© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

Tsipras freut sich auf die erste Schlacht mit Brüssel
Griechenland: Mit seinem Neuwahl-Coup entledigte sich der Syriza-Chef der innerparteilichen Opposition / Geringe Wahlbeteiligung als Warnsignal
Stefan Michels

Wozu überhaupt Wahlen?“ fragte die konservative Zeitung Estia nach Syrizas überraschend deutlichem Wahlsieg bei den griechischen Parlamentswahlen vergangenen Sonntag. 35,5 Prozent konnte die Partei des alten und neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras auf sich vereinigen. Nea Dimokratia, die Partei des konservativen Herausforderers Evangelos Meimarakis, landete trotz enger Prognosen im Vorfeld deutlich geschlagen bei 28,1 Prozent. Die Wahl hat damit die bisherigen Kraftverhältnisse in Athen auf nahezu identische Weise reproduziert. Die Wählervoten beider Parteien verschoben sich lediglich um Bruchteile eines Prozents. Allerdings bei einer deutlich geringeren Wahlbeteiligung von 55 Prozent. 

Die fünfte Wahl in drei Jahren hat bei den Griechen erkennbare Wahlmüdigkeit ausgelöst. Das wichtigste Resultat: Der Aufstand der Drachmenpartei „Volkseinheit“ gegen Tsipras ist gescheitert. Der frühere Linksflügel der Partei, der sich aus Protest gegen das dritte Hilfs- und Reformpaket abgespalten und damit die Neuwahlen notwendig gemacht hatte, verpaßte den Einzug ins Parlament. Der alte Koalitionspartner von Syriza, die Partei der „Unabhängigen Griechen“, ist dagegen wieder im Boot. Tsipras hat jetzt freie Hand, die Beziehungen zur EU ohne Störfeuer aus den eigenen Reihen zu gestalten. „Es ist ein gewaltiger persönlicher Sieg für ihn, angesichts der Spaltung seiner Partei infolge seiner Unterschrift unter das dritte Rettungspaket“, sagte der politische Beobachter Aristides Hatzis. „Jeder in der Partei wird nun der Parteilinie folgen müssen.“

Der Syriza-Chef steht vor riesigen Herausforderungen. Bereits im Oktober findet die erste Überprüfung der Reformfortschritte statt, an deren Erfolg die Auszahlung der EU-Tranchen gekoppelt ist. In Brüssel registrierte man mit heimlichem Wohlwollen das Athener Wahlergebnis. 

Lieber eine Linke in Regierungsverantwortung, die kooperiert, so heißt es hinter vorgehaltener Hand, als eine, die auf der Straße dagegen opponiert. EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker forderte „ die zügige Umsetzung der Reformen, damit Vertrauen wiederkehren kann“, während Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem sich nach der Wahl auf Twitter demonstrativ anspielbar gab: „Bereit, mit der griechischen Regierung eng zusammenzuarbeiten.“ Daß es dieses Mal um alles geht, scheint im Bewußtsein der Griechen angekommen zu sein. „Allerletzte Chance für das Land und für Tsipras“, titelte die Tageszeitung Eléftheros Týpos als Reaktion auf den Wahlausgang. Tsipras selbst erklärte die anstehenden Brüsseler Gespräche nach seiner Wahl zur „ersten Schlacht“. 

Dabei wird er auch davon profitieren können, daß sich nach dem Ausscheiden der „Volkseinheit“ die Reihen der Fundamentalopposition im Parlament gegen das „EU-Diktat“ deutlich gelichtet haben. Lediglich die Kommunisten (5,6 Prozent) und die Goldene Morgenröte vertreten zur Zeit noch diese Position. Letztere etablierte sich mit sieben Prozent als drittstärkste Kraft.

Nach seiner Vereidigung als Ministerpräsident kritisierte Tsipras, daß die EU keine Maßnahmen unternommen habe, um sein Land vor einer „Flüchtlingswelle zu schützen, die unkontrollierte Dimensionen angenommen hat“. Besonders die griechischen Inseln Lesbos und Kos sind in diesem Jahr zu den Haupteinfallstoren für Hunderttausende Zuwanderer geworden, die von der Türkei aus über die Balkanroute weiter nach West- und Nordeuropa vordringen.