© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

„Diese Politik rettet viele Leben“
Mit seiner restriktiven „Stoppt die Boote!“-Strategie hat Australien den Zustrom illegaler Enwanderer praktisch auf null gesenkt. Deutsche Medien geißeln die Maßnahmen als inhuman. Zu Recht? Nein, meint der ehemalige australische Staatsminister Gary Johns
Moritz Schwarz

Herr Dr. Johns, könnte „Stoppt die Boote!“ auch im Mittelmeer funktionieren?

Johns: Gut möglich. Wenn sie bedenken, wie viele Menschen bei der Flucht übers Mittelmeer ertrinken und wie sehr Europa inzwischen unter der Flüchtlingsflut leidet, sollten Sie es versuchen.

Warum hat Australien diese Politik eingeführt?

Johns: Bis 2007 landeten bei uns nur wenige Flüchtlingsboote. Dann aber erleichterte die neue Labour-Regierung die bis dahin eher restriktive Anerkennungspolitik für Illegale, mit der Folge, daß eine regelrechte Bootsflut gen Australien schwappte. Wir mußten lernen: Je mehr wir aufnehmen, desto mehr machen sich auf den Weg, eine Kettenreaktion. Dann gewann die Liberal Party unter Tony Abbott mit dem Motto „Stop the boats!“ die Wahl. Viele meinten, es sei unmöglich, mit einer Null-Toleranz-Politik den Zustrom einzudämmen – aber es hat funktioniert: Gelangten 2013 noch über 20.000 Bootsflüchtlinge nach Australien, waren es 2014 null. 

Wie funktioniert diese Politik?

Johns: Unsere Marine fängt konsequent alle Boote mit Kurs Australien ab und bringt sie dazu, umzukehren. 

Was, wenn die Boote dazu nicht bereit sind?

Johns: Ein solcher Fall ist mir nicht bekannt. Doch würde die Marine dafür sorgen, daß das Boot umkehrt. 

Und wie? 

Johns: Das vermag ich nicht zu sagen. 

Haben sie überhaupt das Recht, Boote in internationalen Gewässern aufzubringen?

Johns: Die Frage war in der Tat Teil der australischen Debatte. Ergebnis: Ja, es gibt keinen Protest dagegen.

Viele der Boote, die im Mittelmeer verwendet werden, sind nicht seetüchtig oder restlos überladen, es wäre unverantwortlich, sie alleine zurückfahren zu lassen. 

Johns: Unsere Kapitäne beurteilen, ob ein aufgebrachtes Boot seetüchtig ist. Falls nicht, bringen sie es zu einer unserer vorgelagerten Inseln und man schickt die Leute von dort zurück. Oder sie lassen sie in Boote umsteigen, die unsere Schiffe extra dafür mit sich führen. 

Ist eine Überquerung des offenen Meeres damit denn sicher?

Johns: Was heißt sicher? Natürlich ist es nicht sicher, in einem Boot übers Meer zu fahren, und ich würde mich dazu ganz gewiß niemals in ein solches setzen! Aber die Leute sind freiwillig in See gestochen. Und ist ihr Boot nicht mehr seetüchtig, bekommen sie eines von uns.     

Räumen die australischen Kapitäne der Sicherheit der Flüchtlinge tatsächlich Vorrang ein oder geht es vor allem darum, die Boote zurückzuschicken, selbst wenn das im Einzelfall eigentlich nicht zu verantworten ist?

Johns: Soweit ich weiß – und ich bin da sehr aufmerksam –, würde die australische Marine kein Menschenleben leichtfertig aufs Spiel setzen. 

Da sind Sie sicher? 

Johns: Ja. Was auch sehr wichtig ist. Denn natürlich ist es eine heikle Situation, da unsere Offiziere in der Tat vor Ort eine Entscheidung treffen, von der das Leben der Bootsinsassen abhängt.

Der Fernsehsender ABC zitiert Flüchtlinge, die behaupten, an Bord eines Schiffes der australischen Zollbehörde verspottet, geschlagen und neben einem bereitgestellten Beiboot ins Meer geworfen worden zu sein. In einem anderen Fall, so ABC, habe man laut Aussage einer Soldatin ein in Seenot geratenes Schiff einfach untergehen lassen.

