© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/15 / 11. September 2015

Dorn im Auge
Christian Dorn

Dunkeldeutschland grüßt überall. Bei der Buchvorstellung „Schwarzes Gold aus Warnemünde“ (Aufbau-Verlag) im Palais der Kulturbrauerei schaudert es Autor Harald Martenstein, der seine journalistische Laufbahn einst als Kinokritiker begonnen hatte, bei der Vorstellung, diese Arbeit noch heute zu betreiben: „Aber dreißig, vierzig Jahre im Dunkeln sitzen!“ Den Angesprochenen – den aus der DDR stammenden Moderator und Kinokritiker Knut Elstermann, bekennenden Anhänger der Linken und SED-Mitglied bis 1990 – schreckt dies nicht, er hätte für den „Westen“ auch seine Großmutter verkauft (JF 13/15).

Ein echter Exportschlager indes ist der „Erdöl-Sozialismus“, dessen 25jähriges Jubiläum die DDR 2015 feiert – natürlich nur im Roman von Martenstein und dessen, aus dem Osten stammenden, Co-Autor Tom Peuckert. In deren Plot, der zwischen Dystopie und Parodie changiert, verkündet Günter Schabowski in der legendären Pressekonferenz vom 9. November, ihm sei soeben mitgeteilt worden, „daß an der Ostseeküste der Deutschen Demokratischen Republik umfangreiche Erdölvorkommen entdeckt worden sind“. Infolgedessen mutiert die DDR zu einer „Mischung aus Saudi-Arabien und China“, das die BRD wirtschaftlich überholt. Weiterhin politisch repressiv, fristet Angela Merkel ihr Dasein als inhaftierte Oppositionelle, während Hartmut Mehdorn als Robotron-Chef reüssiert und Kati Witt das Dschungelcamp live aus Cuba moderiert. Köstlich ist die Yogalehrerin Sahra Wagenknecht am Kollwitzplatz, die in ihrem Kurs den „Sonnengruß zur Ehre der Antifaschisten“ einübt, um die „antifaschistische Energie“ zu spüren.

Martenstein selbst, als Romanfigur ein „schmieriger West-Journalist“, bekennt demütig, in der DDR wohl „angepaßt“ gewesen zu sein. Tatsächlich war er in der Jugend drei Jahre DKP-Mitglied, seine Magisterarbeit schrieb er über die betriebliche Mitbestimmung in DDR-Betrieben. Doch zurück zur Fiktion: So dekretiert der Vertreter der DDR-Ausländerbehörde: „Einbürgerung gibt es genug, wir sind jetzt 21 Millionen“, und bescheidet dem westdeutschen Asylbewerber: „Wir können nicht alle nehmen, kämpfen Sie für eine bessere BRD!“ Am Ende melde ich mich zu Wort und frage nach den aktuellen Flüchtlingsströmen. Die hätten sie nicht berücksichtigen können, antwortet Martenstein. Augenscheinlich bin ich der einzige, dem diese Frage auf der Zunge liegt – gespenstisch erscheint die offenkundige Selbstzensur des Publikums: ein Déjà-vu, als wäre ich erneut in der DDR gelandet.