© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

„Die Szene ist dort weiterhin sehr stark“
Islamismus: Die beiden Angeklagten im Celler IS-Prozeß kommen aus Wolfsburg. Eine Spurensuche in der VW-Stadt
Christian Vollradt

Seit 2012 sind etwa 700 Islamisten aus Deutschland ins Kriegsgebiet nach Syrien und in den Irak aufgebrochen, ein Drittel von ihnen sei wieder in Deutschland, teilte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) jüngst der Bild am Sonntag mit. Diese Rückkehrer sind es, die den Sicherheitsbehörden Kopfzerbrechen bereiten: wie gefährlich sind diese – womöglich traumatisierten oder abgestumpften – jungen Männer mit Kampferfahrung? Planen sie Anschläge in Deutschland, werben sie neue Kämpfer für die Terrortruppe Islamischer Staat (IS)? 

Zur Zeit stehen mit Ayoub B. und Ebrahim H. B. zwei solcher Rückkehrer als mutmaßliche IS-Anhänger in Celle vor Gericht (JF 34/15). Beide Männer stammen aus Wolfsburg; die Stadt gilt als ein Schwerpunkt der salafistischen Szene. Bisher sollen laut Erkenntnissen aus Sicherheitskreisen niedersachsenweit etwa 60 Islamisten nach Syrien sowie in den Irak ausgereist sein, fast die Häfte davon allein aus der Region Braunschweig/ Wolfsburg. „Die Szene ist dort weiterhin sehr stark“, bestätigte Niedersachsens oberste Verfassungsschützerin Maren Brandenburger vergangene Woche in der Braunschweiger Zeitung. 

Wie kommt es, daß ausgerechnet hier eine Brutstätte radikaler Islamisten liegt? Eine Antwort darauf steht bisher aus. Die Volkswagenstadt ist wohlhabend, Arbeitslosigkeit, Armut oder Perspektivlosigkeit sind hier kein schlagzeilenträchtiges Thema. Und Ayoub B., der bei seiner Festnahme im Januar kämpferisch den Zeigefinger des Gotteskriegers gen Himmel reckte,  wohnte nicht im Ghetto, sondern in einem bürgerlichen Ortsteil mit geklinkerten Eigenheimen. Der 27jährige war auch kein Schulabbrecher und hatte eine Festanstellung im VW-Werk. 

Die Radikalisierung sei ein individueller Prozeß, es gebe kein einheitliches Muster, betont Verfassungsschutzpräsidentin Brandenburger. Einige der zum Kampf für den IS Ausrückenden seien „vermeintlich gut integriert“. Eine entscheidende Rolle bei der Werbung für den Dschihad spielen nach Einschätzung der Experten die radikalen Prediger. 

Der Autobauer reagiert ausweichend

In Braunschweig etwa übe Muhamed Ciftci, der früher mit seinem fundamentalistischen Verein „Einladung ins Paradies“ für Aufsehen sorgte, immer noch maßgeblichen Einfluß aus (JF 28/14). In der dortigen Hinterhofmoschee des Vereins „Deutschsprachige muslimische Gemeinschaft“ sollen die Islamisten aus Wolfsburg zu Gast gewesen sein. 

Einer ihrer maßgeblichen Anführer, Yassin Oussaifi, soll laut Aussage von B. im Celler Prozeß jedoch auch in der Wolfsburger Eyüp-Sultan-Moschee gepredigt haben, die zur Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) gehört. Dort allerdings habe man vom Treiben der Fundamentalisten zunächst nichts mitbekommen, beteuert ein breitschultriger Türke, der sich als stellvertretender Gemeindevorsitzender  vorstellt. „Wer zu uns kommt, um zu beten, wird nicht abgewiesen“, erläutert er der JUNGEN FREIHEIT. Nachdem man Propagandamaterial entdeckt hatte, habe die Gemeinde der Gruppe um Oussaifi Hausverbot erteilt. Warum sich so viele junge Männer von hier dem IS anschließen? Der Gemeindevorstand kann nur spekulieren: „Ich arbeite als Türsteher, da bekommt man mit, wie viele dieser Jungs mit Drogen dealen; Kokain und so.“ Irgendwann werde manchem wohl klar, daß das kein Leben ist, und dann wende sich mancher eben der Religion zu – in einer besonders radikalen Version. 

Und wie reagiert Volkswagen darauf, daß ein ehemaliger Firmenangehöriger nun als mutmaßliches Mitglied einer Terrorgruppe vor Gericht steht und dort erklärte, er sei an seinem Arbeitsplatz durch einen Kollegen mit dem Islamismus in Berührung gekommen? Geht man gegen islamischen Extremismus unter eigenen Arbeitnehmern vor? 

Der Autobauer teilte auf Anfrage der JF mit, man stehe „für Respekt, Toleranz und Weltoffenheit“ sowie „demokratische Prinzipien und Toleranz gegenüber Andersdenkenden“. Jeder Beschäftigte, so der für Personalangelegenheiten zuständige Sprecher Markus Schlesag, sei dazu verpflichtet, Verstöße gegen diese Verhaltensgrundsätze des Konzerns „umgehend anzuzeigen“. In einem solchen Fall leite man „Maßnahmen gegen die für die Diskriminierung verantwortliche Person ein. Die Bandbreite reicht dabei von Abmahnung über Versetzung bis hin zur Kündigung.“