Johns: Davon ist mir nichts bekannt. 

Wie ist das zu erklären? ABC ist ein australischer Sender.

Johns: Ich weiß nicht, da kann etwas nicht stimmen, denn so etwas liefe in der Tat groß in den australischen Medien.

Selbst wenn Ihre Marine größte Sorgfalt walten lassen sollte, kann sie nicht ausschließen, daß dennoch Boote auf der Rückfahrt sinken. Kostet die „Stoppt die Boote“-Politik also nicht doch Menschenleben?

Johns: Natürlich kann das niemand ausschließen, denn natürlich sinken manchmal auch seetüchtige Schiffe. Das passiert ja sogar verursacht durch Rettungsversuche bei Ihnen im Mittelmeer. Andererseits rettet Australien vielen Menschen das Leben, indem es verhindert, daß sie sich auf eine so gefährliche Überfahrt überhaupt einlassen. Vor der „Stoppt die Boote“-Politik zählten wir mindestens zweitausend Menschen, die beim Versuch unser Land zu erreichen, ertrunken sind.

Ist die Zahl der Ertrunkenen seitdem gesunken?

Johns: Das ist der Fall, nach meinem Wissen ertrinkt nun niemand mehr. 

Das ist kaum glaubhaft, der Sender ABC soll im Dezember von einer „kilometerlangen Leichenkette“ auf See berichtet haben. 

Johns: Entschuldigen Sie, das ist mir nicht bekannt. Und wir haben in Australien eine sehr lebendige Zivilgesellschaft, so ein Fall würde auf große Resonanz stoßen. Wird denn gesagt, daß diese Leute infolge der Handlungen der australischen Marine ertrunken sind?

Nein.

Johns: Dann hat ihr Tod also offenbar  nichts mit uns zu tun.

Mag sein, aber Sie sprachen davon, daß niemand mehr ertrinkt. 

Johns: Ja, nach meinen Informationen ist das so. Sollte dieser Bericht aber tatsächlich stimmen, wären diese Menschen wohl Opfer eben jener Situation geworden, die unsere Politik ja gerade beenden will, nämlich daß sich Menschen überhaupt auf die Reise machen.    

Wenn alles in Ordnung ist, warum hält  die australische Regierung dann Details über die Durchsetzung der Politik geheim?

Johns: Zum einen, weil sie nicht will, daß Schleuser auf diese Weise Informationen über unsere Operationen gewinnen. Zum anderen, weil sie das Thema nicht ständig in den Medien haben will.

Und das halten Sie nicht für kritikwürdig?

Johns: Nein, ich verstehe das.

Berichten zufolge soll die Marine Schleusern sogar Geld gezahlt haben, damit diese die Boote nicht nach Australien steuern. Das wäre allerdings alles andere als der Versuch, die Schleuserringe trockenzulegen. 

Johns: Den Schleusern? Das glaube ich nicht. Das waren wohl die Flüchtlinge selbst, damit sie anderswo hinfahren.

Da die „Stoppt die Boote“-Politik nicht zwischen echten Verfolgten und Wirtschaftsflüchtlingen unterscheidet, schneidet sie auch tatsächlich Asylberechtigten den Fluchtweg ab. Ist das zu rechtfertigen?

Johns: Falsch, denn die meisten Flüchtlinge, die in der Vergangenheit nach Australien kamen, waren aus dem Iran, Irak oder Afghanistan. Sie hatten also bereits etliche Grenzen passiert, bevor sie hier ankamen. Flüchtlinge, die über sichere Drittstaaten einreisen, werden aber auch bei Ihnen nicht anerkannt.

Vielleicht waren die Drittstaaten nicht sicher?

Johns: Die meisten kamen über Indonesien oder über ein anderes südostasiatisches Land. Diese Länder sind sicher.

Zur „Stoppt die Boote“-Politik gehört die Zusammenarbeit mit eben diesen Nachbarländern, denen Australien sogar zig Millionen Dollar bezahlt, damit sie Flüchtlinge zurücknehmen. 

Johns: Die Herausforderung für Europa ist in der Tat, ebensolche Partner etwa in Nordafrika zu finden. Das heißt, Sie müssen eine Politik verfolgen, die diese Länder stabilisiert. Das ist äußerst wichtig.

