© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

Mit der Geduld am Ende
Integration: Die Einwohner des Duisburger Problemstadtteils Marxloh leiden unter dem Zuzug von Zigeunern aus Rumänien und Bulgarien
Cornelius Persdorf

Zwei kleine Zigeunerjungen sitzen bei warmem Wetter auf einem Stromkasten und verwenden ihn als Trommel. Ihre großen Brüder radeln unterdessen ausgelassen durch die anliegenden Straßen des Duisburger Problemstadtteils Marxloh. Im Wind wandert eine Wolke Plasikmüll über die Fahrbahn. „Zigeuner-Lametta“, nennen die alteingesessenen Bewohner des Viertels dieses Phänomen. Das „Lametta“ liegt zwischen heruntergekommenen Zweckbauten und schwebt vorbei an Gründerzeitfassaden. 

Doch die Balkan-Idylle täuscht: Die Duisburger Stadtverwaltung sieht den sozialen Frieden in Marxloh „massiv gefährdet“. Und die Gewerkschaft der Polizei spricht freimütig von „No-go-Areas“ für Polizisten. Mitte des Monats haben sich anonyme Anwohner in einem offenen Brief zu ihren Lebensumständen geäußert. Sie klagen über Beschimpfungen, Belästigungen und Lärm durch „Rumänen und Bulgaren“, die abends auf der Straße feiern, streiten und schreien. „Und der Müll liegt anschließend auf den Bürgersteigen und Straßen“, heißt es in dem Brief.

Kaum ein Grundschulkind spricht noch Deutsch

Die Strukturdaten des Stadtteils sind deprimierend: Marxloh hat 19.000 Einwohner, davon sind 16 Prozent arbeitslos. Bei Personen mit ausländischen Wurzeln sind es sogar 64 Prozent. 90 Prozent der Grundschulkinder sind der deutschen Sprache nicht mächtig. Der Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag verdeutlicht den Ernst der Lage im Problemstadtteil, die sich durch die aktuelle Einwanderungswelle zusätzlich verschärft.

Bezirksbürgermeister Uwe Heider (SPD) nutzte Merkels Kommen, um mehr finanzielle Unterstützung von seiten des Bundes zu fordern. „Ich fühle mich von der Bundespolitik im Stich gelassen. Bei der Aufnahme an Zuwanderern sind wir in Marxloh längst an der Belastungsgrenze“, sagte Heider der Bild. „Deshalb fordere ich von Frau Merkel mehr Geld aus Bundesmitteln für Länder und Kommunen.“ Dabei bezeugen  bereits jetzt Schilder in den Straßen des Viertels, auf denen von umfangreichen Förderungen durch Bund und Land „im Rahmen des Konjunkturpaketes II“ hingewiesen wird, daß die öffentliche Ordnung offensichtlich nicht nur eine Frage des Geldes ist. 

Von seinem Fenster aus beobachtet Josef V. eine hitzige Debatte einer Gruppe rauhbeiniger Deutscher vor der Kneipe gegenüber. Über die Zukunft seines Stadtteils macht sich der Rentner keine Illusionen. „Es wird immer schlimmer“, seufzt er. Nach sieben Uhr könne er seine Fenster nicht mehr offenstehen lassen. Allabendliches Geschrei, laute Musik auf Marxlohs „Prachtboulevard“ sowie in die Wohnung geworfene Zigarettenstummel und Abfall vermiesen ihm jede besinnliche Abendstunde. „Das Problem sind, ich sach’ mal, die Zigeuner. Die und die jüngeren Türken.“ Seine Zigarette ist verglimmt. „Hier im Haus wohnen Türken, Japaner und Deutsche. Ich komme mit allen gut zurecht. Gibt ja schließlich auch Deutsche, die Probleme bereiten.“ Ein Polizeiwagen fährt gemächlich vorbei, während er redet.  

Immerhin wohnt der 69jährige Rentner nicht direkt im Krisendreieck zwischen Hagedorn-, Henrietten- und Rolfstraße – anders als Elitza M. Die Bulgarin arbeitet in einem Krämerladen mit kyrillischer Aufschrift. „Sie ist unverheiratet, hat keine Kinder“, sagt sie und zeigt auf ihre kaum 20jährige Tochter. „Ich habe nur meine Tochter. Wir arbeiten und kriegen soviel Geld wie die“, sie deutet durch die Glastür auf eine Gruppe Roma. Ihre Beobachtung deckt sich mit dem Mitte des Monats veröffentlichten Bericht der Bundesagentur für Arbeit, nach dem sich die staatlichen Leistungen für Rumänen verdreifacht haben. Elitza M. hat Angst. Die Mittvierzigerin bittet deshalb um Entschuldigung für ihre anfängliche Reserviertheit. Schuld sind nicht die Zigeuner. „Die Marokkaner beobachten und fotografieren uns. Sie reden schlecht über uns: Wir Bulgaren seien schmutzig und nähmen Drogen“, erzählt sie. 

Auch nach Meinung zweier Kurden, die an der Kaiser-Wilhelm-Straße eine kleine Pause einlegen, gerät das Nebeneinander der Kulturen immer mehr zum Gegeneinander. Früher sei der Randbezirk eine vitale Gegend mit schicken kleinen Geschäften gewesen. Davon sind nur wenige Läden übriggeblieben. „Wir leben hier schon seit über zehn Jahren. Seit ungefähr zwei Jahren wird es immer schlimmer mit den Rumänen“, berichten die beiden. „Schlägereien, Lärmbelästigung, Diebstähle. Kein Wunder, daß die Läden an der Hauptstraße alle zumachen“, bedauert Ömer und nestelt an seiner Gebetskette. Seit ungefähr zwei Jahren – zeitlich grob passend zum Inkrafttreten der Personenfreizügigkeit, die vielen Einwanderern aus Bulgarien und Rumänien den Umzug in deutsche Städte ermöglichte. „Mehr Polizei, mehr Ordnung, mehr Ruhe, dafür müßte mal die Politik sorgen“, fordert Ömer. Sein Kumpel erhofft sich von Merkels Kurzvisite nicht viel: „Die müßte mal für drei Wochen hier wohnen, dann erlebt sie mal den richtigen Eindruck von dieser Katastrophe.“ Die Verwendung des Wortes „Katastrophe“ verbindet den leutseligen Anatolier mit dem bulligen Inhaber einer kosovarischen Fleischerei, mit der wortkargen deutschstämmigen Betreuerin des Seniorenpflegeheimes Marxloh und mit dem traurigen Josef V. Alle sind sich einig, daß vor allem die Einwanderung von Zigeunern für den Niedergang des nördlichen Teils von Deutschlands Schmelztiegel verantwortlich ist. Und sie bezweifeln, ob daran die Worte der Bundeskanzlerin oder gutgemeinte Konjunkturprogramme noch etwas ändern.