© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

„Das Ganze ist grauenhaft“
Lebensrechtsaktivisten haben in den USA mit geheimen Aufnahmen die Machenschaften der größten US-Abtreibungsorganisation öffentlich gemacht. Der Skandal ist perfekt. Die Politik zeigt sich erschüttert. Der Rechtsexperte Casey Mattox erklärt die Hintergründe
Moritz Schwarz

Herr Mattox, was zeigen die „Schock-Videos“, wie der US-Fernsehsender Fox News sie nennt?


Mattox: Sie offenbaren, wie Mitarbeiter des Abtreibungsunternehmens Planned Parenthood (PP) Teile abgetriebener Kinder zum Verkauf anbieten. In einem Restaurant wird bei Rotwein und Salat etwa darüber gesprochen, wie man Ungeborene am besten so mit einer Zange zerquetscht, daß zwar der Tod eintritt, die gewünschten Körperpartien aber unversehrt bleiben.


Für besondere Empörung sorgte eine Sequenz, in der PP-Mitarbeiter in einer Petrischale mit Teilen eines abgetriebenen Fötus stochern.


Mattox: Es ist in der Tat wohl die verstörendste Szene, zumal der Mitarbeiter beim Herumstochern in den Leichenteilen ausruft: „Es ist ein Junge!“ Eine Äußerung, die man sonst auf der Geburtsstation eines Krankenhauses im Angesicht glücklicher Eltern gewohnt ist.


In deutschen Medien hört man so gut wie nichts über den Skandal.


Mattox: Das finde ich erstaunlich.

  
Der Rechtsausschuß des US-Repräsentantenhauses spricht von „horrenden Abtreibungspraktiken“. Das Parlament und zwei Bundesstaaten fordern eine Untersuchung, und das FBI ermittelt. Um was für Praktiken handelt es sich?


Mattox: Zum einen geht es, wie schon erwähnt, um die gezielte Teilzerstörung bei der Tötung der Föten, also etwa des Kopfes, um vielleicht den Rumpf unversehrt zu lassen oder umgekehrt. Das andere ist die Lebendgeburt-Abtreibung, dabei veranlaßt man die Geburt des unversehrten Fötus.


Wozu?


Mattox: Um sich an der intakten Babyleiche zu bedienen. Bei einer normalen Abtreibung wird der Fötus im Mutterleib zerstückelt. Dieses Verfahren ist nachteilig, wenn man die Leichenteile anschließend verkaufen will.


Ist das legal?


Mattox: Auf keinen Fall, wenn der Fötus nach der Geburt lebensfähig ist. Im Zuge des Skandals kam heraus, daß manche Föten nach der Geburt ein schlagendes Herz hatten. Und illegal ist es auch, darauf abzuzielen verkaufsfähige Teile zu erhalten. Das Ganze ist grauenhaft.


Entstanden sind die Videos durch die verdeckte Recherche des 26jährigen Lebensschutz-Aktivisten David Daleiden.


Mattox: Daleiden und seine Gruppe, die sich Center for Medical Progress nennt, haben für diesen Zweck eine Scheinfirma mit dem Namen BioMax Procurement Services gegründet und gegenüber PP Interesse am Ankauf von Babyteilen signalisiert.


Klingt nicht schwer.


Mattox: Irrtum, man muß das Geschäft sehr gut kennen und erst lange eine Vertrauensbasis aufbauen, bevor so eine Aktion möglich ist. Es ist viel Arbeit und Professionalität nötig, um so etwas anzubahnen und erfolgreich durchzuführen.


Sie selbst haben schon mit Daleiden und seiner Gruppe zusammengearbeitet.


Mattox: Das ist richtig, ich habe David schon öfter persönlich getroffen. Wichtig war vor allem, noch unbekannte Aktivisten einzusetzen, schließlich durften sie nicht erkannt werden. Es bedurfte also auf der einen Seite eines sehr jungen und entschlossenen, auf der anderen Seite erfahrenen und professionellen Teams. Diese Kombination ist nicht so einfach.


PP spricht von „unerhörten und vollständig unwahren Vorwürfen“ und argumentiert, man verkaufe lediglich ganz legal die Körperteile, die eine Abtreibung zufällig unbeschadet übersehen – und das lediglich für eine Aufwandsentschädigung, ohne Gewinn zu machen.


