© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Facebook soll Deutsch lernen
Meinungsfreiheit: Bundesjustizminister Heiko Maas setzt den Internetkonzern unter Druck, um die schnelle Löschung von „Haßkommentaren“ zu erreichen
Lion Edler

Wenn es um Asyl geht, ist das Klima in sozialen Netzwerken oft aufgeheizt. Neben sachlicher Kritik an der Asylpolitik werden immer wieder auch Beleidigungen oder gar Gewaltaufrufe gegen Asylbewerber veröffentlicht. Nun verlangt die Politik von Facebook ein härteres Vorgehen gegen solche Kommentare – auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich eingeschaltet. „Wenn Menschen unter ihrem Namen in den sozialen Netzwerken Volksverhetzung betreiben, muß nicht nur der Staat agieren, sondern auch das Unternehmen Facebook sollte gegen diese Parolen vorgehen“, sagte Merkel der Rheinischen Post. Schließlich verfüge Facebook bereits über ein entsprechendes Regelwerk; es müsse nur angewandt werden. Zwar sei Fremdenfeindlichkeit nichts Neues, so Merkel, doch könne „eine teilweise enthemmte Kommunikation in den sozialen Netzwerken dazu beitragen“. Von islamistischen oder linksextremen Facebook-Kommentaren sprach Merkel übrigens nicht.
Den Anstoß zur politischen Debatte hatte Justizminister Heiko Maas (SPD) gegeben. Am Montag führte er in seinem Ministerium ein Gespräch mit Facebook-Vertretern, „um Möglichkeiten zu erörtern, die Effektivität und Transparenz ihrer Gemeinschaftsstandards zu verbessern“. Maas forderte vom Unternehmen im Vorfeld insbesondere, auch deutschsprachige Mitarbeiter für die Löschung von strafbaren Inhalten einzusetzen.
 Am Ende des Treffens stand eine Absichtserklärung. Das Justizministerium und Facebook vereinbarten, eine sogenannte „Task Force“ von Internetanbietern, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen einzusetzen. „Diese soll Vorschläge für den nachhaltigen und effektiven Umgang mit Haßbotschaften im Internet entwickeln“, berichtete Maas. Den nicht näher definierten „zivilgesellschaftlichen Organisationen“, darunter möglicherweise das „Netz gegen Nazis“, könnte bei der Löschung von Kommentaren offenbar künftig eine entscheidende Rolle zukommen. „Facebook hat sich bereit erklärt, die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, die als Internet-Beschwerdestellen Hinweisen auf rassistische und fremdenfeindliche Hetze nachgehen und gegenüber den Unternehmen melden, zu verbessern und deren Arbeit finanziell zu unterstützen“, kündigte Maas an.  
Doch wo verläuft die Grenze zwischen polemisch zugespitzter Kritik und strafbaren Äußerungen? Geht es manchen Facebook-Kritikern womöglich nicht um das Vorgehen gegen Straftaten, sondern auch um die Zensur unliebsamer Kritik an der Asylpolitik? Bei der AfD befürchtet man genau dies. „Will nun Justizminister Maas auch das soziale Netzwerk Facebook so gestalten, daß es ‘regierungskonform’ ist?“, fragte die Partei – auf ihrer Facebook-Seite. Schließlich gebe es bei strafbaren Inhalten bereits jetzt die Möglichkeit, Anzeige zu erstatten. Folglich gehe es den Facebook-Kritikern wohl nur darum, kritische Meinungsäußerung einzuschränken.
Ein Bericht der Märkischen Allgemeinen, der die Debatte beleuchtet, scheint solche Befürchtungen zu untermauern: Die Benutzung des Begriffs „Asylbetrüger“ wird von der Zeitung als Beispiel für „Haßparolen“ auf Facebook genannt. Werden solche Begriffe also alsbald zensiert?
Der Justizminister will davon nichts wissen. Es gehe ihm keinesfalls um eine Beschneidung der Meinungsfreiheit, betonte Maas. Das Internet sei jedoch „kein rechtsfreier Raum, in dem rassistische Hetze und strafbare Äußerungen unkontrolliert verbreitet werden können“.

Behinderung
der Ermittlungen

Die Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, ging ebenfalls gegen Facebook in die Offensive. In einer Videobotschaft verlas sie eine Auswahl der schlimmsten an sie gerichteten Kommentare. Darin wurde der Politikerin gedroht, sie zu foltern oder ihr die Augen auszustechen. „Sorgt endlich dafür, daß solcher Haß, daß solcher Dreck nicht mehr auf den Seiten von Facebook steht“, forderte Göring-Eckardt.
Das Unternehmen selbst machte zuletzt immer wieder Bedenken gegen eine übermäßige Löschung von Beiträgen geltend. „Die Lösung kann nicht sein, daß man Menschen das Sprachrohr nimmt“, sagte die Facebook-Sprecherin Eva-Maria Kirschsieper. Als Alternative zu Löschungen setze Facebook auf die Gegenreden anderer Nutzer. Verteidiger von Facebook weisen zudem darauf hin, daß die juristische Verfolgung von strafbaren Inhalten erschwert werden könne, wenn die Originalquelle gelöscht würde. Zudem sei es nicht Aufgabe von Facebook, polizeiliche Aufgaben zu übernehmen.
Derweil hat ein 26 Jahre alter Berliner, der über eine Zeitarbeitsfirma für den Paketdienst Hermes arbeitete, seinen Arbeitsplatz wegen eines Facebook-Kommentars verloren. „Wir trauern nicht, sondern wir feiern es“, hatte er über den in der Ägäis ertrunkenen Flüchtlingsjungen Aylan K. geschrieben. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den jungen Mann wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener.