© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/15 / 04. September 2015

Die Asylkrise kommt zur Schule
Ferienende: Tausende Kinder ohne Deutschkenntnisse müssen integriert werden
Cornelius Persdorf

Die Ferien gehen zu Ende, die Schule beginnt – auch für die Kinder von Asylbewerbern. Allein Niedersachsen rechnet für dieses Jahr mit 80.000 Antragstellern, davon zwischen 30 und 40 Prozent Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter. Dies entspricht einer Zahl zwischen 20.000 und 32.000. Die schulische Integration der Einwandererkinder stellt das Land vor große Herausforderungen: Zusätzliche Lehrstellen müssen geschaffen werden, insbesondere für Deutschkurse, ohne die eine schulische Eingliederung der Kinder nicht gelingen kann. 

„Die Mädchen und Jungen können nicht einfach in die Klassen gesteckt werden“, sagte der Chef des Niedersächsischen Philologenverbandes, Horst Audritz, dem Focus. „Wir benötigen Hilfsmittel für den Unterricht, Dolmetscher und möglichst kleine Lerngruppen.“ Er schlägt unter anderem die Reaktivierung von bereits pensionierten Lehrkräften vor. Dies alleine reiche aber nicht aus. Audritz plädiert für eine möglichst rasche Einschulung von Einwandererkindern, auch um sie an das deutsche Wertesystem heranzuführen. „Es dürfen keine Parallelstrukturen in Containerdörfern entstehen“, warnt er. Mehrere Lehrerverbände haben in einer Petition an das niedersächsische Kultusministerium zusätzliche Mittel gefordert. Dieses verwies darauf, die Sprachförderung bereits „massiv aufgestockt“ haben: „Die Zahl der Sprachlernklassen ist im vergangenen Schulhalbjahr auf rund 240 gestiegen, dies entspricht einer Vervierfachung gegenüber dem Schuljahr 2013/2014“, teilte das Ministerium mit. 

Ähnliche Maßnahmen hat auch Nordrhein-Westfalen ergriffen. Das Kultusministerium teilte auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit, daß für das kommende Schuljahr sogenannte Vorbereitungs- und Auffangklassen geplant sind, die sich im wesentlichen der Vermittlung der deutschen Sprache widmen werden. Während Vorbereitungsklassen für den Beginn des Schuljahrs vorgesehen sind, werden Auffangklassen je nach Bedarf im Verlauf des Schuljahres geschaffen. Für diese Klassen werden Lehrer aller Fachrichtungen eingesetzt. Da kann es vorkommen, daß sich Lehrer für Mathematik oder Sport plötzlich als Sprachpädagogen wiederfinden. Für die entsprechenden Lehrkräfte sind daher Fortbildungen in Vorbereitung. Ziel sei es, Schritt für Schritt möglichst viele Lehrer für den Unterricht „Deutsch als Zweitsprache“ zu qualifizieren. 300 der 310 zusätzlichen Lehrerstellen würden im kommenden Schuljahr eingesetzt, um „Kinder und Jugendliche aus Flüchtlingsfamilien oder vergleichbaren Lebenssituationen in kleinen Gruppen in Deutsch zu unterrichten“. 

Schnelle Eingliederung als Ziel 291 solcher Stellen seien bereits besetzt. Die zusätzlichen Kosten für diese Maßnahmen taxiert das Ministerium auf 14,2 Millionen Euro, davon 500.000 Euro für die Deutschförderung von heranwachsenden Zuwanderern ab 16 Jahren.

Mit einer ähnlichen Zahl von Flüchtlingskindern rechnet laut JF-Informationen Baden-Württemberg, das nach Angaben des Bundesamts für Migration in diesem Jahr bislang  79.000 Antragsteller verzeichnet. Laut Kultusministerium sind 30 Prozent davon schulpflichtige Kinder und Jugendliche. Die Landesschulverwaltung hat 300 Klassen zur Vermittlung elementarer Deutschkenntnisse eingeplant. Weitere sollen folgen. Den Kindern solle ein möglichst schneller Zugang zu regulären Klassen ermöglicht werden. Bis dahin soll die Größe der regulären Klassen unverändert bleiben. Für diese Maßnahmen sollen 565 neue Lehrer eingestellt werden, was einem finanziellen Mehraufwand von 24,8 Millionen Euro entspricht, teilte das Ministerium mit.

Um mehr als 70 Prozent stieg in Berlin die Zahl der schulpflichtigen Kinder ohne Deutschkenntnisse. In 431 sogenannten „Willkommensklassen“ werden 5.000 Kindern Grundkenntnisse der deutschen Sprache vermittelt. Mit diesen Kenntnissen sollen die Kinder auch in der Hauptstadt möglichst schnell in eine reguläre Schulklasse überführt werden.  

Schleswig-Holstein wollte keine Angaben zu den zusätzlichen schulischen Maßnahmen für Kinder von Asylbewerbern machen. „Flüchtlingskinder“ würden nicht gesondert statistisch erfaßt, hieß es aus dem Kultusministerium. „Das wollen wir auch nicht, alle sind schleswig-holsteinische Schülerinnen und Schüler.“

Es gebe im Vergleich zum vergangenen Schuljahr 125 Lehrerstellen für Deutsch als Fremdsprache mehr. Auch in Sachsen werden Kinder von Asylsuchenden nicht gesondert erfaßt, sondern gelten als „Schüler mit Migrationshintergrund“. Auf die wachsende Zahl von „Flüchtlingskindern“ habe das Land im vergangenen Schuljahr mit 332 Lehrerstellen reagiert, für das neue Schuljahr sind weitere 300 Stellen geplant. 

In Brandenburg werden mir dem begonnenen Schuljahr „3.000 Kinder und Jugendliche aus Flüchtlings- und Asylbewerberfamilien öffentliche Brandenburger Schulen besuchen, zumeist Grundschulen“, teilte das Bildungsministerium mit. Für diese Kinder hat das Land zusätzliche 124 Lehrkräfte zur Verfügung gestellt, ebenso Schulsozialarbeiter. Für Kinder, die sich noch in der Erstaufnahmeeinrichtung im märkischen Eisenhüttenstadt aufhalten, ruht die Schulpflicht. Dort bietet das Land seit dem Schuljahr 2013/2014 spezielle Vorbereitungskurse an, in denen täglich ungefähr 72 Kinder vier Stunden lang hauptsächlich Sprach-, aber auch Kunst-, Musik- und Sachunterricht erhalten.

Foto: „Willkommensklasse“ an einer Berliner Schule: Die Länder müssen zahlreiche Lehrer einstellen