© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Töten ist keine Alternative
„Marsch für das Leben“: Auch Ungeborene brauchen eine Willkommenskultur
Martin Lohmann

Warum eigentlich dieser „Marsch für das Leben“? Wozu diese jährliche Demonstration mitten durch Berlin (siehe Seite 4)? Die Antwort ist ebenso einfach wie erschreckend: weil das Normalste immer noch nicht normal ist. Weil das Selbstverständlichste immer noch nicht selbstverständlich ist. Leider. Denn die Erkenntnis, daß jeder Mensch ein Recht auf Leben hat, ist immer noch nicht überall angekommen oder zugelassen. Wenn nach wie vor mehr als 100.000 noch nicht geborene Kinder in unserem Land Jahr für Jahr „weggemacht“, also noch vor der Geburt getötet werden, weil sie nicht „passen“, weil man die Verantwortung scheut, dann ist irgend etwas nicht in Ordnung. Dann ist das Zeugnis für das Leben buchstäblich Not-wendig. Es geht darum, in der Hauptstadt friedlich, vorwurfsfrei und hilfsbereit ein – selbstverständliches – Zeugnis für das Lebensrecht aller zu geben.
Damit bekennen die Teilnehmer: Jeder Mensch ist liebenswert, jeder Mensch ist lebenswert. Jeder! Diese Botschaft geht an alle, auch an jene, denen das Selbstverständlichste, das Humanste, das Menschengerechteste – aus welchen Gründen auch immer – noch nicht selbstverständlich ist. Jeder Mensch, gleich wie begabt, reich, gesund oder alt er ist, hat ein Recht auf Leben. Es geht um Respekt, um Freiheit und Frieden. Um Rücksichtnahme, die wir so dringend neu entdecken müssen. Und es geht auch um ein deutliches Nein zu Verleumdung, Haß, Verachtung, Rücksichtslosigkeit, Diskriminierung, Gewalt und Lüge. Wer für das Leben ist, ist auch gegen Extremismus oder Fundamentalismus. Gleich welcher Art. Wer für das Leben ist, ist erst recht gegen eine fundamentalistische Ideologie, die andere Menschen das Leben kostet. Wer für das Leben ist, ist auch für Frieden und Freiheit.
Es geht nicht um Anklage oder Verurteilung. Aber es geht um Aufklärung und Hilfe. Hilfe zum Leben. Aufklärung über die Fakten. Denn noch immer hängen manche Gegner des Lebens und seines Schutzes, noch immer kleben Gegner des Lebensrechtes ungeborener Menschen an einem vorwissenschaftlichen mittelalterlichen Bild von der Entstehung des Lebens. Damals wußte man noch nicht, daß es sich von Anfang an um einen wachsenden Menschen handelt. Das wollen manche auch heute noch nicht wahrhaben und meinen, es werde lediglich der „Zustand“ der Frau, nämlich eine Schwangerschaft, beendet. Sie wollen nicht wahrhaben, daß zuerst ein kleiner und schutzbedürftiger Mensch getötet wird – und als Folge die Schwangerschaft beendet ist. Ja, es gibt hier viel Verzweiflung. Aber ist das ein Grund zu töten? Oder nicht eher ein schreiender Grund, dringend benötigte Hilfe zu leisten?
Das gilt auch für das Ende des irdischen Lebens, da doch jetzt viel diskutiert wird, wie wir sterben sollen oder wollen. Euthanasie mißachtet das Leben ebenso wie Abtreibung. Und auch hier gibt es Nöte, Fragen und Ratlosigkeit. Und Ängste. Etwa die Angst vor Schmerzen und schrecklicher Krankheit. So schleicht sich – was keiner wollen kann – der böse Gedanke vom „lebensunwerten“ Leben ins Bewußtsein ein.
Aber: Es gibt kein gutes Töten. Und deshalb muß das Leben entschieden geschützt werden. Die menschengerechte Antwort auf verständliche und berechtigte Sorgen kann niemals das tödliche Medikament sein, sondern der beste Ausbau von Suizidprävention und mitmenschlicher Begleitung. Und vor allem: von Palliativmedizin. Denn nicht der leidende Mensch darf beseitigt werden, sondern das Leid, der Schmerz. Und das ist heutzutage schon in fast allen Fällen durch Medikamente möglich.
Wir plädieren daher immer und überall für eine echte und gute Willkommenskultur. Überall. Für die Flüchtlinge, die vor Unterdrückung und Gewalt fliehen und die Sicherheit im Leben suchen. Für die Alten, die in Würde sterben wollen und die Sicherheit des würdigen Altseindürfens suchen. Für die Alten und Kranken, die mit Würde und helfender wie respektvoller Nähe begleitet werden sollten und ein Recht auf Leben, auch in der Phase des Sterbens, haben. Und für die noch nicht geborenen Menschen, die schon da sind und einfach nur leben wollen – und Sicherheit im Leben suchen, die ihnen zusteht.

»Wir müssen jeden Extremismus, der tötet und verletzt, unterbinden.«

Der Mensch ist mehr als eine Sache. Er darf niemals zur Sache, die man beseitigt, degradiert werden. Jeder ist ein Geschöpf Gottes. Es gibt keine Alternative zu jeglicher Hilfe zum Leben.
Es ist eine Schande, wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken müssen. Es ist eine Schande, wenn Alte Angst um ihr Leben haben müssen und die Euthanasie wieder da ist in Europa. Es ist eine Schande, wenn liebenswürdige kleine Kinder im Leib der eigenen Mutter zerrissen werden. Nein, auch aus Verzweiflung darf man unschuldige Menschen nicht töten. Niemals. Wir müssen alles tun, die Verzweiflung nicht tödlich werden zu lassen. Und: Wir müssen jeden Extremismus, der tötet und verletzt, unterbinden. Nein zu jeder Form des Extremismus! Töten ist absolut extrem.
Also: Nein zum Töten, auch wenn es sich als Barmherzigkeit tarnt. Es gibt kein gutes Töten. Wer dem Leben ein Willkommen gönnt und bereitet, tut wirklich Gutes. Wir brauchen noch sehr viel mehr Hilfen zum Leben. Auch und gerade für Menschen, die verzweifelt sind und meinen, keinen anderen Ausweg finden zu können als das Töten. Wir brauchen viel mehr konkrete Achtsamkeit und Nachhaltigkeit – für das Leben. Konkrete Hilfen, auch und gerade finanzielle, für Frauen und Väter in Not.  
Nächstenliebe statt Alleinlassen in Verzweiflung und Not! Gemeinsam für das Leben. Immer. Das ist eigentlich nur normal – und selbstverständlich.

Bild: Miss Loreley 2015: „Schluß jetzt mit den Sirenengesängen, Angela!“

Martin Lohmann ist Publizist und Vorsitzender des Bundesverbandes Lebensrecht (BVL).
 www.marsch-fuer-das-leben.de