© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/15 / 04. September 2015

Den Voyeurismus des Publikums bedienen
Kollektives Bildgedächtnis: Drei Ausstellungen in Dresden über Krieg und Zerstörung im Medium der Fotografie
Wolfgang Kaufmann

Ein Fotograf kann sich dem Krieg auf vielerlei Weise nähern – so zum Beispiel als gewissenhafter Dokumentarist ohne weitergehende propagandistische Ambitionen, als Geschäftsmann, dem es darum geht, seinem Publikum genau das zu verkaufen, was es möchte, oder als Künstler, der das Geschehen auf eine eher kontemplative Weise verarbeitet. Eindrucksvolle Exempel hierfür bieten die drei aktuellen Sonderausstellungen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden über „Krieg und Zerstörung im Medium der Fotografie“.

So sind im Japanischen Palais Aufnahmen aus dem Archivio Storico Fotografico der Fondazione Musei Civici di Venezia zu sehen, welche die Bemühungen zeigen, die Bauwerke und Kunstschätze in der einzigartigen Lagunenstadt an der Adria vor Luftangriffen zu schützen. Immerhin wurde Venedig zwischen Mai 1915 und November 1918 42mal attackiert, weil hier zahlreiche Marine- und Fliegerverbände Italiens stationiert waren. Dabei fielen insgesamt 1.029 Bomben.

US-Militär zensierte Kriegsfotografien

Allerdings vermitteln die Fotos kaum einen Eindruck von der Dramatik der Ereignisse, was auf die begrenzten technischen Möglichkeiten der damals verwendeten Plattenkameras zurückzuführen ist. Die Bilder von „Venedig im Kriegsgewand“ wirken statisch und bieder, wie das bei gestellten Aufnahmen mit relativ langer Belichtungszeit nun einmal der Fall ist. Zugleich fehlt aber auch das manipulative Element: Hier ging es tatsächlich ums Dokumentieren und nicht um die emotionale Beeinflussung des Betrachters.

Um so größer ist dann der Kontrast, wenn man vom Japanischen Palais über die Elbe ins Kupferstichkabinett des Dresdner Residenzschlosses wechselt, wo 110 Aufnahmen des ungarisch-amerikanischen Bildreporters Robert Capa alias Endre Ernö Friedmann ausgestellt sind. Anstelle bisher nie gesehener Aufnahmen von einer Stadt, welche sich ihren Besuchern sonst total anders präsentiert, warten hier zahlreiche Ikonen der Kriegsfotografie, die zum kollektiven Bildgedächtnis der Menschheit gehören und auch ganz unzweifelhaft propagandistische Funktionen zu erfüllen hatten.

Sie sollten belegen, mit welchem Einsatz und welchem Heldenmut die US-Truppen an der „Befreiung“ Europas mitwirkten, sei es in Tunesien, Sizilien und an den Stränden der Normandie, sei es in den Ardennen oder im Häuserkampf um Leipzig. Deshalb unterlagen Capas Bilder einer strengen Zensur durch das Militär und wurden darüber hinaus massivst retuschiert und beschnitten – alles im Dienste der Meinungsbildung und nicht selten auch um den Preis der Wahrhaftigkeit.

Das gleiche galt für die Bildunterschriften. Selbige sollten die Stimmung, die das bereits mehr oder weniger manipulierte Foto erzeugte, noch verstärken, wobei im Normalfall die Schaffung beziehungsweise Festigung von Feindbildern oder eine Identifikation mit den eigenen Soldaten angestrebt wurde.

Vor diesem Hintergrund liegt dann auch die Vermutung nahe, daß es vielleicht doch kein Zufall war, daß fast alle Aufnahmen, die Capa am D-Day gemacht hatte, durch den Fehler eines Londoner Labors verlorengingen. Immerhin zeigte die Bildstrecke ja nur die horrenden Verluste, welche die GIs erlitten, als sie am Omaha Beach an Land setzten ...

Auf jeden Fall wurde Capa dann zum Sprachrohr derer, die sich gegen die Eingriffe des Militärs wehrten und für das Recht des Fotografen eintraten, bei Veränderungen an seinen Bildern gehört zu werden. Allerdings hat er selbst auch Manipulationen vorgenommen. So gilt mittlerweile als sicher, daß das wohl berühmteste Kriegsfoto aller Zeiten, nämlich Capas „Fallender Soldat“ aus dem Spanischen Bürgerkrieg, kein authentisches Zeugnis einer Schlacht zwischen Republikanern und Falangisten ist, sondern im Zuge einer späteren Nachstellung der Kämpfe unter der persönlichen Regie Capas, der etwas mehr „Action“ wollte, entstand. Fraglich ist lediglich noch, ob der Soldat dabei tatsächlich durch die Kugel eines Scharfschützen ums Leben kam oder einfach nur gekonnt schauspielerte.

