© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

Mit Böllern, Flaschen und Steinen
Gewalt: Die brutalen Angriffe von Rechtsextremisten vor einer Asylunterkunft im sächsischen Heidenau haben die Polizei völlig unvorbereitet getroffen
Paul Leonhard

Die sächsische Kleinstadt Heidenau – zwischen der Landeshauptstadt Dresden und der Sächsischen Schweiz gelegen – ist seit dem Wochenende ein Synonym für das Versagen der deutschen Innenpolitik im allgemeinen und der sächsischen im besonderen. Hunderte Bürger waren hier einem Aufruf der NPD gefolgt, um gegen eine kurzfristig in einem leerstehenden Baumarkt eingerichtete Flüchtlingsunterkunft für bis zu 620 Personen zu protestieren. Verlief die Demonstration von etwa tausend Personen am Freitag abend vergangener Woche friedlich, versammelten sich später rund 200 Rechtsextremisten, um mit Straßenblockaden die Ankunft von Flüchtlingen zu verhindern.

Daß es dabei zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit Gegendemonstranten oder der Polizei kommen würde, hatten Asylgegner offenbar erwartet, jedenfalls waren diese bestens mit Feuerwerksböllern, Flaschen und Steinen ausgerüstet. Ganz im Gegensatz zur sächsischen Polizei, die sich am ersten Abend völlig überfordert zeigte und nicht einmal Schutzschilde dabeihatte.

Von einem „völlig unvermittelten“ Angriff sprach ein sichtlich schockierter Polizeipräsident Dieter Kroll, dessen Einsatzzentrale gerade einmal 136 Polizisten am Ort des Geschehens zusammenziehen konnte, von denen 31 verletzt wurden, ein Beamter durch einen Steintreffer im Gesicht schwer. Als sich am nächsten Abend erneut Krawalle vor dem Flüchtlingslager abzeichneten, konnte das Innenministerium 170 Polizisten abordnen. Diesen standen rund 150 Rechtsextremisten sowie 150 linksextremistische  Gegendemonstranten gegenüber. Am Sonntag abend fuhren schließlich Wasserwerfer auf, wurde ein Versammlungsverbot ausgesprochen und Bereitschaftspolizei eingesetzt. Trotzdem kam es zu Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Demonstranten.

Sachsens Verfassungsschutz, der ebenso wie die Polizei seit geraumer Zeit über fehlendes Personal klagt, scheint von den Ausschreitungen überrascht. Auch Innenminister Markus Ulbig (CDU), eigentlich immer zur Stelle, wenn es um den „Kampf gegen Rechts“ geht, zeigte sich diesmal äußerst zurückhaltend. Immerhin ließ er eine Sicherheitszone um das Flüchtlingsheim einrichten, in der die Polizei jetzt Personen ohne konkreten Verdacht kontrollieren darf.

Parallel dazu setzte der übliche Politiktourismus ein, der von Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) („Das ist Menschenhaß mit erschreckender Gewalt“) über SPD-Landeschef Martin Dulig („Wir lassen uns das nicht gefallen und weichen auch nicht zurück“) bis zu Vizekanzler Sigmar Gabriel („Man darf den Typen, die sich da rumtreiben, keinen Millimeter Raum geben“) reichte. Da war von dem für diesen Mittwoch angekündigten Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel, den Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz bereits am Montag eingefordert hatte, noch gar keine Rede. 

Ausländerbeauftragter räumt Versäumnisse ein

Merkel kritisierte die Vorfälle am Montag von Berlin aus als abstoßend. Besonders beschämend sei es, „wie Bürger, sogar Familien mit Kindern, durch ihr Mitlaufen diesen Spuk unterstützen“.

Oppositionspolitiker von Linkspartei und Grünen, aber auch Landtagsabgeordnete der in Sachsen mitregierenden SPD kritisierten das angeblich zu zögerliche Vorgehen der Polizei. Diese wehrte sich. „Das Vorhalten einer ausreichenden und bestens ausgerüsteten Polizei hätte schon lange geschehen müssen“, reagierte die Gewerkschaft der Polizei. Die Beamten seien „personell völlig überfordert“. Politische Versäumnisse räumte Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth (CDU) ein. Er forderte ein generelles Demonstrationsverbot vor Flüchtlingsunterkünften sowie den Einsatz von Wachdienst, Konfliktmanagern und Videoüberwachung. Auch müsse die Justiz „zügig dafür sorgen, daß diejenigen, die schweren Landfriedensbruch begangen haben, auch zur Verantwortung gezogen werden“. Angesichts der „Kombination aus konzeptionsloser Politik und massiven Flüchtlingsströmen nach Deutschland“ prophezeit der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, bereits „Gewalt, Extremismus und auch Rechtsterrorismus“.