© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Die Steuer-Flüchtlinge
Asyl: Exil-Eritreer überweisen eine Abgabe an ihr Heimatland / Dadurch wird ein Regime unterstützt, vor dem diese Leute angeblich fliehen mußte
Ronald Gläser

Die eritreische Botschaft in Berlin. Zaun, Überwachungskameras, heruntergelassene Jalousien. Eine typische Auslandsvertretung, genauso fremd-geheimnisvoll wie jede andere. Doch im Unterschied zu anderen Botschaften geschehen hier Dinge, die das staatliche deutsche Gewaltmonopol in Frage stellen: Angeblich sollen die Mitarbeiter dort ihre Landsleute in Deutschland besteuern.

Eine eritreische Geschäftsfrau bestätigt gegenüber der JUNGEN FREIHEIT: „Ja, ich zahle diese Steuer seit vielen Jahren. Immer wenn ein Bekannter von mir nach Eritrea fährt, dann nimmt er bar etwas mit und zahlt es dort ein.“ Als Beleg reicht sie Steuerunterlagen ein. Die abzuführende Summe berechnet sich nach dem in Deutschland erzielten Einkommen. „Dafür erhalte ich eine Quittung in der Landessprache“, berichtet die Eritreerin, die seit 1989 in Deutschland lebt. Die Abrechnungen für diese Sondersteuer werden in Berlin angefertigt. Die Botschaft ist also auch eine Art Außenstelle des eritreischen Finanzamts. Asylbewerber aus Eritrea. Sie sind eine der größten Gruppen unter den Immigranten in Deutschland. Allein im ersten Halbjahr 2015 stellten 4.871 Eritreer hierzulande einen Asylantrag. Damit lag Eritrea vor den anderen afrikanischen Ländern auf Platz 8 in der Rangliste aller Herkunftsstaaten, gefolgt von Nigeria (Platz 9).Wer aus Eritrea stammt, hat gute Chancen, einen Aufenthaltstitel zu erhalten. Die Gesamtschutzquote (Asyl-anerkennung, Flüchtlingsschutz oder Abschiebeverbot) betrug zuletzt 77 Prozent. Im Falle von Nigeria beträgt diese Rate hingegen nur sechs Prozent. Asyllobbyisten kritisieren die Zustände in Eritrea, wo seit 1993 eine Einparteienherrschaft unter Staatsoberhaupt Isaias Afewerki besteht. Eine Eritrea-Expertin von Amnesty International klagt: „Vor diesem Hintergrund ist keine Meinungsfreiheit möglich.“

Der Eritreer Mekonnen Mesghena, Migrationsexperte der Heinrich-Böll-Stiftung, hat ein „Klima der Angst“ ausgemacht. Das Wort vom „Nordkorea Afrikas“ macht die Runde.Klingt ernst. Andererseits: So wie in Eritrea sieht es in Afrika nun mal aus. Es gibt aus Eritrea aber keine Bilder von Konzentrationslagern für Regimegegner oder Hinrichtungsvideos von Islamisten. Was für ein Gegensatz zu Nigeria, wo die Dschihadisten von Boko Haram gnadenlos Massaker anrichten und Leute entführen. Für afrikanische Verhältnisse ist die Infrastruktur Eritreas ausreichend: Die Straßen sind geteert, es gibt Schulen und Krankenhäuser. Ein Investorenblog wirbt damit, daß Eritrea das einzige Land Afrikas sei, in dem künstliche Augenlinsen produziert werden. Viele der Eritreer fliehen vor dem 16monatigen Wehrdienst. Aber: Flucht vor dem Wehrdienst ist eigentlich kein Asylgrund. Auch das Schweizer Staatssekretariat für Migration (SEM) urteilt, „in Eritrea herrscht heute weder Krieg noch Bürgerkrieg, noch eine Situation der allgemeinen Gewalt“. Ein dänischer Bericht von Ende 2014 bestätigte diese Einschätzung. Es gibt Zweifel, daß Eritrea so viel schlimmer als der Rest von Afrika ist, daß die hohe Anerkennungsquote gerechtfertigt wäre. Das sehen auch immer mehr europäische Staaten so und verhandeln über die Abschiebung der Eritreer.Es gibt einen zweiten Aspekt, der Eritrea zu einem besonderen Land macht: jene Aufbausteuer für Auslands-Eritreer. Sie müssen zwei Prozent ihres Nettoeinkommens abführen. Da die meisten von ihnen hierzulande von Sozialhilfe leben, finanziert der deutsche Steuerzahler indirekt die Regierung in Asmara. Wenn von den etwa 30.000 Eritreern in Deutschland die Steuer entrichtet wird und wir den Sozialhilfesatz als Einkommen unterstellen, kämen mehr als drei Millionen Euro pro Jahr zusammen

