© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/15 / 11. September 2015

Die Lust am Destruktiven
Minderwertigkeitskomplexe, Triebverzicht, Frustration: Warum islamische Fundamentalisten immer wieder wertvolle Kunstwerke zerstören
Wolfgang Kaufmann

Die Liste der unersetzlichen Kulturgüter, welche in der jüngeren Vergangenheit dem Wüten islamischer Terrormilizen zum Opfer fielen, wird zunehmend länger, wobei nun mittlerweile schon vier Kontinente betroffen sind.

Das Zerstörungswerk begann im Bosnienkrieg (1992–1995), in dessen Verlauf muslimische Truppen beziehungsweise arabische Legionäre in der Armee von Bosnien-Herzegowina 212 orthodoxe Kirchen von oftmals beträchtlichem historischen Wert zerstörten. Dem folgte im März 2001 die Sprengung der beiden gigantischen Buddha-Statuen im zentralafghanischen Bamiyan-Tal durch Taliban-Kommandos. Später schwappte die Welle des Kulturvandalismus auf Mali über, wo sich die Attacken der Ansar ad-Dine und der al-Qaida im Maghreb vor allem gegen die Grabstätten der islamischen Heiligen Sidi Mahmud Ben Amar, Sidi Moctar, Alpha Moya und Scheich al-Kebir in der Unesco-Weltkulturerbestadt Timbuktu richteten, weil die „Glaubenskrieger“ deren Verehrung durch die ortsansässige Bevölkerung als „ketzerisch“ werteten.

Aus dem gleichen Haß gegen angebliche Sektierer demolierte der sunnitisch verfaßte Islamische Staat schiitische Heiligtümer im Irak und Syrien, darunter den Saad-bin-Aqueel-Husseiniya-Schrein in Tal Afar. Und natürlich traf es auch wieder christliche Stätten, wie die orthodoxe Tahira-Kirche in Mossul im Nord-irak und das 1.600 Jahre alte Kloster Mar Elian in der syrischen Stadt Homs.

Mohammed ließ „Götzen“ vernichten

Allerdings richtet sich das Treiben der Gefolgsleute des selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi keinesfalls nur gegen Symbole anderer, heute noch existenter Religionen oder dissidenter islamischer Glaubensrichtungen. Ebenso bedroht ist das kulturelle Erbe aus sumerischer, babylonischer, assyrischer, parthischer und griechisch-römischer Vorzeit. Davon zeugen unter anderem die Verwüstungen im Mathaf al-Mawsil, dem archäologischen Museum von Mossul sowie in den Tempel- und Palastanlagen von Nimrud (JF 12/15), Dur Scharrukin beziehungsweise Chorsabad, al-Hatra und Palmyra, wobei die beiden letztgenannten Ruinenstädte gleichfalls zum Unesco-Weltkulturerbe zählen.

Die Ursache dieser allumfassenden Destruktivität liegt zunächst einmal im üblichen Bestreben der Dschihadisten, dem Vorbild Mohammeds nachzueifern. Der nämlich zertrümmerte ebenfalls zahlreiche kulturelle Zeugnisse aus vorislamischer Zeit, wobei sein besonderer Haß den anthropomorphen Darstellungen galt. Dies hatte zwei Gründe: Zum einen unterstellte Mohammed den Malern und Bildhauern, etwas Menschenähnliches schaffen zu wollen, um sich damit auf eine Stufe mit Allah zu stellen – was Gotteslästerung sei. Zum anderen gingen die alten, polytheistischen Religionen, die der Prophet mit aller Macht auszurotten versuchte, mit der Verehrung von Bildnissen einher, so zum Beispiel dem des Astralgottes Hubal. Deshalb findet sich auch in Sure 5 Vers 90 des Korans die eindeutige Feststellung: „Götzenbilder (…) sind ein Greuel, ein Werk Satans.“

Also ließ Mohammed die „Götzen“ vernichten. Die wichtigste Aktion in diesem Zusammenhang fand dabei laut der islamischen Überlieferung am 20. Tage des Ramadan im Jahre 630 n. Chr. statt: Nach der Eroberung Mekkas befahl der Prophet, alle 360 Statuen in der Kaaba und deren unmittelbarem Umfeld zu zerschlagen. Ähnlich rigide verfuhren später seine Nachfolger. So ordnete Kalif Jasid II. 723 einen reichsweiten Bildersturm an, dem sämtliche Darstellungen lebender Wesen zum Opfer fielen. Dabei kam es zu enormen Schäden an der kulturellen Substanz im Imperium der Umayyaden, das sich seinerzeit von der Iberischen Halbinsel bis zum Indus erstreckte, welche heute noch an vielen Stellen archäologisch nachweisbar sind.

Keine Trennung zwischen Historie und Gegenwart

Mohammed zu kopieren und sich damit als besonders „rechtgläubig“ zu gerieren, ist allerdings nicht das einzige Motiv, aus dem heraus die islamischen Milizen kulturelle Zeugnisse der Vergangenheit zerstören. Vielmehr spielt hier auch das charakteristische Geschichtsbild der Dschihadisten eine Rolle, das man weder als linear noch als zyklisch beschreiben kann. Für die Vertreter des islamischen Fundamentalismus gibt es keine voneinander getrennten Zustände des historisch Vergangenen und der Gegenwart und ebenso keine rhythmische Wiederkehr des Früheren nach gewissen Zeitabständen.