Mattox: Diese Argumentation ist erstaunlich, denn die Videos zeigen, wie sehr die PP-Mitarbeiter auf die angeblich Kaufinteressierten eingehen, wieviel Zeit und Mühe sie ihnen widmen. All der Aufwand, obwohl sie keinen Nutzen davon haben? Gehen Sie mit einem Geschäftspartner ins Restaurant, mit dem sie sich einen guten Deal versprechen? Sicher. Aber tun Sie das auch, wenn es lediglich um die Entrichtung einer Aufwandsentschädigung geht?


Läßt sich ein Gewinninteresse nicht einfach am verlangten Preis ablesen?


Mattox: Das Problem ist, daß PP seine Kosten nicht nachvollziehbar macht. Sie behaupten, die verlangten Preise seien Selbstkostenpreise. Um das zu überprüfen, müßten sie Transparenz herstellen. Das aber tun sie nicht. Man kann nur spekulieren, warum nicht. Solange sie das aber nicht tun, können sie den Vorwurf, sich zu bereichern, mit dieser Argumentation nicht entkräften.


Welche Folgen wird der Skandal konkret für PP haben?


Mattox: Das hängt davon ab, inwieweit sich nun nachweisen läßt, daß PP gegen Gesetze verstoßen hat. In jedem Fall handelt es sich aus meiner Sicht nicht nur um einen moralischen Skandal, sondern auch um Rechtsverstöße. Dazu kommt, daß PP Steuergelder erhält und republikanische Politiker bereits angekündigt haben, diese Zahlungen überprüfen zu wollen.


Überprüfen?


Mattox: Der Punkt ist, daß PP nominell keine Steuergelder zur Finanzierung von Abtreibungen erhält, sondern für andere Dienstleistungen im Bereich Gesundheit.


Und das zweifeln Sie nun an?


Mattox: Die Regierung macht es sich einfach, zu fordern, das Geld dürfe nicht für Abtreibungen ausgegeben werden. Geld kann immer hin und her geschoben werden. Außerdem, mit dem Steuergeld bezahlt PP mindestens Mieten, Gehälter, Energie etc. Kann man sagen, all das habe mit den Abtreibungen nichts zu tun? Dennoch soll nun überprüft werden, ob Steuergelder nicht auch konkret dafür verwendet wurden.


Anders als bei anderen gesellschaftlichen Fragen, wie etwa der gleichgeschlechtlichen Ehe, ist laut der US-Umfrageexpertin Karlyn Bowman in Sachen Abtreibung seit den siebziger Jahren kaum eine Veränderung der öffentlichen Meinung festzustellen, die amerikanische Öffentlichkeit gilt hier weiterhin als gespalten. Kann der Skandal dies verändern?


Mattox: Möglich. In jedem Fall aber stellt der Skandal für PP ein großes Problem dar. Zum einen, weil die Videos beweisen, daß PP Abtreibungsmethoden anwendet, die offensichtlich machen, daß die Organisation nicht abtreibt, um Frauen zu helfen, sondern um an handelsfähige Körperteile zu kommen. Das empört auch Menschen, die Abtreibung nicht grundsätzlich ablehnen. Auch Abtreibungsbefürworter sind entsetzt, wenn sie sehen, daß daraus ein Geschäft gemacht wird. Zum anderen, weil durch die ausgelöste Medienaufmerksamkeit viele US-Bürger überhaupt erst erfahren, daß PP für Abtreibungen verantwortlich ist.

Das ist vielen unbekannt?


Mattox: Ja, PP ist es gelungen, sich ein Image aufzubauen, gemäß dem sehr viele Bürger sie für eine reine Gesundheitsorganisation halten.


Was nicht zutrifft?


Mattox: Tatsächlich ist PP der größte Abtreibungsdienstleister der USA! Vierzig Prozent der Abtreibungen in den Vereinigten Staaten werden von PP durchgeführt. Gemeinam mit der Schwesterorganistion „Planned Parenthood International“ führt PP sogar mehr Abtreibungen durch als jede andere Organisation auf der Welt – mit Ausnahme Chinas.


Könnte der Skandal zum Ende von PP führen?