Die Schweiz ist beliebtestes Zielland

Ein schöner Ausgleich für den Verlust der Entwicklungshilfe, die nicht mehr so üppig in das international isolierte Land fließt. 2011 haben deutsche Stellen die Zusammenarbeit eingestellt, heißt es vom Auswärtigen Amt. Auch die EU hat 2013 nur noch 14 Millionen Euro gezahlt. Zusammen mit den privat zurückgeschickten Beiträgen sollen die Steuereinnahmen von Auslandseritreern ein Drittel des eritreischen Sozialprodukts ausmachen. Steuern, die von Auslandsbürgern erhoben werden, sind ohnehin ungewöhnlich. Sie sind schwer durchzusetzen. Es geht nur dann, wenn Druck auf Verwandte, die noch im Heimatland leben, ausgeübt wird – oder die Bürger sich an ihre Staatsbürgerschaft klammern. So wie viele Türken. Sie müssen ihren Wehrdienst in der Heimat leisten. Viele kaufen sich frei. Seit diesem Jahr beträgt die Gebühr dafür rund 6.500 Euro. Wer weder dient noch zahlt, muß damit rechnen, daß sein türkischer Reisepaß nicht verlängert wird – was neue Probleme im Gastland mit sich bringt.Andere Botschaften nehmen von ihren Angehörigen kleinere Gebühren. Aber kein Land hat das permanente Abkassieren der eigenen Staatsangehörigen im Ausland so auf die Spitze getrieben wie Eritrea. Die UN-Mitgliedsstaaten sind angehalten, die Eintreibung der Steuer zu unterbinden. Die Bundesregierung hat die Botschaft in Berlin und das Konsulat in Frankfurt am Main aufgefordert, die Eintreibung zu unterlassen. Seitdem wird das Geld in Asmara kassiert und nicht mehr in Berlin. Das deutsche Konto wurde durch ein eritreisches ersetzt, auf das deutsche Behörden keinen Zugriff haben. Für die deutschen Behörden ist das Problem damit aus der Welt.Die Schweizer greifen härter durch. Insgesamt leben bei ihnen 28.000 Eritreer. Die Schweiz ist ein bevorzugtes Zielland von Eritreern, die dort die größte Asylbewerbergruppe bilden – und das kam so: Eigentlich hatten die Schweizer in einer Volksabstimmung festgelegt, daß Flucht vor dem Wehrdienst kein Asylgrund sein kann. Doch dann hat das Bundesverwaltungsgericht St. Gallen in einem Urteil festgelegt, daß Eritreer ein vorläufiges Aufenthaltsrecht erhalten, solange in dem Land Mord und Totschlag herrschen. Dieses Urteil und die hohen Sozialleistungen wirken wie ein Magnet auf Eritreer. Die meisten wollen nach Zürich, weil Asylbewerber mit dem „Status F“ dort hohe Leistungen kassieren. „Wir wollen diese Sonderregelung abschaffen“, betont der SVP-Politiker Claudio Schmid (siehe nebenstehendes Interview).

Der politische Druck wächst. Schmid weist unverdrossen auf dieses sogenannte „Eritreagate“ hin. Außerdem sind viele Fälle von Heimaturlauben bekanntgeworden. 2014 haben alleine in Zürich 2.400 Eritreer eine Genehmigung für eine Auslandsreise erhalten. Viele von ihnen sollen nach Eritrea gereist sein, zum Beispiel um zu heiraten. So schlimm kann es mit der Unterdrückung dort also nicht sein. Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) prangert immer wieder öffentlich die Zustände in dem ostafrikanischen Land an. „Es ist undenkbar, daß die Schweiz Menschen in einen Willkürstaat zurückschickt“, sagte sie mit Blick auf die eritreischen Asylanten in der Schweiz. Sie möchte festhalten an der jetzigen Regelung. Doch hinter den Kulissen arbeiten die Behörden des Alpenstaates angeblich neuerdings an der Ausweisung von Eritreern, heißt es aus Bern. Das zuständige Amt hat im Februar begonnen, Aufenthaltstitel aufzuheben, berichten Insider. Auch Vertreter der Schweizer Asylindustrie beklagen die härtere Gangart. Angeblich haben die Eritreer den Schweizern bei Geheimverhandlungen signalisiert, daß sie helfen wollen, die Ausreisewelle zu stoppen. Die Vetretreter des afrikanischen Landes sollen kritisiert haben, daß der „Anreiz der falschen Asylgewährung“ der Hauptgrund für die Massenflucht sei.In Deutschland hingegen ist die eritreische Sondersteuer bislang selten thematisiert worden. Wie die Bundesregierung als Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei mitgeteilt hat, betrug die Zahl der abgeschobenen Eritreer 2014 74. Allerdings wurden sie alle in Drittstaaten abgeschoben. Nicht einer wurde direkt in seine Heimat verbracht.Die deutschen Behörden werden wohl nicht so schnell tätig werden. Die Schweiz hingegen greift jetzt durch gegen die Eritreer. Neben den möglichen Abschiebungen werden auch Anreize diskutiert. So veröffentlichte die Schweiz am Sonntag einen Vorschlag des eritreischen Honorarkonsuls in der Schweiz. Dieser sieht vor, nicht integrierbare Eritreer in die Heimat zurückzuschicken und ihnen 15.000 Franken zu bezahlen, damit sie in der alten Heimat besser Fuß fassen können.