© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Mit dem Rücken zur Wand
Türkei: Im Konflikt zwischen Ankara und der PKK droht die Kurdenpartei HDP zerrieben zu werden
Josef Hämmerling

Selahattin Demirtas, Vorsitzender der kurdischen Oppositionspartei HDP, steht mit dem Rücken zur Wand. Obwohl er die linksorientierte Demokratische Partei der Völker (HDP) bei den Parlamentswahlen am 7. Juni 2015 mit 13,1 Prozent ins Parlament brachte, geraten sowohl er als auch seine Partei immer stärker unter Beschuß.
Dieser eher unerwartete Sprung über die Zehnprozentklausel führte zum Verlust der absoluten Mehrheit der Partei des Präsidenten Recep Erdogan (AKP), die nun seit Wochen besonders harte Angriffe gegen den Oppositionschef führt. Der Hauptvorwurf lautet, die HDP paktiere mit der Terrororganisation PKK und unterstütze sie. Ja, sie sei sogar der politische Arm der PKK.
Demirtas bestreitet das vehement. Aber zumindest bei einigen Politikern der Partei besteht der Verdacht, in die Türkei eingesickerte PKK-Kämpfer mit Geld und Naturalien versorgt zu haben. Unterstützt werden diese Vorwürfe auch durch in den Sozialen Medien aufgetauchte Videos, in denen die PKK ihre Anhänger zur Wahl der HDP aufforderte. So etwa von Cemil Bayik, einem der drei höchsten PKK-Führer.
Futter für die Regierung in dem seit Wochen eskalierenden Kampf gegen die PKK-Freischärler im Südosten der Türkei und in den, auf irakischem Gebiet liegenden, Kandilbergen (JF 35/15). „Leider“, so der Vizepremier Cevdet Yilmaz gegenüber der Nachrichtenagentur Anadolu, sehe man wieder und wieder, daß es der HDP nicht nur an starkem politischem Willen fehle, sondern daß es die PKK sei, die in erster Linie deren Politik bestimme. Die Folge: rund einhundert ermordete Mitglieder der türkischen Sicherheitskräfte,  Hunderte PKK-Mitglieder sowie mehr als 20 Zivilisten getötet.
Die Wut gegen die HDP eskalierte, als die PKK vor knapp zwei Wochen im südtürkischen Daglica einen Militärkonvoi bombardierte und 16 Soldaten tötete. In der Folge kam es in der ganzen Türkei zu Angriffen aufgebrachter Türken, die sich vor allem gegen die Partei Demirtas’ sowie einige Medien wie die AKP-kritische Hürriyet richteten. So wurde etwa das HDP-Büro in Alanya in Brand gesetzt. In mehreren Städten kam es zu Beschädigungen der Parteibüros.
Zwar verurteilte der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu diese Angriffe im Anschluß als „inakzeptabel“, erklärte aber zugleich, der Kampf gegen die PKK werde „mit aller Entschlossenheit“ fortgesetzt. Und auch Präsident Erdogan forderte die PKK zum wiederholten Male auf, ihre Waffen „bedingungslos niederzulegen“ und kündigte weitere Militärschläge gegen sie an.
Beinah im gleichen Atemzug ruft der Sprecher des Staatspräsidiums, Ibrahim Kal?n, bereits im Hinblick auf die Parlamentswahlen am 1. November, über die Türkische Hörfunk- und Fernsehanstalt TRT das Wahlvolk auf, Fragen an die HDP zu stellen: „Stellt denen die folgenden einfachen Fragen. Ist die PKK eine Terrororganisation oder nicht? Verurteilen Sie die Gewalt von PKK oder nicht? Akzeptieren Sie, daß die kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG, ein bewaffneter Ableger von PKK und ihrer syrischen Partnerorganisation PYD, in der Türkei, im Irak und in Syrien Kindersoldaten einsetzen? Warum schweigen Sie vor Menschenrechtsverletzungen und Mißbräuchen in den von PYD kontrollierten Gebieten? Kurzum sind Sie auf der Seite von Demokratie oder an der Seite vom Terror?“
Demirtas läßt alle Anschuldigungen abprallen und ruft stattdessen PKK und AKP zur Aufnahme von Gesprächen auf. Er glaube fest daran, so der 42jährige, daß die PKK-Kämpfer die Waffen niederlegen würden, wenn Ankara die abgebrochenen Friedensgespräche wiederaufnehmen würde.