© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/15 / 11. September 2015

Griechenlands Ex-Premier will Hilfspaket neu verhandeln
Tsipras ist kein Odysseus
Markus Brandstetter

Griechenlands zurückgetretener Ministerpräsident Alexis Tsipras will am 20. September unbedingt wiedergewählt werden. Und weil die Chancen dafür jetzt nicht mehr so gut sind wie noch vor ein paar Wochen, liest er wohl fleißig in den Klassikern; insbesondere die Odyssee des Homer scheint es ihm angetan zu haben.

An der gefällt Tsipras offenbar, daß sein ebenso mythischer wie listiger Vorfahre Odysseus ein Meister der Trickserei, der Täuschung und Verwirrung seiner Gegner war.

Tsipras scheint nun zu denken, was in der Mythologie funktioniert, geht in der Politik schon lange, also hat er angekündigt, das mit viel Mühe doch erst vor Wochen zusammengefriemelte Hilfspaket für sein Land wieder aufzuschnüren, um für seine prospektiven Wähler einen besseren Deal herauszuholen.

Wer so redet, der muß wirklich verzweifelt sein. Die Argumente sind Tsipras schon vor Monaten ausgegangen; geblieben sind ihm nur Finten, Fallen und Hakenschläge. Weder seine Wähler noch andere EU-Staaten, geschweige denn der Internationale Währungsfonds wird ihm das danken. Bei all seiner ewigen Taktiererei vergißt Tsipras ganz, daß Odysseus als Sieger von Troja erstens weit besser in der Gunst der Griechen stand als er selbst und zweitens als erblicher Fürst keinem Wählerwillen verpflichtet war.