© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/15 / 04. September 2015

„Da hätte ich gewisse Zweifel“
Franz Josef Strauß war ein knallharter Konservativer! Mit ihm wäre heute vieles anders! Wirklich? Der CSU-Experte und ehemalige Direktor der Politischen Akademie in Tutzing Heinrich Oberreuter zeichnet ein anderes Bild des legendären Bayern
Moritz Schwarz

Herr Professor Oberreuter, war Franz Josef Strauß ein Konservativer?

Oberreuter: Hinsichtlich seiner Wertorientierung eher ja, hinsichtlich seiner nach vorne gerichteten Gestaltungskraft eher weniger. Wobei auch seine Wertorientierung nicht statisch konservativ war, sondern christlich-konservative Vorstellungen liberal interpretierte. 

Das klingt unterm Strich eher nach nein.

Oberreuter: Nun, eine Partei, so Strauß, sei keine „Wertekommandantura“, und konservativ zu sein, das heiße „auf dem Boden des christlichen Sittengesetzes in der weitest möglichen Form seiner Auslegung mit liberaler Gesinnung an der Spitze des Fortschritts zu marschieren“.

Bitte?

Oberreuter: Das ist kein Kabarett, das hat er ernst gemeint! Er wollte sagen, daß politische und gesellschaftliche Werte der Entwicklung unterliegen. Und daß es daher gilt, nicht Äußerlichkeiten, sondern die Substanz zu bewahren – die er in einem christlichen Humanismus sah. 

Klingt schön, aber schwammig. 

Oberreuter: Keineswegs, Strauß war ein differenzierter Denker.

Viele Konservative glauben, wäre Strauß noch in der Politik, würde er sich gegen die – aus konservativer Sicht – Fehlentwicklungen unserer Zeit stemmen. 

Oberreuter: Zum Beispiel?

Etwa Übernahme der Politischen Korrektheit auch in der CSU, Preisgabe der Interessen der Vertriebenen, Aufgabe nationaler Interessen im Zuge des EU-Ausbaus oder einer grenzenlosen Freizügigkeit. 

Oberreuter: Da hätte ich gewisse Zweifel. Strauß war stets offen gegenüber vernünftiger Modernisierung – auch jenseits des Nationalen. Er war etwa ein Förderer der Integration in westliche Bündnissysteme und keineswegs Gegner einer EU-Vertiefung. Die Euro-Währungsunion hätte er – sofern der deutschen Wirtschaft dienlich – akzeptiert, vorausgesetzt, sie wäre auf tragfähige ökonomische Rationalitäten statt auf schrankenlose politische Priorität gegründet worden.

Ausgerechnet von Horst Seehofer kam 2013 der Vorstoß zur Ausweitung der doppelten Staatsbürgerschaft. Hätte so etwas etwa auch von Strauß kommen können?

Oberreuter: Schwierig. Er war wie gesagt kein statischer Konservativer. Sicher hätte er 1970 oder 1980 einem solchen Vorschlag nicht zugestimmt. Aber ob das auch für 2013 gilt? 

War Strauß also vielleicht nur ein Populist, der konservativ war, weil der Zeitgeist, mit dem er Wahlen gewann, konservativ war?

Oberreuter: Nein. Angesichts etwa des Bundestagswahlergebnisses 1949, als SPD und Union nur 1,8 Prozent auseinanderlagen, hätte er als purer Populist schließlich ebenso für Nationalstaat und Wiedervereinigung eintreten können, statt für die Westintegration; oder für eine gelenkte Wirtschaft, statt für Marktwirtschaft. Solche Positionen finden sich in seinem politischen Leben aber nicht.

Die Erosion seines Konservatismus hat schon zu Lebzeiten begonnen: 1983 gründeten rechte CSU-Dissidenten aus Enttäuschung über ihn die „Republikaner“. 

Oberreuter: Strauß hat mit dem Milliardenkredit für die DDR – der damals Anlaß für die Abspaltung war – auf außenpolitische und humanitäre Herausforderungen reagiert, die Grenzen durchlässiger und die DDR von der D-Mark abhängig gemacht. Konservativ zu sein, das bedeutet doch nicht, einmal gefaßte Positionen nie wieder aufzugeben, selbst wenn die Welt inzwischen eine andere ist. Das ist nicht konservativ, das ist dumm. 

Es geht nicht darum, ob der Kredit richtig oder falsch war, sondern darum, daß sich schon damals immer mehr Konservative über ihn enttäuscht zeigten. 

Oberreuter: Das stimmt, und weil viele nicht verstanden haben, daß man Positionen auch fortentwickeln muß, hat Strauß bei der nächsten Wahl zum Parteivorsitz auch nur 77 Prozent bekommen. An dieser Stelle müßten wir aber mal den Begriff „konservativ“ klären. Sie verwenden ihn in einer Art, der das Odium des Stillstands anhaftet. Solche Art Konservatismus aber tut sich selbst nicht gut, denn politische Anschauungen, die nicht zur Kommunikation und Gestaltung in ihrer Zeit fähig sind, sind dazu verurteilt abzusterben. Ich warne davor, den ehrbaren Begriff „konservativ“ für bloßes Verharren zu verwenden. 

