© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/15 / 11. September 2015

Mit Traktoren gegen Brüssel
Agrarmarkt: Milchbauern kämpfen um ihre Existenz / EU-Sondertreffen der Landwirtschaftsminister
Christian Dorn

Die EU-weiten Proteste hatten Wirkung: Eine halbe Milliarde Euro sollen die existenzbedrohten Milchbauern erhalten. Die Details sind noch unklar, der Großteil der Hilfen besteht aus Überbrückungskrediten und einer früheren Auszahlung von EU-Subventionen. Die für 2016 angekündigte EU-Werbekampagne für Agrarprodukte dürfte allerdings für manche deutsche Landwirte zu spät kommen.

Den meisten deutschen Medien, die die Milliarden für die Banken- und Eurorettung für alternativlos halten, ist selbst das zuviel: Die „marktentwöhnten“ Milchbauern glaubten, „nur weil sie (sehr) hart arbeiten, hätten sie Anspruch auf einen Mindestpreis und ein Mindest­einkommensniveau“, postulierte etwa die FAZ. Es gehöre eben „zum Wesen des Wettbewerbs, daß ein nicht konkurrenzfähiger Betrieb schließen muß“.

Doch die halbe Wahrheit ist schlimmer als die Lüge. In besonderer Weise gilt dies für die seit Jahren andauernde Krise der Milchbauern, deren Existenz weiterhin bedroht ist – nicht, weil sie sich dem „freien Markt“ verweigern würden, sondern weil es immer weniger ein Markt von Freien ist. Denn die eigentlichen Milcherzeuger sind vom Marktgeschehen ausgeschlossen.

Dabei ist der Bauer der Urtypus des Selbständigen und Freien, der jedoch durch das fatale Zusammenspiel von EU-Beamten, Agrarpolitikern sowie Deutschem Bauernverband (DBV) sukzessive vernichtet wird. So vertritt etwa der von Joachim Rukwied (CDU) geführte DBV vor allem die Interessen der Großmolkereien und der Milchindustrie – und nicht die von Zehntausenden Milchbauern. Das fehlende Verständnis der tonangebenden Politiker, Medien und Verbände erinnert so nicht zuletzt an das Dilemma in der Eurokrise.

So überrascht es nicht, daß der Begriff der „Blutdiamanten“ bekannter ist als jener von der „Blutmilch“. Doch diese rührt an das Herz der deutschen Landwirtschaft und Landschaft. Schließlich sind Bauern „das Ferment, das Heimat schafft und Natur erhält“. So sieht es Romuald Schaber, der Präsident des Bundes Deutscher Milchviehhalter (BDM) und des European Milk Board (EMB).

Globalisierte Turbo-Kühe statt Bauernromantik

Für ihn ist es der von den Konzernen diktierte Milchpreis, „an dem die Bauern sterben. Billige Milch ist Blutmilch.“ So gibt es viele Selbstmorde von Milchbauern, die durch die von Politik und Verbänden geforderte Vergrößerung ihres Betriebes – um in der angeblich unvermeidlichen „Globalisierung“ bestehen zu können – sich mit Risikokapital verschulden, das sie bei nachlassender Nachfrage am Milchmarkt nicht mehr zurückzahlen können. Diese Tragik wird bislang weitgehend beschwiegen. 

Zudem führt die von der Industrie erzwungene Absatzmaximierung zu Turbo-Kühen: die liefern zwar über 12.000 Kilogramm Milch pro Jahr, doch sie sind nach 1,7 Jahren am Ende. Die traditionelle Kuh gibt zwar nur 4.000 Liter, dies aber über einen Zeitraum von vier bis fünf Jahren. Während finanzstarke Agrar­investoren den Begriff der „Nachhaltigkeit“ im Sinne der Profitmaximierung verstehen, betreiben sie das berüchtigte Geschäft, das darin besteht, Gewinne zu privatisieren und Kosten zu sozialisieren. Deutlich wird dies im Vergleich zum bäuerlichen Familienbetrieb, der sowohl in sozialer wie in ökologischer Hinsicht ein Vielfaches an Leistungen erbringt, die zugleich viel nachhaltiger und letzlich preisgünstiger und damit ökonomischer sind als die voranschreitende Milcherzeung in Großanlagen.

Zur „Effektivität“ gehört auch die Einsicht, daß ein Familienbetrieb auf Dauer kaum mehr als 40 Milchkühe unterhalten kann, und daß heute ein Milchpreis von 40 Cent lebensnotwendig ist. Derzeit sind es etwa 27 Cent. Zwar können die Großmolkereien und Lebensmittelkonzerne den Milchpreis weiter drücken, doch eben nur um den Preis eines Bauern- und Höfesterbens in Deutschland, was letzlich zu einer nachhaltigen Verödung und Zerstörung von Kulturlandschaften führt.

Die Verbraucherpreise für Milcherzeugnisse stagnieren oder steigen nur moderat. Die Erzeugerpreise gehen seit Jahren – von kurzen Preishochs abgesehen – kontinuierlich zurück. Allein zwischen 1995 und 2007 gab die Hälfte aller EU-Milchbauern auf. Daß die Überproduktion von Milch und das Gerede von einem Weltmarkt, der durch deutsche und europäische Exporte gewissermaßen geflutet werden soll, das Problem nicht löst, sondern nur verstetigt und damit zugleich die Bauern in Asien oder Afrika ihrer Lebensgrundlage beraubt, wurde beim jüngsten Brüsseler Agrarministertreffen erneut ignoriert.

Die verabredeten EU-Hilfsmaßnahmen sind daher wieder einmal nur eine Bekämpfung der Symptome. Darinvähneln sie den Hilfszahlungen an Griechenland in der Eurokrise. Denn im Prinzip lassen sich die Konzerne weiterhin den Rohstoff Milch vom Steuerzahler finanzieren. Aus Sicht des EMB muß die zu hohe Milchmenge im EU-Raum in Krisenzeiten reduziert werden können, etwa durch das „Marktverantwortungsprogramm“ (JF 14/15), das unter anderem Bonuszahlungen für freiwillige Produktionsreduktion vorsieht, um so eine Preisstabilisierung zu erreichen.

Ein „deregulierter“ Markt à la FAZ, wie er immer wieder gefordert wird, wird die Probleme nicht lösen – aber ökologische, volkswirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Folgekosten produzieren, die die jetzigen Ausgleichszahlungen bei weitem übersteigen dürften.