© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Chronische Unzufriedenheit mit der Politikerkaste
Griechenland: Die Wähler werden zum dritten Mal in kurzer Zeit an die Urne gerufen / Schwierige Koalitionsverhandlungen erwartet
Stefan Michels

Im Mutterland der Demokratie wird von der Erfindung des Wahlrechts wieder ausgiebig Gebrauch gemacht. Bereits zum dritten Mal in diesem Jahr sind die Griechen am kommenden Sonntag zu einem nationalen Wahlgang aufgerufen. Anders als bei Syrizas Wahlsieg im Winter und dem Referendum im Juli, als die Zeichen auf Rebellion standen, handelt es sich aber um keine Richtungswahl. Der Stützungsplan der Eurogruppe, den der damalige Ministerpräsident Alexis Tsipras nach hinhaltendem Widerstand akzeptieren mußte, um das Land vor der Zahlungsunfähigkeit und dem Austritt aus der Eurozone zu bewahren, wird von keiner der beiden großen Parteien zur Disposition gestellt.

Tsipras’ Hin und Her
irritiert viele treue Wähler


Im Gegenzug für das 86 Milliarden  schwere EU-Rettungspaket mußte sich der Syriza-Chef auf tiefgreifende Reformen zur Sanierung der maroden Wirtschaft verpflichten. Diese Zugeständnisse wurden vom linksradikalen Flügel seiner Partei als eine Kapitulation vor dem Diktat der Geberländer empfunden; 25 Abgeordnete spalteten sich im August von seiner Fraktion ab und erzwangen so den Rücktritt des Ministerpräsidenten und die Neuwahlen.
Die Volkseinheit (LAE) unter Führung von Panagiotis Lafazanis, auf Anhieb die drittgrößte Partei im Parlament, fordert das Ende des Schuldendienstes und der Sparauflagen und wäre dafür auch bereit, den „geordneten“ Ausstieg aus dem Euro zu vollziehen. Lafazanis zufolge würde „eine nationale Währung keine Katastrophe“ darstellen und wäre für das griechische Volk „nicht schlimmer als die Schwierigkeiten, mit denen man durch das neue Memorandum“ konfrontiert werde.
Unterdessen hat sich die konservative Nea Dimokratia unter dem Vorsitz von Evangelos Meimarakis von ihrer schweren Wahlniederlage im Januar deutlich erholt. Syriza, die mit ihrer radikalen Rhetorik gegen die verhaßte Troika lange Zeit die politische Bühne dominierte, hat unter dem Eindruck von Tsipras’ schlußendlichem Einlenken Enttäuschung unter ihren Anhängern ausgelöst. Die jüngsten Umfragen, die beide Parteien bei 26 bis 28 Prozent verorten, deuten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hin. Keine Partei konnte bislang in den Umfragen mehr als die 36 Prozent auf sich vereinigen, die für die Bildung einer parlamentarischen Mehrheit notwendig sind.
Meimarakis erklärte bereits vergangenes Wochenende, daß er im Falle eines Wahlsiegs seiner Partei beabsichtigt, eine möglichst breite Koalitionsregierung zu bilden. „Diese Regierung wird einer Nationalmannschaft gleichen.“ Die einzige politische Vorbedingung sei die Zustimmung zum Verbleib des Landes im Euroraum. Zudem wolle er sicherstellen, daß „die besten Leute dabei sind, nicht nur aus den Parteien, sondern auch aus der Gesellschaft, der Wirtschaft und dem institutionellen Bereich“. Bei Syriza gibt man sich zum Verhandlungsangebot bedeckt. Eine Große Koalition soll es nicht sein. Doch die schlechten Umfragewerte des ehemaligen Koalitionspartners Unabhängige Griechen (Anel) schränken  den politischen Spielraum ein. Insgesamt sieben bis neun Parteien wird der Sprung über die Dreiprozenthürde zugetraut.

Goldene Morgenröte
kann auf Zugewinne hoffen


Die Folge könnten langwierige Koalitionsverhandlungen sein, die die fristgerechte Umsetzung des EU-Sparprogramms gefährden würden. Kommissionspräsident Juncker forderte öffentlich, daß das vereinbarte Programm von jeder neuen griechischen Regierung respektiert werden müsse, andernfalls werde diesmal „die Reaktion der EU und der Eurozone eine andere sein“. Inhaltlich setzt Meimarakis auf eine wirtschaftsfreundliche Politik, die über privatwirtschaftliche Investitionen die Konjunktur wieder ankurbeln soll, wohingegen Tsipras die Notwendigkeit betont, die Steuereintreibung zu verbessern und dabei die Großunternehmen in die Verantwortung zu nehmen.
Von der chronischen Unzufriedenheit der Griechen mit der Leistung ihrer politischen Klasse profitiert die rechtsradikale Goldene Morgenröte (Chrysi Avgi), die mit Umfragewerten von bis zu 7,2 Prozent Chancen besitzt, als drittstärkste Kraft in das Athener Parlament einzuziehen. Zu ihren Forderungen gehört die Ablehnung der EU-Sparauflagen und die Abschiebung  aller illegalen Einwanderer in ihre Herkunftsländer.

Bild: Evangelos Meimarakis und Alexis Tsipras buhlen um die Wähler:  Im Kopf-an-Kopf-Rennen entscheidet vielleicht das Tragen einer Krawatte