Tatsache ist, daß schon damals Konservative sich ob Strauß die Augen rieben. Und die Frage ist, ob sie sich heute vielleicht erst recht die Augen reiben würden?

Oberreuter: Ganz bestimmt sogar.  Denken Sie etwa daran, wie sich Edmund Stoiber, als äußerst gelehriger Schüler von Strauß, fortentwickelt hat.

Konservativen gilt das ehemalige „blonde Fallbeil“ Stoiber also zu Unrecht als Verräter am Strauß-Konservatismus?

Oberreuter: Ja, Stoiber hat vielmehr die Straußsche Linie – Konservatismus durch notwendige Modernisierung zu bewahren – fortgesetzt. 

Folglich läge die CSU-Basisbewegung „Konservativer Aufbruch“, die eine Rückkehr der Partei zur Politik von Strauß fordert, mit ihrem Rekurs-Anspruch falsch?

Oberreuter: Wenn sie fordert, die Partei möge eine Position beziehen, weil Strauß diese vor dreißig Jahren bezogen hat, ja. Wenn sie allerdings eigene, überzeugende und zeitgemäße Argumente dafür hat, dann ist das in Ordnung. Es täte der CSU nach meiner Ansicht übrigens durchaus gut, ihre Positionen auch gegenüber stichhaltigen konservativen Argumenten zu begründen.

Horst Seehofer praktiziert einen eigenwilligen und populistischen Regierungsstil. Steht er damit in der Nachfolge von Strauß oder eben gerade nicht?

Oberreuter: Vielleicht überrascht Sie das, aber Populismus war Strauß fremd. Eines seiner Motti war, man müsse dem Volk aufs Maul schauen – aber nicht nach dem Munde reden. Horst Seehofer würde zwar sagen, genau das sei auch sein Motto, nur hält er sich nicht daran. 

Sondern? 

Oberreuter: Er hält bevorzugt Ausschau nach einer politischen Linie, die er für mehrheitstauglich hält.

Die sogenannte „Koalition mit dem Volk“, wie er gerne sagt. Klingt doch gut! 

Oberreuter: Die Demokratie ist doch an sich schon eine „Koalition mit dem Volk“. Nein, nach allem, was ich aus der CSU über Seehofer höre, lebt er offenbar in einer eigenen Welt, die nicht mehr ganz real ist. Strauß dagegen war durchaus auch offen für gute Gegenargumente, mit ihm konnte man streiten. Und er wagte auch mal, gegen die Mehrheitsmeinung zu führen, und hat dann um Zustimmung gerungen.    

Strauß’ nächste Schüler waren Edmund Stoiber und Peter Gauweiler – Stoiber eher der Funktionär, Gauweiler eher der Typus. Warum hat letzterer sich nicht durchgesetzt – wo doch angeblich der „Typus“ Strauß’ politisches Geheimnis gewesen sein soll?  

Oberreuter: Das ist eine gute Frage. Vielleicht war Gauweiler zu sehr „Musterschüler“, zu sehr „Kopie“, zu folkloristisch. Bayern besteht nicht nur aus Oberbayern, Lederhose und Trachtenjanker. Womit ich nichts gegen Gauweilers Intellekt gesagt haben will! Stoiber hatte aber wohl die effektivere Vorstellung vom modernen Regieren und konnte sich im Parteiapparat durchsetzen.

Strauß wird nachgesagt, persönliche oder parteiliche Vorteile über die Interessen des Landes gestellt zu haben – Stichwort Starfighter-Affäre oder Sonthofen-Strategie. War Strauß tatsächlich der Patriot, für den viele Konservative ihn heute halten?

Oberreuter: Pardon, aber Franz Josef Strauß den Patriotismus abzusprechen halte ich nicht für diskussionswürdig. 

Um des eigenen Vorteils willen ein Waffensystem anzuschaffen, das nicht richtig funktioniert, die Verteidigung beeinträchtigt, zahlreiche eigene Soldaten tötet und Zivilisten gefährdet, ist durchaus unpatriotisch.

Oberreuter:  Es gibt nicht einen Nachweis dafür, daß Strauß von Lockheed, dem US-Hersteller des Starfighter-Kampfflugzeugs, gekauft wurde. Die Fama, man habe ihm dafür etwa die Hollywood-Schauspielerin Jayne Mansfield zugeführt, ist erwiesenermaßen Legende. Und der Starfighter ist nicht das einzige komplexe Waffensystem, das problembehaftet war. Strauß’ Vorgänger als Verteidigungsminister etwa schaffte den völlig ungeeigneten Schützenpanzer HS 30 auf Grundlage eines Modells aus Sperrholz an! Oder denken Sie an die Ausrüstungskrise der Bundeswehr heute. Und die Sonthofener Rede, auf die Sie anspielen, in der Strauß wahlstrategisch äußerte, es müsse in Deutschland alles noch schlimmer werden, damit die Union wieder an die Macht komme, zielte ja eben darauf, dem Patriotismus wieder aufzuhelfen, weil nach Strauß’ Ansicht die damalige Regierung der Nation schadete. 

