© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

„Das Asylsystem darf nicht überfordert werden“
Diskussion um Fachkräfte: In der Wirtschaft wächst die Angst vor dem massenhaften Zustrom unqualifizierter Migranten
Jörg Fischer

Die meisten Flüchtlinge sind jung, gut ausgebildet und hoch motiviert. Genau solche Leute suchen wir“, behauptete Dieter Zetsche vor drei Wochen. Die Asylsuchenden könnten wie einst die Gastarbeiter „helfen, unseren Wohlstand zu erhalten beziehungsweise zu vermehren“, so der Daimler-Chef in der Bild am Sonntag. Da man Arbeitsplätze nicht mehr allein mit Deutschen besetzen könne, sollte man in den Aufnahmezentren „über Möglichkeiten und Voraussetzungen informieren, in Deutschland oder bei Daimler Arbeit zu finden“. Ähnlich äußerten sich andere Arbeitgebervertreter.

Keine zwei Wochen später warnten die Verbandspräsidenten der Arbeitgeber (BDA), Industrie (BDI), Handelskammertag (DIHK) und Handwerk (ZDH), daß die von Medien, Politik und Wirtschaft propagierte Willkommenskultur auch Risiken birgt: Das Asylsystem in Deutschland dürfe „nicht überfordert werden“, schrieben Ingo Kramer, Ulrich Grillo, Eric Schweitzer und Hans Peter Wollseifer in einer gemeinsamen Erklärung. „Abgelehnte Asylbewerber müssen möglichst schnell in ihre Herkunftsländer zurückgeführt und Arbeitsmigration über das Asylsystem verhindert werden.“

„Kaum oder gar nicht qualifiziert“

Trotz zahlreicher Integrationsprojekte gebe es „enorme Herausforderungen“: „Viele Flüchtlinge sind kaum oder gar nicht qualifiziert, etliche waren bisher sogar ohne Chance auf Schulbildung. Selbst gut bis exzellent qualifizierte Flüchtlinge haben in der Regel keine deutschen Sprachkenntnisse.“ Um diese Defizite auszugleichen, müsse der Steuerzahler ran: „Die Förderinstrumente der Arbeitsagenturen und Jobcenter müssen allen Asylsuchenden mit Bleibeperspektive und Geduldeten zugänglich gemacht werden“, so die vier Arbeitgeberverbandschefs. Auch Arbeitsministerin Andrea Nahles rechnet nicht mit neuen Gastarbeitern, sondern 2016 mit bis zu 460.000 zusätzlichen Hartz-IV-Empfängern, 2019 sogar mit einer Million. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kommt zu noch ernüchternderen Prognosen: „Langfristig liegt der Erwerbstätigenanteil bei rund 55 Prozent, kurzfristig sehr viel niedriger.“ Dies sei deutlich weniger als bei EU-Bürgern oder Drittstaatlern mit Aufenthaltstitel zu Erwerbszwecken (etwa in der Gastronomie, Landwirtschaft oder Pflege), deren Erwerbsquote bei 75 Prozent liege.

Grundsätzlich gebe es über die Qualifikation der Asylbewerber nur vage Schätzungen: Laut einer Stichprobe von 2013 verfügten 13 Prozent über ein Studium, 24 Prozent über einen mittleren Abschluß und 58 Prozent über keine Berufsausbildung. Diese Angaben bezögen sich aber nur auf jene, „denen es gelungen ist, in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis zu erlangen“, so das der Bundesagentur für Arbeit unterstellte IAB. Eine Befragung unter Teilnehmern des EU-geförderten „Bleiberechtsprogramms“ und des IAB-Projekts „Early Intervention“ ermittelte sogar zwei Drittel Berufslose – wie viele Analphabeten darunter sind, weist das IAB nicht aus.

Der Hartz-IV-Bezug unter Ausländern (im Schnitt 16,5 Prozent) ist bei den 15 zugangsstärksten Asylherkunftsländern höchst unterschiedlich. Während die Quote bei den Nicht-EU-Bürgern aus dem Westbalkan zwischen zehn und 20 Prozent liegt, waren es 2014 bei Bürgern aus den Ländern Irak 59, Syrien 49, Afghanistan 45,2 und Pakistan 34,4 Prozent. Die Beschäftigungsquote bei den in Deutschland lebenden Syrern lag sogar nur bei 16,1 Prozent – und damit nur etwa halb so hoch wie bei Afghanen, Irakern oder Pakistani.

IAB-Studie „Asyl- und Flüchtlingsmigration in die EU und nach Deutschland“:  www.iab.de