© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Neuer Anlauf
Marcus Schmidt

Vor genau zwei Jahren beendete der NSU-Untersuchungsausschuß des Bundestages seine Arbeit und präsentierte seinen Abschlußbericht. Darin listeten die Parlamentarier auf 1.357 Seiten zahlreiche Versäumnisse und Pannen der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit der Mordserie an neun türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin auf. Denn am Anfang des im Januar 2012 eingesetzten Gremiums stand die Frage: Warum sind die Mörder solange von den Behörden unentdeckt geblieben?

Nun, zwei Jahre nach Ende des ersten Ausschusses und bald vier Jahre nachdem der mutmaßlich aus den Rechtsextremisten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bestehenden NSU aufgeflogen ist, geht der Untersuchungsausschuß in die zweite Runde. Das kündigte der frühere CDU-Obmann des Gremiums, Clemens Binninger, in der vergangenen Woche an. Noch sei zwar formell nichts beschlossen, die Berichterstatter der vier Fraktionen zu diesem Thema seien sich über eine Neuauflage aber einig. „Wenn die Fraktionsspitzen dem zustimmen, könnte der Untersuchungsauftrag formuliert und beschlossen werden, so daß ein Start Anfang November realistisch wäre“, sagte Binninger der taz.

Die Diskussion über eine Neuauflage des NSU-Ausschusses reicht bis in die Endphase des ersten Ausschusses zurück. Der Obmann der FDP, Hartfrid Wolff, hatte damals unermüdlich eine Fortsetzung der Arbeit des Gremiums nach der Bundestagswahl 2013 gefordert – und war von seinen Kollegen aus den anderen Parteien dafür teilweise hart angegangen worden. Ihr Argument lautete damals, ein neuer Untersuchungsausschuß laufe Gefahr, dem gerade angelaufenen Münchner NSU-Prozeß in die Quere zu kommen. Gleichwohl hatte das Gremium in den Augen aller Ausschußmitglieder mitnichten alle offenen Fragen beantworten können. Und die sind seitdem nicht weniger geworden. Etliche, ganz wesentliche Fragen des NSU-Komplexes seien bis heute noch offen, sagte Binninger. „Die Auswahl der Tatorte durch den NSU, die Frage nach weiteren Mittätern, die Zuordnung von DNA-Spuren, die Geschehnisse am 4. November 2011 in Eisenach und Zwickau, als Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ums Leben kamen, die Frage, warum beim Kassel-Mord ein Verfassungsschützer am Tatort saß und ob die Polizistin Michèle Kiesewetter wirklich ein Zufallsopfer war“, sagte er der taz. All das sei nicht wirklich geklärt.

Daß die Arbeit des ersten Ausschusses dennoch nicht folgenlos war, zeigt sich gerade im Münchner NSU-Prozeß. Dort haben mehrere Anwälte der Nebenklage beantragt, daß sich das Oberlandesgericht nach der Sommerpause mit der sogenannten Schredder-Affäre beschäftigt, bei der nach dem Auffliegen des NSU im Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln Akten vernichtet worden waren. Ans Licht gekommen war dieser Skandal, der Verfassungsschutzchef Heinz Fromm zum Rücktritt zwang, erst durch die Arbeit des Parlamentsgremiums.