Sucht man nach dem Motiv für dieses betrügerische Vorgehen, so stößt man auf das Bemühen Capas, den Betrachter zu fesseln, indem er ihm suggeriert, daß es möglich sei, direkt am Kriegsgeschehen teilzunehmen, ohne dabei selbst Leib und Leben zu riskieren. Oder anders ausgedrückt: Capa bediente den Voyeurismus seines Publikums. Nur so konnte ein zunächst nicht sonderlich erfolgreicher jüdischer Kosmopolit zum Starfotografen des Life Magazine und anderer renommierter US-Blätter avancieren.

Dabei stand die Kunstfigur „Robert Capa“, die Friedmann (so sein Geburtsname) 1934 zusammen mit seiner Geliebten Gerta Pohorylle kreiert hatte, um mehr Eindruck zu schinden und seine Bilder teurer verkaufen zu können, natürlich unter einem enormen Erfolgsdruck. Manchmal war es nämlich einfach unmöglich, der selbstformulierten Maxime zu genügen, „wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran“ – dann mußte nachgeholfen werden. Hinweise hierauf vermißt man allerdings in der Schau im Dresdner Schloß: sie beschränkt sich darauf, Capa zu attestieren, daß er die menschliche „Sensationslust nach distanzlosen Bildern“ befriedigt habe, wonach sein Œuvre mit positiven, ja schwärmerischen Kommentaren bedacht wird. 

Bildauswahl hinterläßt faden Nachgeschmack

Vermutlich, weil er auf der Seite der „Kämpfer gegen den Faschismus“ stand. Und weil das Erwähnen von Fälschungen und Manipulationen logischerweise auch Assoziationen in bezug auf die Gegenwart wecken würde: Was ist mit den heutigen Bildjournalisten, die dem Betrachter retuschiertes Material unterjubeln? Haben diejenigen, welche auf der angeblich richtigen Seite stehen, tatsächlich das Recht, die Realität zu verzerren, um dem, was als „gut“ gilt, zum Sieg zu verhelfen?

Weniger eindimensional, aber trotzdem auch nicht ganz unproblematisch, präsentiert sich die dritte Station der Dreifachausstellung im Albertinum. Hier, im Domizil der Skulpturensammlung und der Galerie Neue Meister, findet der Besucher eine Exposition, die von der Tate Gallery of Modern Art in London konzipiert wurde und vermitteln soll, wie das Medium Fotografie bewaffnete Konflikte in der Rückschau vergegenwärtigen und reflektieren kann. Dabei entstanden manche der Bilder schon ganz kurz nach den kriegerischen Ereignissen, während in anderen Fällen Jahre oder gar Jahrzehnte vergingen, bis der Fotograf vor Ort war. Dann fehlt meist auch das propagandistische Element, und die Aussagen werden differenzierter.

Trotzdem freilich hinterläßt die Bildauswahl einen faden Nachgeschmack. Zahlreiche der im Albertinum gezeigten Aufnahmen stammen nämlich aus Hiroshima oder Nagasaki, während es kein einziges Foto von den Schauplätzen gibt, an denen Japan als Aggressor auftrat. Damit entsteht der Eindruck, als wäre das Tenno-Reich nur Opfer des Zweiten Weltkrieges beziehungsweise der Kriegführung der USA gewesen. Und genau deshalb widerspiegeln die Gesichter der japanischen Touristen dann auch die moralische Entrüstung von Angehörigen eines schuldlos heimgesuchten Volkes, wenn sie die Ausstellung verlassen und wieder in das Gewimmel rund um die Dresdner Frauenkirche eintauchen.

Die Ausstellung „Robert Capa. Kriegsfotografien 1943–1945“ ist im Kupferstich-Kabinett im Residenzschloß Dresden, Taschenberg 2, täglich außer dienstags von 10 bis 18 Uhr zu sehen.

Die Ausstellung „Eine Stadt im Krieg. Venedig 1915–1918“ wird im Japanischen Palais, Palaisplatz 11, und die Schau „Conflict, Time, Photography“ im Albertinum, Tzschirnerplatz 2, jeweils täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr gezeigt.

Alle drei Ausstellungen laufen bis zum 25. Oktober. Telefon: 0351 / 49 14 20 00

 www.skd.museum