Der „Spiegel“ berichtete jüngst von Dokumenten, die angebliche Schmiergeldzahlungen der Industrie an Strauß mindestens für die Jahre 1964 bis 1968 belegen. 

Oberreuter: Das ist genau zu prüfen. Die Vorwürfe des Spiegel gehen auf die neue Strauß-Biographie des Journalisten Peter Siebenmorgen zurück. Wenn Sie aber zum Beispiel über eine andere, die sogenannte Onkel-Aloys-Affäre, in die Strauß verstrickt gewesen sein soll, in der Biographie des Historikers Horst Möller nachlesen, steht da das glatte Gegenteil von dem, was Siebenmorgen diesbezüglich behauptet. Nämlich Strauß sei 1962 zu „Onkel Aloys“ auf Distanz gegangen, habe ihm den Zugang zum Bundesverteidigungsministerium verwehrt. Sicher hatte Strauß hier eine problematische Seite, aber das muß man schon im Detail belegen und bedenken, wie sich auch andere Politiker damals verhalten haben, ich erinnere nur an die Flick-Affäre.   

Strauß hat die Verhaftung eines „Spiegel“-Redakteurs initiiert und soll den Bundestag belogen haben, zeigte also keinen Respekt vor der verfassungsmäßigen Ordnung. Kein Markenzeichen für einen Konservativen.

Oberreuter: Na ja, das hat sich schon etwas differenzierter abgespielt, aber es stimmt, daß er Fehler gemacht hat, wofür er dann ja auch zu Recht mit dem Verlust seines Ministeramtes büßen mußte. Allerdings fanden sich damals beim Spiegel in der Tat Dokumente, die dort nicht hätten sein dürfen, auch wenn sie mit dem eigentlichen Vorwurf des Landesverrats nichts zu tun hatten.

Der Konservative gilt einem gewissen Ethos verpflichtet, etwa Recht und Ordnung. Wie paßt das zu den guten Beziehungen, die Strauß zu rechtlosen Regimen wie in Chile oder Paraguay, pflegte oder zu seinem Verhältnis zur Colonia Dignidad?

Oberreuter: Daß da mancher Kontakt ein Geschmäckle hatte, meine auch ich. Jenseits dessen aber muß man eben mit zwielichtigen Regimen umgehen. 

Strauß wird nicht Umgang vorgeworfen, sondern eine Art Freundschaft. 

Oberreuter: Strauß ist auch mit dem bulgarischen Diktator Todor Schiwkow jagen gegangen, obwohl er ganz sicher keine Sympathien für den Kommunismus hatte. Das ist Politik. Denken Sie daran, wie etwa SPD- und SED-Politiker miteinander umgegangen sind. 

Auch nicht besser. 

Oberreuter: Das gehört eben dazu, wenn man versucht, Beziehungen zu entspannen. Aber ich sage ja, daß es da bei Strauß auch einiges zu kritisieren gibt.

Neben der goldenen Strauß-Legende – Strauß als aufrechter Konservativer und wahrer Volkspolitiker – gibt es auch eine schwarze Strauß-Legende, eben die vom durch und durch korrupten Amigo und rechtsextremen Populisten. Haben nicht nur die Konservativen, sondern auch die Strauß-Gegner ihre Sicht aufzuarbeiten?

Oberreuter: Ja, ganz sicher. Etliche Medien verbreiteten lange und intensiv, teilweise bis heute, ein Bild von Strauß, das die Historiker so nicht verifizieren konnten. Und Sie sehen daran, wie die Debatte heute noch geführt wird, wie wirkmächtig dieses ist. Kaum jemand – außer die CSU natürlich – spricht doch zum Beispiel über die großen Verdienste von Franz Josef Strauß, was etwa den Aufbau der Bundeswehr, die Ordnung des Haushaltes als Bundesfinanzminister, die Förderung von Wirtschaft und Wohlstand oder insgesamt die Modernisierung nicht nur Bayerns, sondern Deutschlands angeht.  






Prof. Dr. Heinrich Oberreuter, der Politikwissenschaftler an der Universität Passau war Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing und des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung der TU Dresden. Als CSU-Experte ist er immer wieder zu Gast in Presse, Funk und Fernsehen. Die Landtage von Bayern, Sachsen und Rheinland-Pfalz beriefen ihn als Sachverständigen. Der 1942 geborene Breslauer dozierte zudem an den Universitäten Harvard, Columbia, Georgetown, Peking sowie an der Sorbonne und der Akademie der Wissenschaften in Moskau.

Foto: Franz Josef Strauß (beim Salvator-Anstich 1983): „Offen für Modernisierung – auch jenseits des Nationalen“ 

 

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