Vielmehr ist die Phase der Dschahiliyya, also der „Unwissenheit“, in der es noch keinerlei Muslime, sondern nur „Heiden“ und „Ungläubige“ gab, weiterhin permanent im Hier und Heute präsent – so als ob eine Art von wurmlochähnlichem Tunnel durch die Zeit existierte, der eine direkte Verbindung zwischen dem 7. und 21. Jahrhundert schafft. Deshalb werden die „Götzen“ und die anderen Zeugnisse aus der Epoche vor dem Siegeszug des Islam als so gefährlich angesehen: Sie tragen all das in die Gegenwart, wogegen Mohammed ankämpfen mußte, um seinem Glaubensbekenntnis zum Durchbruch zu verhelfen.

Darüber hinaus sind die Angriffe auf allgemein bekannte Überbleibsel aus der Vergangenheit auch Ausdruck der eher politisch ausgerichteten Ideologie des Islamofaschismus. Dessen Ziel besteht unter anderem darin, dem Islam mit genau den brachialen Mitteln zur Weltherrschaft zu verhelfen, derer sich auch die früheren faschistischen Bewegungen bedienten. Eines dieser Mittel ist eine radikale Gehirnwäsche bei der eigenen Anhängerschaft beziehungsweise den Menschen im eigenen Machtbereich, um jedweden Gedanken an politisch-religiöse Alternativen aus den Köpfen zu verbannen. Die Hinterlassenschaften aus der Zeit der Dschahiliyya oder des „Ketzertums“ müssen also nicht nur verschwinden, weil sie zum „Götzendienst“ benutzt werden könnten – ihre Zerstörung erfolgt ebenso mit der Absicht, die Erinnerung an restlos alles zu tilgen, was nichts mit dem Islam wahhabitischer oder salafistischer Ausprägung zu tun hat.

Kompensation für massive Minderwertigkeitskomplexe  

Zu diesen religiösen Gründen der islamischen Milizen, Kulturvandalismus zu betreiben, kommen dann noch weitere, profane Motive. Da wäre beispielsweise der Neid aufgrund der immer offenkundiger werdenden Inferiorität der eigenen Kultur. Diese ist unter der Ägide von Personen wie Abu Bakr al-Baghdadi in völliger Rückständigkeit erstarrt, während Europäer, Amerikaner und Ostasiaten den zivilisatorischen Fortschritt vorantreiben und in Wohlstand, Freiheit und Sicherheit leben. Da hilft auch kein krampfhaftes Glorifizieren der eigenen Vergangenheit: Wesentliche Teile der islamischen Welt stehen heute im intellektuellen, ökonomischen und kulturellen Abseits und sind unfähig, den Anforderungen der modernen, globalisierten Welt gerecht zu werden.

Das wiederum schürt massive Minderwertigkeitskomplexe, mit denen die Dschihadisten auf dreierlei Weise fertig zu werden versuchen. Zum ersten demütigen sie den Westen, indem sie voller Genugtuung demonstrieren, daß er trotz all seiner Überlegenheit außerstande ist, Objekte zu schützen, welche er als besonders erhaltenswertes Kulturerbe betrachtet (dabei spielt auch eine Rolle, daß das Konzept des Kulturerbes ja sowieso ein Produkt der europäischen Aufklärung und somit auch wieder Ausdruck des „Unglaubens“ ist).

Zum zweiten projizieren sie ihre eigenen Schwächen auf die westliche Zivilisation sowie alle gegenwärtigen und vergangenen nichtislamischen Kulturen, denen dann aufgrund genau dieser Schwächen das Existenzrecht abgesprochen wird. Und zum dritten entwickeln die von ihren nur begrenzt verdrängbaren Selbstzweifeln geplagten Dschihadisten einen Todes- und Vernichtungstrieb, der sich nicht nur in Selbstmord-attentaten äußert, sondern auch in den Zerstörungsakten von Palmyra, Timbuktu, Bamiyan und anderswo.

Dabei entspringt die Lust am Destruktiven zugleich einem allgemeinen Unbehagen im Angesicht der Kultur, das Freud schon im Jahre 1930 beschrieben hatte: Die kulturell-zivilisatorische Fortentwicklung des Menschen basiert auf der Unterdrückung vieler archaischer Triebe, was gewaltsamen Widerstand provoziert, wenn der Zerstörungstrieb noch nicht genügend domestiziert oder sublimiert wurde.

Genau das trifft auf die islamischen Fundamentalisten zu: Ihr eigener rigider Glaube verlangt von ihnen einen extremen Triebverzicht, der zu erheblichen Frustrationen führt, welche dann wiederum durch Kulturvandalismus oder den Kulturbruch des besonders grausamen und zugleich öffentlich zelebrierten Mordens abreagiert werden. Insofern besteht kein prinzipieller Unterschied zwischen dem Köpfen von Menschen und der Sprengung antiker Tempel.

Foto: Baaltempel in der syrischen Ruinenstadt Palmyra: Am 30. August 2015 sprengte die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) das zum Unesco-Weltkulturerbe gehörende Bauwerk