zur „Stadlshow“ mutierten „Musikantenstadls“ ein. Eigentlich hatte das Moderatorenpärchen der von Karl Moik begründeten Kultsendung doch neuen Schwung geben sollen, um nicht länger nur in Würdelosigkeit alt gewordene, sondern peinliche Menschen aller Generationen zum Reinzappen zu bewegen. Das Experiment mißlang jedoch gründlich. 2014 hatte der „Musikantenstadl“ im Durchschnitt noch knapp vier Millionen Zuschauer in den Schlaf gesungen. Das Debüt des Neuaufgusses lockte gerade einmal 2,5 Millionen in den gemütlichen Fernsehsessel.

Die Rentner von heute sind agil und selbstbewußt und haben Jagger, Dylan und Hendrix im Ohr.

Andy Borg, der nach fast zehn Jahren als Stimmungskanone der Sendung in die Wüste geschickt worden war, weil man ihn für zu scharfkantig hielt, darf sich in seiner Kritik bestätigt fühlen, der Stadl werde in den Ruin getrieben, wenn man ihn auf Gedeih und Verderb an jugendlichen Zielgruppen ausrichte.

Die Demographie gibt ihm recht. Jugendliche fallen zahlenmäßig in unserer Gesellschaft immer weniger ins Gewicht, und wenn sie sich überhaupt für volkstümliche Schlager begeistern können, werden es qua ihrer Herkunft eher türkische, arabische oder russische als deutsche sein. Allerdings läßt Andy Borg außer Betracht, daß die alten Menschen von heute nicht mehr mit jenen vergangener Zeiten vergleichbar sind. Als der „Musikantenstadl“ 1981 auf Sendung ging, wandte er sich an eine erschöpfte und verschüchterte Generation, die den Krieg und die Mühen des Wiederaufbaus hinter sich hatte. Die Rentner von heute jedoch sind agil und selbstbewußt, und im Ohr haben sie nicht den Sound der Volksgemeinschaft, sondern jenen ihrer Jugendidole Mick Jagger, Bob Dylan und Jimi Hendrix. An Spießern ist auch unter ihnen kein Mangel. Diese sind aber zu eitel, als daß sie sich durch eine Fernsehsendung den Spiegel vorhalten ließen.