© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Zweiter Frühling im Herbst
Dresden: Die Asylkrise beschert der geschrumpften Pegida-Bewegung wieder Zulauf
Cornelius Persdorf

,Wie viele Menschen haben sich an diesem Abend vor der Dresdner Frauenkirche versammelt? „Bei dieser Lautstärke würde ich sagen: So groß wie der Fanblock von Dynamo Dresden, also 20.000.“ Nach drei donnernden „Volksverräter“-Chören ist Pegida-Sympathisant Mario V. aus Niedersachsen fest davon überzeugt, daß an diesem Montag deutlich mehr Pegida-Demonstranten auf dem Neumarkt stehen als vergangene
Woche.

Bachmann kündigt
Parteigründung an

Damals gingen die Schätzungen von bis zu 10.000 Teilnehmern aus. Genaue Zahlen gibt es nicht. Die Polizei lehnt es ab, die Ergebnise ihrer Zählung zu veröffentlichen. „Beim Auftritt Herbert Grönemeyers war der Platz nicht voller als jetzt, und danach hieß es in der Presse: mehr als 30.000“, murmelt der 33 Jahre alte Mario, während er den Blick vom Treppenpodest des Verkehrsmuseums über das Fahnenmeer schweifen läßt. Inzwischen stimmt ein Pegida-Redner, der Horst „Die Stimme“ genannt wird, seinen Refrain an: „Freie Völker dieser Welt, schaut auf dieses Land: Wir werden von Wahnsinnigen regiert.“
Das Publikum antwortet lautstark auf jede seiner Anklagen. „Die Infiltrierung durch Schattenarmeen hat bereits begonnen“, die Menge skandiert „Widerstand, Widerstand“. „Was passiert, wenn dieser Dauerorgasmus derjenigen vorbei ist, die jetzt jubelnd mit Geschenken an den Bahnsteigen stehen?“, daraufhin zustimmendes Gelächter.
Die donnernde Stimme übertönte beinahe die eigentliche Nachricht des Abends: Pegida-Cheforganisator Lutz Bachmann kündigte für nächstes Jahr die Gründung einer Pegida-Partei an. Geplant sei ein Wahlantritt auf Kommunal-, Landtags- und Bundesebene. Mit Blick auf seine guten Kontakte zum erfolgreichen niederländischen Islamkritiker Geert Wilders halte er sogar eine Zusammenarbeit mit den Rechtsparteien im EU-Parlament in naher Zukunft für möglich. Die Hoffnung auf die AfD habe er hingegen aufgegeben, sagte Bachmann.
Die Reaktion der Zuhörenden war überraschend: Sie quittierten Bachmanns Ankündigung zwar mit Beifall, im direkten Gespräch überwog jedoch die Skepsis. „Das wird das bürgerliche Lager nur noch mehr zersplittern“, sagte die Dresdnerin Ute S. „Am Ende kriegen Pegida und die AfD 4,9 Prozent und scheitern“, pflichtete ihr Mann Siegfried ihr bei, als das Ehepaar nach dem ungewöhnlich langen Pegida-Abendspaziergang wieder auf dem Neumarkt ankam. Die Stimmung an diesem Abend schwankt zwischen grimmiger Freude über den gestiegenen Zulauf und ohnmächtiger Wut gegen die gegenwärtige Einwanderungspolitik der Bundesregierung. „Erst wenn wir 100.000 sind, wird sich etwas ändern“, kommentiert Herbert L. aus Leipzig den augenscheinlich gewachsenen Zulauf, während er eine Gruppe Jugendliche betrachtet, von denen sich einige in Deutschland-Flaggen gehüllt haben.

Umzug auf
den Theaterplatz

„Aber die meisten Leute aus meinem Bekanntenkreis sitzen vor dem Fernseher und tun nichts. Solange die Antenne nicht rostet und weiterhin RTL2 empfängt und genug zu fressen da ist, brauchen sie sich nicht zu bewegen, denken die“, klagt der Rentner in Jeansjacke mit aufgestickter Wirmer-Flagge. „Dabei ist die Situation so ernst! Laut Bundeskriminalamt sind ein Prozent der Flüchtlinge Terroristen“, behauptete er. „Jetzt rechnen Sie mal aus, wie viele das bei einer Million Flüchtlinge sind!“
Auch Pegida-Redner Siegfried Daebritz griff das Thema terroristische Bedrohung auf und verlas den „Aufruf der europäischen Bürger an die Regierungen und Parlamente“ des ehemaligen tschechischen Präsidenten Václav Klaus: „Heutzutage sind wir mit einer grundlegenden Gefahr für die Zukunft unseres Lebens konfrontiert. Die Massenmigration stellt eine ernste Bedrohung der Stabilität Europas und der einzelnen Mitgliedsländer der EU dar.“ Von Tschechien schlug er den Bogen zur ungarischen Politik. Den Vergleich der heutigen Flüchtlingsströme mit den DDR-Flüchtlingen geißelte er als schief – mit Ministerpräsident Viktor Orbán als Kronzeugen: Der hatte den Vergleich mit DDR-Flüchtlingen mit dem Hinweis zurückgewiesen, die Flüchtlinge aus der letzten deutschen Diktatur seien eben keine Illegalen gewesen und hätten gegen kein Gesetz verstoßen. Daebritz erntete für dieses Zitat „Genau!“-Rufe.
Gegen Ende der Veranstaltung wartete Bachmann mit einer weiteren Überraschung auf: Nach einem „Riesendank an alle Ordner“ teilte er mit, die nächste Veranstaltung werde auf dem Theaterplatz stattfinden, da der Neumarkt bei so viel Interesse an seine Grenzen stoße. „So viele seid ihr“, begründete Bachmann strahlend. Zum Abschluß wurde die Nationalhymne gesungen. Für ein so großes Publikum klang sie erstaunlich zaghaft.