© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

Höchst einseitig und wenig transparent
Franz Kotteder und Thilo Bode weisen auf vielerlei Gefahren durch das Freihandelsabkommen TTIP hin
Heiko Urbanzyk

Bücher über das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA haben zur Zeit Konjunktur. Immerhin konnten die Gegner des Abkommens mit ihrer „Selbstorganisierten Europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA“ (kurz „Stopp TTIP“) bisher EU-weit mehr als 2,3 Millionen Unterschriften gegen das Unterfangen sammeln. Davon stammen 1,2 Millionen alleine aus der Bundesrepublik. Eine interessierte Leserschaft in sarrazinscher Größenordnung verspricht das allemal. 

Das durch 480 europäische „zivilgesellschaftliche Vereinigungen“ getragene Bündnis ist das erfolgreichste seiner Art in der Geschichte der EU – und wurde durch die EU-Kommission aus rechtlichen Gründen nicht als offizielle Europäische Bürgerinitiative zugelassen. Statt dessen gab es einen 44seitigen „Bürgerfragebogen“, der ohne Expertenwissen nicht zu bewältigen war. 

Man merke daran, daß man in Brüssel mit der Bürgerbeteiligung „keine großen Erfahrungen“ hat, folgert Franz Kotteder in seinem Anti-TTIP-Buch „Der große Ausverkauf“. „Verhandlungen, von denen niemand etwas erfahren darf, deren genauer Wortlaut vier bis fünf Jahre nach Vertragsabschluß noch geheim bleiben soll, keinerlei schriftliche Informationen: Ist das Demokratie?“ Der Redakteur der Süddeutschen Zeitung meint nein. Wo die Bevölkerung herausgehalten werde, gehe es offensichtlich um etwas völlig anderes, als um Wohlstandsmehrung aller. 

Kotteder wittert beispielsweise einen Angriff auf die öffentliche Daseinsvorsorge. Die einst vornehmste Staatsaufgabe könnte unter dem TTIP-Regime künftig ein Handelshemmnis darstellen. Dies sei ganz im Sinne der Wirtschaft. Denn 80 Prozent der Versorgungsdienstleistungen lägen noch in staatlicher Hand. „Gerade bei den öffentlichen Dienstleistungen wäre für Private also noch viel Geld zu verdienen“, schließt Kotteder daraus. 

Öffentliche Daseinsvorsorge droht privatisiert zu werden

Allein die Wasserversorgung könne laut Zahlen der Weltbank in privaten Händen ein Jahresvolumen von einer Billion US-Dollar erreichen; ob Umsatz oder Gewinn bleibt Kotteders Geheimnis. Die Zahl ist dennoch beeindruckend. Im dazugehörigen Kapitel werden geleakte Dokumente präsentiert, nach denen das TTIP-Verhandlungsmandat ausdrücklich die Liberalisierung der gesamten öffentlichen Daseinsvorsorge umfaßt. Private, befürchtet Kotteder, würden bei Ausschreibungen stets die billigsten Angebote unterbreiten können – und die Versorgungsqualität durch ihre Billigheimerei letztlich in den Keller drücken. Etwas skurril ist das Horrorszenario, das Kotteder sich für diesen Qualitätsverlust ausdenkt: Der Leser solle sich vorstellen, ob es künftig noch möglich sein werde, den Mann am privatisierten Postschalter dazu zu bringen, „eine Minute nach Schalterschluß noch einen Brief anzunehmen“. Herr Kotteder muß vor seiner Türe das einzige deutsche Postamt haben, dessen verbeamtete Dienstleister nicht pünktlich die Kassenrechner herunterfahren.

