© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

Die Rückkehr der Weiterleiter
Journalisten heute und gestern: Etablierte tonangebende Medien ähneln immer mehr denen in der DDR
Thorsten Hinz

Der Umgang der Medien mit der Massenzuwanderung läßt sich nur noch mit Sarkasmus kommentieren. Angeblich treffen vor allem Herzchirurgen, Computerspezialisten, Handwerker mit goldenen Händen und fürsorgliche Krankenpfleger ein und fiebern der Gelegenheit entgegen, das Bruttosozialprodukt zu steigern, die Sozialsysteme zu sanieren und die entvölkerten Gegenden im Osten in blühende Landschaften zu verwandeln. Landesweit bilden sich spontane Begrüßungskomitees, und alles wäre bestens, gäbe es nicht den „rassistisch motivierten Terror von rechts“ (Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, SPD, im Spiegel), die „ausländerfeindliche Bagage“ (Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung), „eine Minderheit, die gegen Asylbewerber Stimmung macht, die Flüchtlingsunterkünfte anzündet, unter Wasser setzt oder beschießt, die auf Anti-Asyl-Demonstrationen herumplärrt “ (der Dresdner Lokalreporter der FAZ).

Es fällt immer schwerer, dem Vergleich mit der Medienpraxis in der DDR zu widersprechen. Als das Land im Sommer 1989 unter dem Eindruck der Massenflucht kollabierte, schrieben die Journalisten über initiativreiche Werktätige, welche die staatlichen Planvorgaben schöpferisch überboten und von kollektiver Vorfreude auf den nächsten SED-Parteitag erfüllt waren. Doch der Klassenfeind versuchte das Glück im sozialistischen Winkel zu sabotieren: Seine Agenten betäubten in Ungarn urlaubende DDR-Bürger mit Mentholzigaretten und entführten sie nach Österreich, während die BRD-Neonazis auf ihrem Marsch nach Bonn sich dem Stadtrand näherten ...

Das waren und sind hermetische Medienwelten, die viel mit Ideologie und wenig mit der Realität zu tun haben. Sie allein auf die Wagenburg-Mentalität, die Weltfremdheit und den verinnerlichten Wahnwitz der Medienarbeiter zurückzuführen, greift zu kurz. In der 1992 erschienenen anspruchsvollen Untersuchung „Die Weiterleiter“ von Stefan Pannen, die sich mit der Funktion und dem Selbstverständnis der DDR-Journalisten befaßt, erklärt einer von ihnen rückblickend: „Wir haben das Maul gehalten und unter uns (...) haben wir sarkastische Bemerkungen getauscht. Mein Gott, was konnten wir spöttisch sein. Aber den Beruf, den haben wir nicht getauscht.“

Die Synthese aus Desillusionierung und Angepaßtheit war repräsentativ für den Berufsstand. Daneben gab es – wie heute auch – den gutbezahlten Zyniker, den starren Dogmatiker und den beschränkten Dummkopf. Die Funktion des „Weiterleiters“ war – und ist – ihnen gemeinsam: „Durch ihn flossen die Informationen der Partei, die er weiter-leitete. Überdies sollte er die Massen selbsttätig an-leiten, schließlich war er Funktionär der Partei ...“

Zwar existiert heute keine Staatspartei mit Macht- und Meinungsmonopol, doch der Meinungskorridor verengt sich in dem Maße, wie die Parteien ihre Unterscheidbarkeit verlieren. Damit gleicht sich auch die Funktion vieler – der meisten – Journalisten heute jener von DDR-Journalisten an. Statt zu berichten und zu analysieren, verlegen sie sich auf die Suggestion von Meinungen, Weltbildern, von Handlungsanweisungen und auf Drohungen. Die dauernde Wiederholung der Absurditäten soll dem Empfänger klarmachen, daß die absurde Situation unabänderlich ist und er ihr nicht entrinnen kann. 

Auch die Medienkrise hat keinen Wettbewerb um mehr Lebensnähe, Meinungsvielfalt und Offenheit – „Glasnost“ – ausgelöst, obwohl die Verkaufserfolge der Bücher von Thilo Sarrazin, Akif Pirincci oder Udo Ulfkotte gezeigt haben, daß das Publikum begierig danach ist. Pluralismus und das Prinzip von Angebot und Nachfrage sind durch die institutionellen Zwänge des politisch-medialen Komplexes, der seinem Fußvolk keine Alternativen läßt, außer Kraft gesetzt worden. Journalisten wie auch einzelne Formate und Medien schätzen bei sinkenden Auflagen das Risiko des Ausscherens immer noch höher ein als das des opportunistischen Zuwartens. Niemand weiß, ob der eigene Sender, die eigene Zeitung nicht demnächst bankrott geht, Entlassungen vornimmt oder mit der Konkurrenz fusioniert. Um auf jeden dieser Fälle vorbereitet und anderswo anschlußfähig zu sein, orientiert man sich am risikolosen Durchschnitt. Das verschärft den Angleichungsprozeß zusätzlich. 

Zeitungen und Zeitschriften scheinen den Ausweg in einer dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vergleichbaren, zwangsfinanzierten Absicherung zu erblicken. Zu diesem Zweck verweisen sie auf ihre staatspolitische Unentbehrlichkeit und untermauern sie durch Konformismus. Die Entfernung von den Lesern erscheint in der Abwägung als das kleinere Übel. Um dennoch den Eindruck von Würde und Selbstbestimmung aufrechtzuerhalten, wird der Zwang, dem man gehorcht, als freie Entscheidung hingestellt, was wiederum zu ideologisch verhärteten Auftritten führt, die nicht mehr zwingend durch Überzeugungen gedeckt sind.

Buchautor Stefan Pannen hielt die „kognitive Dissonanz“ – das quälende Nebeneinander gegensätzlicher Gedanken und Gefühle – und die Mischung aus Pflichtgefühl und Untertanengeist für typische Eigenschaften von DDR-Journalisten. Eine Erklärung dafür sah er in den Prägungen aus der NS-Zeit, die in der DDR nie aufgearbeitet wurden, während sie in der Bundesrepublik „langsam (geschwunden)“ seien. Nun, die neototalitären Verhaltenmuster haben sich längst gesamtdeutsch regeneriert. Man muß nur das „Pflichtgefühl“ durch die standardisierte „Selbstverwirklichung“ ersetzen und erhält eine aktuelle Charakterisierung des journalistischen Weiterleiters, der auf dem Weg des ideologischen, professionellen und moralischen Bankrotts beherzt voranschreitet und alle Zweifel unterdrückt.

Über seine künftigen Aufgaben hinsichtlich der Masseneinwanderung war im Berliner Tagesspiegel zu lesen: „Das Projekt Aufklärung müßte also auf der anderen Seite im deutschen (europäischen) Inneren an tiefsitzenden soziokulturellen Einstellungen rühren und wäre als politische Bildungsaufgabe der von Amerikanern und Briten nach 1945 in Westdeutschland betriebenen ‘Reeducation’ vergleichbar.“ Der Journalist als Ingenieur der menschlichen Seele und Werkzeug der Über-Macht! Zu den Folgen der „Reeducation“ gehört nämlich die Akzeptanz der Fremdbestimmtheit – vergleichbar einem Naturgesetz – und ihre Transformation in einen moralischen Imperativ. Die DDR 2.0 ist mehr als nur ein Hirngespinst.