© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Knapp daneben
Wer gar nichts wird, wird Volkswirt
Karl Heinzen

Auch Ökonomen haben Gefühle. Als Wissenschaftler mögen sie sich zwar in mathematischen Modellwelten bewegen, die kaum einen Realitätsbezug haben. Als Menschen, die sie nebenbei auch noch sind, bekommen sie aber mit, was um sie herum geschieht und leiden an der Unzulänglichkeit der Welt.

So ist ihnen keineswegs entgangen, daß ihr Rat nicht mehr gefragt ist. Die Politik betrachtet sie als nutzlos, weil sie die große Wirtschaftskrise nicht voraussahen und auch jetzt kein Konzept bieten, wie man aus ihr wieder herausfinden könnte. Manche Vertreter der Disziplin dürfen zwar noch in Kommentarspalten und Talkshows den Experten mimen. Die Öffentlichkeit lacht aber über sie, wenn sie nur den Mund aufmachen und ihre hölzernen Dogmen aufsagen. Dies stimmt sie sehr traurig.

Melancholie durchwehte daher die Jahrestagung der European Economic Association, zu der sich die führenden Wirtschaftswissenschaftler unseres Kontinents soeben an der Universität Mannheim versammelten.

Wer eine Karriere an Hochschulen einschlägt, gesteht, daß er für die wirkliche Welt nicht zu gebrauchen ist.

Was können wir unseren Studenten überhaupt noch guten Gewissens mit auf den Weg geben, fragten sie sich in nackter Verzweiflung, wenn sogar wir selber erkennen müssen, daß mit unseren Theorien irgend etwas nicht stimmt? Eine schlüssige Antwort kam ihnen auch hierzu nicht in den Sinn.

Die Zerknirschung der Ökonomen ist aber immer noch nicht groß genug, daß sie die Bedingungen ihrer eigenen beruflichen Existenz hinterfragen würden. Die Antwort darauf weiß der Volksmund: Wer nichts wird, wird Wirt. Wer gar nichts wird, wird Volkswirt. Wer eine Karriere an Hochschulen einschlägt, gesteht damit ein, daß er für die wirkliche Welt da draußen nicht zu gebrauchen ist. Er sollte daher auch nicht wagen, sie erklären zu wollen. Ökonomen haben zu lange versucht, sich mit mathematischen Methoden den Anschein naturwissenschaftlicher Exaktheit zu geben. Darüber haben sie vergessen, daß sie im Kern vor allem Theologen des Diesseits sind. Ihre Aufgabe ist es, dem verstörenden Chaos der globalen Wirtschaft einen höheren Sinn anzudichten. Dieser Trost ist heute nötiger denn je.