Kotteder habe nichts gegen Freihandel, schreibt er. Dann aber bitte schön zum Wohle aller und nicht nur im Sinne der Konzerne. Dafür müßten allerdings Interessenvertreter sämtlicher Gesellschaftsgruppen mitreden dürfen. Die Abschaffung unsinniger Vorschriften findet Kotteder ebenso erstrebenswert. Aber für letzteres bräuchte es ein so tiefgreifendes Freihandelsabkommen und insbesondere die gefürchteten Investorenschutzklauseln und Schiedsgerichte gerade nicht. 

Das meint auch Thilo Bode in seinem Buch „Die Freihandelslüge“. Ausweislich der Amazon-Verkaufsliste profitiert Bode offensichtlich von seiner Bekanntheit als Gesicht und Chef der Verbraucherschutzorganisation „Foodwatch – die Essensretter“. Platz Nr. 269 unter sämtlichen bei Amazon erhältlichen Büchern macht weit mehr her als der Platz 23.468 von Kotteder. Dabei unterscheiden sich die in den Büchern beackerten Themen zwangsläufig nur marginal.

Bode sieht nicht die Gefahr eines konkreten Abbaus regulatorischer Errungenschaften durch TTIP innerhalb der EU-Mitgliedsländer. Soviel Alarmstimmung herrscht nun auch wieder nicht. Zwar habe die EU ihre eigenen Vorschriften im Gegensatz zu den USA zur Verhandlung freigegeben und im Gegenzug keine Erhöhung der US-amerikanischen Anforderungen verlangt. Was an Schutzstandards in den Bereichen Umweltschutz, Arbeitnehmerrechte usw. in der EU schon existiere, werde wohl trotzdem nicht zwangsläufig gesenkt. Zu erwarten sei künftig hingegen ein „regulatorischer Stillstand“: Mögliche Verbesserungen für Menschen und Tiere würden aus Angst vor Investitionsschutzklagen nicht mehr umgesetzt. Der Status quo wäre eingefroren.

Ein besonderer Dorn im Auge des Soziologen und Volkswirtes Bode ist der geplante Regulierungsrat. Durch TTIP werde mit diesem ein „Supergremium“ eingerichtet, das die Umsetzung neuer Regulierungsvorschriften überwache. Im Regulierungsrat sollen nach Vorstellung des früheren EU-Chefunterhändlers Karel De Gucht die wichtigsten Regulierungsbehörden der EU und der USA vorab über Gesetzesvorhaben beraten, bevor diese überhaupt in die Parlamente kommen. 

Vor allem sollen neben Behörden verschiedene Wirtschaftsverbände mit am Tisch sitzen und Gesetze förmlich mitschreiben können. „Die Wirtschaft wäre von Anfang an in die Vorgänge mit einbezogen, lange vor jeder öffentlichen und demokratischen Debatte“, kritisiert Bode. Besonders pikant ist der Umstand, daß in diesen Vorabprüfungen des Regulierungsrates die USA innereuropäische Gesetzesvorhaben prüfen und bewerten würden. „Die USA wären somit klammheimlich zu einer Art Sondermitglied der Europäischen Union geworden.“

Bode und Kotteder sind trotz ihrer Schlagseite weit vom Populismus entfernt. Ihr Verständnis für Freihandel und Deregulierung wirkt dennoch etwas aufgesetzt. Wer nur ein einziges Buch zum Thema TTIP lesen möchte, sollte zu Bode greifen. Als Kaufargument muß dennoch Kotteder herhalten: Der Protest sei nicht nur die Sache ein paar versprengter Linker und Umweltschützer „auf der Suche nach einem neuen Betätigungsfeld mit Empörungspotential, wie manche konservative Kommentatoren unterstellen“. Stimmt!

Franz Kotteder: Der große Ausverkauf. Wie die Ideologie des freien Handels unsere Demokratie gefährdet. Ludwig Verlag, München 2015, broschiert, 208 Seiten, 14,99 Euro

Thilo Bode: Die Freihandelslüge. Warum TTIP nur den Konzernen nützt – und uns allen schadet. DVA, München 2015, gebunden, 272 Seiten, 14,99 Euro