© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Schluß mit dem „Fremdkräuterhaß“
Der Genetiker Volkmar Weiss räumt mit Vorurteilen gegenüber Neophyten auf
Heiko Urbanzyk

Für hysterische Stimmen, die vor invasiven Pflanzenarten (Neophyten) warnen, die unsere heimische Natur „unterminieren“, hat Volkmar Weiss nichts übrig. „Gehölzrassismus“ und „Fremdkräuterhaß“ nennt er das in seinem Buch „Die rote Pest aus grüner Sicht“. Die „rote Pest“ ist das Rote Springkraut (Impatiens glandulifera), das aus dem Himalaya den Weg in deutsche Botanik fand. Was dem Bund Umwelt- und Naturschutz als verdächtiger Eindringling gilt, der „unerwünschten Druck auf konkurrierende einheimische Pflanzen“ ausübe, sieht Weiss als „mittlerweile so heimisch und nützlich geworden“ an, daß es sogar die Imker aussäen, um ihren Bienen eine späte Blüte in futterarmer Jahreszeit anbieten zu können. Die lautesten Warner sieht er dort, wo mit der Neophyten-Angst das meiste Geld verdient wird: in der Forschung und Umweltvereinigungen.

Weiss, spürbar angewidert von wissenschaftlichen Halbwahrheiten und ideologischem Geschwätz, erörtert am Beispiel der Springkräuter, warum die Neophyten-Panik zumindest nicht in allen Fällen berechtigt sei. Er wagt dabei einen dankenswerten Ausflug in die geistigen Grundlagen und Entwicklungen des heutigen Naturschutzes.


Invasive Pflanzen als Spätheimkehrer


Zeitgenössischen Naturschützern mit ihrer Daueralarmstimmung kann Weiss nichts abgewinnen. Sie verstünden unter Umweltschutz einzig die sinnlose Blockade und damit wenn nicht Verhinderung, so doch unnötige Verteuerung wichtiger Bauprojekte. Der Wunsch nach einer „unverfälschten Natur“ stehe aber für einen Naturschutz ohne positiven Gestaltungswillen. Nicht zu Unrecht weist der Biologe darauf hin, daß sich die Landschaft in einem ständigen Wandel befinde. Im Botanischen Garten Stuttgart-Hohenheim werde die Entwicklung unserer heimischen Vegetation seit der letzten Eiszeit gut veranschaulicht. „Das Wirken des Menschen ist in diesem Ablauf bisher nur eine Episode, für die Erdgeschichte insgesamt wohl aber nicht mehr als ein Fliegendreck.“

Mit besonderem Blick auf die Neophyten legt der Genetiker, der einst Thilo Sarrazin als Quelle für die Vererblichkeit von Intelligenz diente, gut nachvollziehbar dar, wie die Pflanzenwelt Europas unter dem Druck der Eiszeit auswanderte. „Bei den Neophyten handelt es sich teilweise um Arten aus Gattungen, die bei uns wegen der Eiszeiten erloschen sind. Diese Pflanzen sind daher so etwas wie Spätheimkehrer.“

Uns historisch näher legt Weiss dar, wie im frühen 20. Jahrhundert Botaniker in völkischem Ton vor der Ausrottung des Großen Springkrauts durch das invasive Kleine Springkraut warnten. Der Reichsfachwart Gartenbau, Johannes Boettner, mahnte im Jahr 1939 seine Zunft: „Wir können nicht abseits stehen, wo das neue Deutschland gebaut wird.“ Alle Warnungen vor dem „Mongolen“, der den Deutschen zu verdrängen suche, hätten sich aber letztlich als falsch herausgestellt.

Im Tonfall und der Hysterie sieht Volkmar Weiss heutige rot-grüne Naturschützer im Fahrwasser ihrer ungeliebten völkischen Vorbilder. Warum die grenzenlose Einwanderung von Menschen aus aller Herren Länder nach Deutschland diesen Personen genauso wichtig ist wie ihr „Pflanzenrassismus“, versetzt ihn in Staunen. Denn gerade im Reich der Springkräuter kann er keine nennenswerte Gefahr durch Einwanderung erkennen.


Bild: Blühendes Rotes

Springkraut (Impatiens glandulifera) mit Biene:

Wertvoll als Bienen- und Hummelnahrung und heimisch geworden, ist Panik nicht angebracht