© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

Im Namen der Dreieinigkeit
Vor 200 Jahren wurde die „Heilige Allianz“ der kontinentalen Sieger über Napoleon verkündet
Jan von Flocken

Als Kaiser Franz I. von Österreich das Schreiben 1815 studiert hatte, war er überzeugt, sein Verfasser müsse endgültig verrückt geworden sein. Großbritanniens Außenminister Lord Castlereagh erklärte im internen Kreis, es sei ihm schwergefallen, nach der Lektüre nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Dieses eigenartig sentimentale Dokument stammte aus der Feder des russischen Zaren Alexander I.

Der seit 1801 regierende absolute Monarch ließ nach dem Sieg über Napoleon seinem religiösen Mystizismus ungehemmten Lauf. „Während seiner gesamten Regierungszeit schreckte er vor systematischen Gedankengängen zurück und zog Intuition und Gefühl der Realität vor. (...) Sein Verhalten war oft geprägt von religiöser Überempfänglichkeit und Ekstase“, urteilt Alexanders Biograph Alan Palmer. Anfang September 1815 legte der Zar in Paris, das vor den Alliierten kapituliert hatte, seinen Verbündeten Preußen, Österreich und Großbritannien ein Abkommen vor, das als „Heilige Allianz“ in die Geschichte einging.

1818 trat auch Frankreich der Heiligen Allianz bei

Was dann aber am 26. September 1815 offiziell verkündet wurde, waren nicht so sehr Alexanders Auffassungen über eine christliche Friedensunion mitsamt ihren schwärmerisch-moralischen Ergüssen. Österreichs Staatskanzler Klemens von Metternich hatte dieses Dokument überarbeitet, um damit einer disziplinierten konservativen Regierungsform das Fundament zu verleihen und die politische Entwicklung Europas zu überwachen. „Im Namen der heiligen unteilbaren Dreieinigkeit“ verkündeten die Monarchen nun der Welt, „daß die gegenwärtige Vereinbarung lediglich den Zweck hat, vor aller Welt ihren unerschütterlichen Entschluß zu bekunden, sowohl als Richtschnur ihres Verhaltens in der inneren Verwaltung ihrer Staaten als auch in den politischen Beziehungen zu jeder anderen Regierung allein die Gebote dieser heiligen Religion anzusehen, Gebote der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens.“ Man versicherte sich des gegenseitigen Beistandes und betonte, die Fürsten sollten sich untereinander als Brüder, ihre Untertanen als die ihnen anvertrauten Kinder ansehen, von deren Erziehung sie Rechenschaft geben mußten.

Die starke Betonung des Religiösen war insoweit problematisch, als Zar Alexander der orthodoxen Glaubensrichtung angehörte, Kaiser Franz I. der römisch-katholischen und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen der evangelischen. Gleichwohl zeigten sie sich einig, nach den Verwüstungen der napoleonischen Kriege alles zu unternehmen für die Ruhe und das Gedeihen der Völker sowie für die Aufrechterhaltung des europäischen Friedens. Letztlich lief das aber auf eine Restauration der absoluten Monarchie hinaus. Durch eine gemeinsame Kongreß- und Interventionspolitik sollte nicht nur jegliche Revolution, sondern auch die Herausbildung liberaler oder freiheitlicher Bewegungen unterdrückt werden.

Der Einladung, dieser Allianz beizutreten, folgten alle Länder Europas bis auf den italienischen Kirchenstaat, weil der Papst „von jeher allein im Besitz der christlichen Wahrheit gewesen“ sei, und Großbritannien, weil die englische Verfassung eine bloß persönliche Verpflichtung des Staatsoberhauptes nicht zulasse. 1818 wurde Frankreich von den alliierten Besatzungstruppen geräumt und als gleichberechtigte europäische Macht der Heiligen Allianz anerkannt. Die beteiligten Mächte trafen sich zunächst jedes Jahr zu Kongressen: 1820 im mährischen Troppau, 1821 im krainischen Laibach und 1822 in Verona, wo die Bekämpfung der bürgerlichen Revolution in Süditalien sowie Aufstände in Spanien gegen das absolutistische Königtum und in Griechenland gegen die türkische Fremdherrschaft auf der Tagesordnung standen.

Namentlich in Deutschland wirkte sich die Heilige Allianz ungünstig aus. Jede Bestrebung nach einer nationalen Einheit wurde strafrechtlich verfolgt, weil dadurch die Legitimität der Fürsten in Frage gestellt war. Ein Resultat des ersten Kongresses der Heiligen Allianz 1818 in Aachen waren die berüchtigten „Karlsbader Beschlüsse“ vom September 1819. Durch mehrere Gesetze wurden damit die Presse- und Meinungsfreiheit extrem eingeschränkt, Studenten und Universitäten auf politische Korrektheit hin überwacht, die populären Turnerschaften verboten sowie gegen liberal oder national gesinnte Lehrkräfte ein Berufsverbot ausgesprochen.

Erst mit dem Krimkrieg 1853 zerbrach das Bündnis

Die angestrebte Friedensordnung  der Heiligen Allianz samt ihren Versprechungen, „daß alle Menschen sich wie Brüder zu betrachten haben“ und daß man stets „die Gebote der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens“ befolgen werde, stand nur auf dem Papier. Zar Alexander I., der sich als Gottes Werkzeug zum Ordner und Wiederhersteller der erschütterten Welt berufen fühlte, zögerte nicht, die liberale Revolution in Spanien 1823 durch Interventionstruppen blutig unterdrücken zu lassen und den Freiheitskampf Griechenlands gegen die Türken zu hintertreiben.

Nach dem Tod des Zaren bzw. seinem bis heute rätselhaften Verschwinden Ende 1825 verlor die Heilige Allianz merklich an Schwung. Im Gefolge der Julirevolution trat Frankreich 1830 aus, womit ihr gesamteuropäischer Charakter schon stark in Frage gestellt war. Versuche einer Neuauflage scheiterten drei Jahre später während der Konferenz im böhmischen Münchengrätz. Die dort geschlossenen (und geheimgehaltenen) Verträge betrafen nur noch Preußen, Österreich und Rußland; die westeuropäischen Staaten ließen sich nicht mehr in die Allianz einbinden. Nach dem Krimkrieg 1853 bis 1856 (Rußland gegen England und Frankreich) brach das Bündnis endgültig auseinander.

Fotos: Zar Alexander I., Kaiser Franz I. und König Friedrich Wilhelm III., Kupferstich von J.C. Bock: Gottes Werkzeuge der Restauration; Urkunde der Heiligen Allianz vom 26. September 1815: Ungünstig für Deutschlands Freiheits- und Einheitsbestrebungen