Mattox: Das wäre nicht unmöglich. Allerdings hat PP ein Volumen von über einer Milliarde Dollar. Die Organisation könnte selbst dann weiterbestehen, wenn sie durch den Skandal Spenden und die öffentlichen Zuschüsse verlieren sollte, zumal sie viele Freunde in wohlhabenden Kreisen, etwa in Hollywood, hat. Die Frage ist also, wie gewichtig die Gesetzesbrüche sind, die nachgewiesen werden können.


Hat Dalaiden nach Ihrer Ansicht die ganze Wahrheit entdeckt oder handelt es sich vielleicht nur um die Spitze des Eisbergs?


Mattox: Ich glaube, daß da noch mehr zu befürchten ist. Sehen Sie, die wenigsten Ärzte wollen von Haus aus Abtreigungsarzt werden. Arzt wird man eigentlich aus anderen, berufeneren Gründen. Der Abtreibung wendet man sich als Arzt überwiegend deshalb schließlich zu, weil damit Geld zu verdienen ist. Ich fürchte, diese Einstellung könnte eine Ursache des Problems sein.


Sie glauben also nicht, daß der Fall lediglich das individuelle ethische Versagen einzelner sichtbar gemacht hat, sondern vielmehr ein Prinzip?

 
Mattox: Ganz genau, es geht vermutlich nicht etwa nur um „Ausrutscher“, sondern um ein Geschäftsfeld. Das öffentliche Bild, das die Abtreibungslobbyisten gerne zeichnen, ist das von Ärzten, die nichts anderes im Sinn haben, als Frauen zu „helfen“. Tatsächlich aber offenbart dieser Fall, daß das ein Trugbild ist. Abtreibung ist keine Sache selbstloser Menschenfreunde unter den Ärzten, sondern von Leuten, die Geld verdienen möchten. Traurig, aber wahr.


Die deutsche Organistaion „Pro Familia“ ist Mitglied des weltweiten Verbands Planned Parenthood International. Auch wenn die Frage spekulativ ist: Könnte es solche Zustände ebenfalls in Deutschland geben?


Mattox: Das ist nicht ausgeschlossen. Um ehrlich zu sein, es würde mich sogar überraschen, wenn es ähnliches nicht auch in Europa gäbe. Allerdings sehe ich einen Unterschied: Ich habe erfahren, daß in Deutschland – auch wenn vor Gericht das Recht der Frau, die abtreiben will, vorgeht – das ungeborene Leben ein gesetzlich verankertes Recht auf Leben hat. Das ist in den USA nicht der Fall, leider.  


Inzwischen hat der PP-Skandal sogar den US-Vorwahlkampf erreicht.


Mattox: Ja, sämtliche republikanischen Präsidentschaftskandidaten haben bereits sehr deutlich Stellung genommen. Jeb Bush etwa nannte die Bilder „schockierend und schrecklich“, und Ted Cruz erklärte PP öffentlich zum „moralisch bankrotten Betrieb“. Sogar Hillary Clinton äußerte sich kritisch und nannte die Videos „verstörend“. Allerdings ruderte sie später wieder zurück.


Warum?


Mattox: Ich vermute, weil PP den demokratischen Wahlkampf finanziell nicht unerheblich unterstützt. Hillary Clinton hatte zunächst offenbar unmittelbar menschlich reagiert – dann aber wie eine Politikerin.






Casey Mattox ist Rechtsexperte bei Alliance Defending Freedom (ADF), einer amerikanischen Non-Profit-Anwaltsorganisation, die sich für die Grundrechte auf Leben, Religionsfreiheit sowie für Ehe und Familie einsetzt. Der internationale Zweig „ADF International“ ist mit Hauptsitz in Wien und sieben weiteren Büros weltweit tätig. Geboren wurde Mattox 1975 in Alabama.


Bilder:Originalaufnahmen aus den verdeckt gedrehten Videos – PP-Senior-Direktorin im „Verkaufsgespräch“:
„Bei Rotwein und Salat darüber geredet, wie man Ungeborene am besten mit der Zange zerquetscht“Die Teile eines abgetriebenen Fötus werden von einem PP-Labormitarbeiter mit einer Nadel auf ihre Verwertbarkeit inspiziert: „Es geht darum, sich an der intakten Babyleiche zu bedienen“
Lebensrechtsaktivist David Daleiden, dessen verdeckte Recherchen den Fall ans Licht brachten, im
Fernsehinterview bei CNN: „Sogar Hillary Clinton äußerte sich kritisch und nannte die Videos ‘verstörend’“

 

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