© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

In den Giftschrank gesperrt
„Hart aber fair“: Weil der WDR eine Sendung zur Geschlechterpolitik aus seiner Mediathek gelöscht hat, muß er sich gegen den Vorwurf der Zensur wehren
Thorsten Thaler

Der Fernsehdirektor des Westdeutschen Rundfunks (WDR) Jörg Schönenborn ist sich keiner Schuld bewußt. „Beiträge aus der Mediathek herauszunehmen, ist kein ungewöhnlicher Vorgang, sondern kommt aus unterschiedlichen Gründen immer wieder vor: etwa wenn sich wesentliche Sachverhalte ändern“, teilte er am Montag dieser Woche in einer Stellungnahme seines Senders mit. Welche Sachverhalte das im Fall der aus der Mediathek gelöschten „Hart aber fair“-Sendung zur Geschlechterdebatte sein sollten, verriet Schönenborn jedoch nicht.

Tatsache bleibt: Die am 2. März dieses Jahres ausgestrahlte Talkshow mit Frank Plasberg (58) zum Thema „Nieder mit den Ampelmännchen, her mit den Unisex-Toiletten – Deutschland im Gleichheitswahn“, die von knapp drei Millionen Zuschauern gesehen wurde, ist nach Programmbeschwerden und „zahlreichen Protestbriefen“ (WDR) aus der ARD-Mediathek herausgenommen und in den Giftschrank gesperrt worden. Mehrere Frauenverbände sowie die Landesarbeitsgemeinschaft der Gleichstellungsbeauftragten in NRW hätten Sexismus-Vorwürfe erhoben, hieß es. Die Sendung sei als „unseriös“ empfunden worden. Die Auswahl der Gäste sei nicht dazu geeignet gewesen, „eine faire Diskussion über Geschlechterforschung zu führen“.

Kritik an Frank Plasberg und seinen Fragen

An der Sendung hatten FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, die Publizistin Birgit Kelle, die Schauspielerin Sophia Thomalla und die Bloggerin Anne Wizorek teilgenommen. Kritik übten die Beschwerdeführer in einem Schreiben an WDR-Intendant Tom Buhrow auch an Frank Plasberg. Der Moderator hatte in seiner Anmoderation die 190 Genderprofessuren als „Alltagswahnsinn, den wir uns hier in Deutschland leisten“, bezeichnet. Zudem seien seine Fragen „manipulativ“ gewesen.

Während der Deutsche Frauenrat die Entscheidung der WDR-Programmverantwortlichen, die Sendung aus der Mediathek zu nehmen, bejubelte, hagelte es sonst reichlich Empörung über diese Zensurmaßnahme. Sophia Thomalla (25), an deren „frauenfeindlichen“ Äußerungen (O-Ton Thomalla: „Wer als Frau ständig für Gleichstellung und gegen Sexismus wettert, hat offenbar noch nie ein Kompliment bekommen“) sich insbesondere die Kritik entzündet hatte, reagierte verärgert: „Befremdlich und insbesondere alarmierend finde ich aber, daß sich eine gewisse Klientel – ach, nennen wir das Kind doch beim Namen: Frauenverbände, die leider immer noch stark durchsetzt sind mit feministischen Extremistinnen – eine Lobby aufgebaut hat, die es doch ernsthaft geschafft hat, den Rundfunkrat zu so einer Entscheidung zu bewegen“, schrieb sie auf dem Onlineportal des Stern. „Verbote von Meinungen“ kenne sie „eigentlich aus dem Geschichtsbuch“, sagte sie der Bild-Zeitung.

Die Autorin Birgit Kelle („Dann mach doch die Bluse zu“) sprach von „Orwellschen Zügen“. Es könne nicht sein, daß Sendungen „nachträglich aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht“ werden, postete sie auf ihrer Facebook-Seite, nur weil „ein paar chronisch beleidigte Gender-Feministinnen“ sich beschwerten. Wolfgang Kubicki forderte, die Sendung wieder in die Mediathek zu stellen. „In welchem Land leben wir, wenn feministische Extremisten in der Lage sind, mit einem organisierten Shitstorm die Meinungsfreiheit einzuschränken?“ fragte der FDP-Politiker

Neue Debatte zum Thema Anfang September 

Unverständnis über die Zensur äußerten auch Politiker verschiedener Parteien, darunter der innenpolitische Sprecher der SPD, Burkhard Lischka, und CDU-Vizechefin Julia Klöckner. Seltene Einmütigkeit herrscht ebenso in den Medien, von der Frankfurter Allgemeinen bis zum Neuen Deutschland. Tenor: Die Sendung mag kritikwürdig gewesen sein, in den Giftschrank gehöre sie aber keinesfalls. Der WDR verzichte freiwillig auf die Presse- und Meinungsfreiheit, er „kniet vor denen nieder, die Andersdenkenden Sprechverbote erteilen wollen. So sieht ein journalistischer Offenbarungseid aus“, kommentierte die FAZ den Zensurvorgang.

Fernsehdirektor Schönenborn ficht das alles nicht an. Der Zensurvorwurf sollte „nicht leichtfertig“ erhoben werden. Was er an der berechtigten Kritik  „leichtfertig“ findet, erklärte er nicht. Statt dessen verteilte er eine Beruhigungspille. „Aufgrund der großen Debatte“ werde das Geschlechterthema „voraussichtlich“ Anfang September erneut in einer „Hart aber fair“-Sendung aufgegriffen.

Die aus der ARD-Mediathek entfernte „Hart aber fair“-Sendung auf Youtube:  www.youtube.com

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