© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

Er hört sich gern reden
Publizistik: Dem linksliberalen Leitwolf Heribert Prantl quillt die Hypermoral aus allen Knopflöchern
Thorsten Hinz

Zwar kann man die Süddeutsche Zeitung und den ARD-Presseclub links liegenlassen, doch Heribert Prantl entkommen kann man nicht. Denn Prantl, Innenpolitikchef der Süddeutschen und Mitglied der Chefredaktion, ist der linksliberale Leitwolf in der deutschen Presselandschaft und in allen Medien präsent. Weil sogar die Kultursender angehalten sind, ihr Scherflein beizutragen zum Kampf gegen Rechts und Asylfeinde, wird man auch dort von Kommentaren überrascht, die anheben: „Wie Heribert Prantl gestern schrieb ...“ Mit Medien- und Publizistik-Preisen wird er überhäuft. 

Nicht alles, was er schreibt und sagt, ist schlecht und falsch. Seine pointierten Kommentare zum Überwachungsstaat oder zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP sind weniger originell, als er annimmt, doch selbst für Konservative und Rechte partiell bedenkenswert. Prantl ist in seinen beruflichen Ursprüngen kein Dünnbrettbohrer. Darin unterscheidet er sich von so vielen Grünen-Politikern und Zeitungsredakteuren, die moralisierende Umtriebigkeit mit analytischer Schärfe verwechseln. Er ist ein Einser-Jurist, war als Staatsanwalt und Richter tätig und ist zu logischem Denken befähigt. Solange er sie auf die Analyse konkreter Fälle und Probleme beschränkt, sind seine Artikel – bei allem Widerspruch, die sie herausfordern – lesenswert. Leider geht sein Ehrgeiz dahin, der praktischen Politik eine neue Moraltheologie, ein Weltethos, eine Metaphysik der Sitten zu verordnen. Heraus kommt die abgestandene Hypermoral, die bedenkenlose Ausweitung der Familiensolidarität auf die ganze Welt, die Neigung, die politischen Probleme nicht politisch, sondern emotional und ästhetisch zu betrachten.

Wer anders denkt, kann nur ein Unmensch sein

Vor einigen Wochen erschien im Ullstein-Verlag seine Streitschrift „Im Namen der Menschlichkeit. Rettet die Flüchtlinge!“ Der Titel enthält das für Prantl typische hohe Pathos, das die Selbsterhöhung wie die moralische und letztlich politische Erpressung Andersdenkender einschließt. Denn wer anders denkt und redet als der berufene Sprecher der „Menschlichkeit“, kann nur ein Unmensch sein, dem es lediglich zusteht, das Maul zu halten! Angesichts von 750.000 Asylbewerbern, die in diesem Jahr allein in Deutschland erwartet werden, und prognostizierter Milliardenkosten behauptet Heribert Prantl: „Die Europäische Union tötet.“ Sie habe „ein europäisches Flüchtlingsabwehr-Regime“ installiert, das vor allem Deutschland „schonen“ solle. Das Asylrecht – „Die Waffe der Schwächsten“ –sei sukzessive außer Kraft gesetzt worden, und eine „Anti-Asyl-Kampagne (habe) rechtsextremes Gedankengut entstigmatisiert und ein Feindbild präsentiert“. Nicht weniger drohe als der „moralische Untergang eines Kontinents“.

Prantl ruft nach einer „Flüchtlings- und Einwanderungspolitik“, die „gestaltend“ sei und auf einer „Schutzkultur“ basiere. Er fordert eine „Aktion Zugbrücke“, die Einwanderern den Zugang nach Europa eröffne, und zwar in ein Land ihrer Wahl, wo für die Ankömmlinge „umfassend gesorgt (wird): Dort gehen die Flüchtlingskinder in Kita und Schule, dort lernen die Flüchtlinge die Sprache, dort dürfen sie bald arbeiten.“ Natürlich hätten sie Anspruch auf eine „gute Sozialpolitik“ und auf die „Unterbringung in Privatwohnungen“. Entvölkerte Landschaften in Südfrankreich,

Süditalien und Mecklenburg-Vorpommern warteten nachgerade darauf, neu besiedelt zu werden. Er hat von einem Dorf in Kalabrien gehört, wo das geklappt haben soll. „Viele Flüchtlinge sind gut und sehr gut ausgebildet“, teilt er außerdem mit.

Einem 14jährigen würde man dafür auf die Schulter klopfen und ihm ein mitfühlendes Herz attestieren. Von einem etablierten Journalisten jenseits der Sechzig erwartet man mehr. Je weiter man mit der Lektüre fortschreitet, desto dringlicher wird die Erwartung, daß Prantl endlich sein linksliberales Arkanwissen offenbart, mit dem er die Platitüden und Herzensergießungen, die er versammelt hat, zu einem schlüssigen Ganzen ordnet.

Denn zu jedem Punkt, den er aufführt, gäbe es eine Menge zu sagen, aber kaum etwas, das nicht schon hundertmal gesagt worden ist. Vor allem: Wie soll eine Einwanderungsgesellschaft mit offenen Grenzen funktionieren, ohne von Millionenheeren überrannt und praktisch ausgelöscht zu werden? In welche Höhen soll die Steuer- und Abgabenbelastung in Deutschland noch steigen? Überhaupt, wo bleibt die Selbstbestimmung der europäischen Völker? Geradezu neckisch ist die Idee, daß diejenigen EU-Länder, die überproportional viele Zuwanderer aufnahmen, von den anderen einen finanziellen Lastenausgleich erhalten. Deutschland würde damit eindeutig zum Nehmerland, Portugal, Spanien, Irland, Polen usw. zu Geberländern. Hält Prantl das wirklich für realistisch?

