© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/15 / 11. September 2015

Der Flaneur
Unter der alten Laterne
Bernd Rademacher

Im Betrieb fällt regelmäßig Altmetall an. Es kommt immer derselbe Schrotthändler, um es abzuholen. Ein Anruf, und er ist da. Jedesmal nehmen wir uns Zeit, ein bißchen zu plaudern. Auch Schrotthändler verdienen Kundenpflege.

Heute frage ich ihn nach einer Rechtsanwältin gleichen Namens. Er antwortet, sie seien verwandt, aber die Familie habe sich von ihr distanziert. Er sagt: „Rechtsanwalt oder so was ist bei uns ja verboten.“ „Wie, verboten?“, will ich wissen. Er erklärt: „Wir sind ja Sinti. Und Leute, die beruflich mit Verbrechern, Räubern und Vergewaltigern Umgang haben, mit denen wollen wir nichts zu tun haben.“ Ich glaube, er flunkert etwas. Vermutlich wollen sie mit Leuten nichts zu tun haben, die mit Strafverfolgung und Gerichtsbarkeit zu tun haben. Aber egal. 

Seine Sippe ist seit Jahrzehnten hier ansässig. Ich frage ihn noch nach einem anderen Familienmitglied, das auf meiner Grundschule war. Aber von dem hat er keine gute Meinung.

Der Schrotthändler bemerkt, daß ich für die Laterne schwärme – und er schenkt sie mir.

Mir fällt seine Tätowierung am Arm auf: ein sehr akkurat gestochenes Männerporträt. Wie ein Heiligenbild. Ein markantes Gesicht mit riesigem Schnäuzer. „Das war mein Vater, original vom Foto“, sagt er. Ein wirklich ästhetisches Bild, und seinen leiblichen Vater auf dem eigenen Körper zu verewigen, ist ein nobles Motiv, finde ich.

Wir wuchten gemeinsam den Eisenschrott auf seinen alten Lieferwagen. Auf der Pritsche liegt eine wunderschöne schmiedeeiserne Gartenlaterne aus den fünfziger Jahren. Stammt aus dem Abbruch eines alten Landgasthofes. Er bemerkt, daß ich dafür schwärme – und er schenkt sie mir. Ich bin sehr gerührt! Wir laden sie zusammen ab, und am Abend steht sie schon auf meiner Terrasse. In ihrem Schein erhebe ich mein Weinglas auf den Schrotthändler.