Er verfügt über keine tiefen Einsichten, er halluziniert

Die Wahrheit ist: Prantl verfügt über keine tiefen Einsichten, er halluziniert nur. Seine Halluzinationen – nimmt man sie ernst und denkt sie zu Ende – beschwören für Deutschland und Europa jene Zustände herauf, denen die Flüchtenden zu entkommen versuchen.

Warum tut er sich und anderen das an? Ist er ein Saint Just, der sich hinter einer Gandhi-Maske verbirgt? „Die Revolution ist wie die Töchter des Pelias: sie zerstückt die Menschheit, um sie zu verjüngen. Die Menschheit wird aus dem Blutkessel wie die Erde aus den Wellen der Sündflut mit urkräftigen Gliedern sich erheben, als wäre sie zum ersten Male geschaffen“, läßt Büchner den Einpeitscher des Terrors in „Dantons Tod“ schwärmen. Falls Prantl in der Zuwanderung eine demographisch-kulturelle Revolution erkennen will, die den Alten Kontinent erneuert, sei ihm zur Vorsicht geraten: Die Pelias-Töchter fielen auf eine Täuschung der rachedurstigen Medea herein und begingen einen Vatermord.

Prantl hört sich gerne reden. Der moralische Hedonismus, das Gefühl, ein besserer und gottgefälligerer Mensch zu sein als die „ausländerfeindliche Bagage“, über die er sich auch in der Streitschrift mokiert, quillt ihm aus den Knopflöchern. Vermutlich ist seinem Hedonismus auch ein Gran sadistischer Lust an der öffentlichen Demütigung Andersdenkender beigemischt, die über keine vergleichbare publizistische Macht verfügen.

Prantl zitiert die „Internationale“ und Frantz Fanons antikolonialistisches Manifest „Die Verdammten dieser Erde“ und beruft sich auf das „altestamentarische Fremdenrecht“. 1953 geboren, hat er offenbar als Schüler und Student die Romantik der 68er aufgesogen, die den edlen Drittweltler zum revolutionären Subjekt verklärten, das die wohlstandskorrumpierte deutsche Arbeiterschaft ersetzte. Diese Romantik scheint bei dem praktizierenden Katholiken in modifizierter Form auf: Der Flüchtling ist ihm – wie für die glaubensleeren Amtskirchen – zum neosakralen Fetisch geworden.

Der Flüchtling ist ihm zum Fetisch geworden

Der Titel „Im Namen der Menschlichkeit“ schlägt den Bogen zum Ideal der „universellen Brüderlichkeit“, das Julien Benda in dem Klassiker „Der Verrat der Intellektuellen“ (1927) zum Maßstab für den geistig Tätigen erhob. Der „Verrat“ bestand für Benda in der Hingabe an partikulare Interessen und politische Leidenschaften, die er namentlich auf der französischen Rechten verortete. Prantl ist davon überzeugt, dem Ideal zu entsprechen. Doch ist es überhaupt belastbar?

„Wer Menschheit sagt, der will betrügen“, höhnte zur selben Zeit Carl Schmitt, und tatsächlich lassen sich die Beschwörungen eines globalen Humanitarismus in den allermeisten Fällen als Ausdruck politischer Leidenschaften und getarnter Partikularinteressen identifizieren. Heribert Prantl entspricht idealtypisch diesem intellektuellen Rollenmodell des menschelnden Bezichtigers, das Arnold Gehlen in „Moral und Hypermoral“ beschrieben hat. Er gehört zu den Privilegierten, „die die Folgen ihrer Agitation nicht zu verantworten haben, weil sie diese mangels Realkontakt gar nicht ermessen und sich alles erlauben können“. Andererseits sind Agitation, Kritik und Angriff die „einzigen Mittel zur Wirksamkeit (...), die der Intellektuelle überhaupt besitzt“, denn eine Bestätigung dessen, was ohne ihn entstanden ist, würde ihn soziologisch und politisch überflüssig machen.

Im besiegten, halbsouveränen und durch die NS-Zeit moralisch kompromittierten Deutschland war die Hypermoral – als Kritik an vermeintlich fortwirkenden faschistischen, nationalistischen Dispositionen der Deutschen – besonders geeignet, um Wirkung zu erzielen und Ruhm zu ernten. Prantl bleibt dieser Praxis, die ihn zu einer öffentlichen Figur gemacht hat, treu, obwohl ihre zerstörerischen Folgen längst nicht mehr abstrakt sind, sondern buchstäblich vor der Türe stehen. Er ignoriert sie weiter. Andernfalls müßte er Irrtümer eingestehen und sich selber untreu werden, wozu – man denke an den Zusammenbruch der DDR – Menschen jenseits der Sechzig nur ausnahmsweise die Kraft besitzen. Prantl wird also noch einige Zeit als führender Untoter in einer geisterhaften Medienlandschaft umgehen.

Heribert Prantl: Im Namen der Menschlichkeit: Rettet die Flüchtlinge! Ullstein, Berlin 2015, gebunden, 32 Seiten, 3,99 Euro