Auf den Inseln Nauru und Manus unterhält Australien Flüchtlingslager außerhalb seines eigenen Staatsgebietes. Woher kommen die etwa 2.000 Insassen dort, wenn doch alle Boote zurückgeschickt werden? 

Johns: Dabei handelt es sich vor allem um Altfälle von vor Beginn der „Stoppt die Boote“-Politik, die bis heute einer Entscheidung harren. Sowie um einige wenige Leute, die die Marine aufgefischt und dorthin gebracht hat.

Australische Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Unterbringung der Flüchtlinge dort als „unmenschlich“. 

Johns: Die Unterbringung wird auch von australischen Medien kritisiert, tatsächlich aber ist sie besser als alles, was die Flüchtlinge zuvor erlebt haben.

Da kommt ein Untersuchungsbericht der Regierung aber zu einem anderen Ergebnis. 

Johns: Es gibt derzeit eine Untersuchung, ja, aber noch keine Ergebnisse. Sehen Sie, nun wird behauptet, der Aufenthalt dort habe Insassen traumatisiert. Tatsächlich aber hat die Menschen entweder die Flucht traumatisiert oder die Enttäuschung, sich nach all den Gefahren und Anstrengungen nicht in Australien, sondern in diesen Lagern wiederzufinden. Ich kann das verstehen. Und eben deshalb muß man den Leuten klarmachen, daß sie keine Chance auf illegale Einwanderung haben, damit sie sich nicht auf eine solche Reise begeben und eine solche Enttäuschung erleben.  

Erdacht hat „Stoppt die Boote“ die Liberal Party. Würden Sie eine solche Politik denn tatsächlich liberal nennen? 

Johns: Nein, in der Tat. Früher hatte Australien eine liberale Asylpolitik – und sie hat, wie beschrieben, nicht funktionert. Daher war es vernüftig, sie zu ändern, auch wenn sie nicht liberal ist. 

Sie waren Parlamentsabgeordneter und zweimal Minister für die Labor Party, haben sich immer wieder für die Rechte der Arbeiter und der australischen Ureinwohner eingesetzt. Vom deutschen Standpunkt aus ist es überraschend, daß jemand mit einer so linken politischen Biographie wie Sie sich für „Stoppt die Boote“ einsetzt.

Johns: Ich sehe da überhaupt keinen Widerspruch, im Gegenteil. Würde Australien alle Einwanderer aufnehmen die kommen, würden unsere sozialen Systeme kollabieren, und gerade die kleinen Leute wären die Leidtragenden. Übrigens bin ich aus der Labor Party ausgetreten, aber auch sie unterstützt inzwischen ganz offiziell die „Stoppt die Boote“-Politik. 

Wer in Deutschland so etwas vertritt, wird rasch in Verbindung mit Rechtsextremismus oder gar Neonazismus gebracht.

Johns: Im Ernst? „Stoppt die Boote“ genießt in Australien die breite Unterstützung der Bevölkerung. Alles Neonazis? Pardon, aber wer hat denn die Nazis im Zweiten Weltkrieg bekämpft? Waren das nicht liberale Demokratien wie die USA, Großbritannien oder Australien?  

In Deutschland wird „Stoppt die Boote“ fast unisono als inhuman krtisiert. Sie meinen also, das Gegenteil sei richtig?

Johns: Ganz genau! Ich sage, gerade moralisch ist „Stoppt die Boote“ der Politik der Europäer überlegen! Denn sie ist humaner, weil viel weniger Menschen ertrinken als im Mittelmeer. Sie ist fairer, weil jene, die sich an die Einwanderungsgesetze halten, nicht mehr gegenüber Illegalen benachteiligt sind. Ja: Illegal ist unfair! Und sie hat mit „Abschottung“ nicht das geringste zu tun, denn im Gegenzug zu „Stoppt die Boote“ hat Australien gegenüber der Uno zugesichert, jährlich 20.000 Einwanderer aufzunehmen. Das heißt, wir haben unsere Einwanderungsquote sogar noch erhöht.

Sie wollen uns jetzt aber nicht erzählen, Australien habe bei „Stoppt die Boote“ keine eigenen Motive? 

Johns: Wissen Sie, man kann einen Flüchtling aufnehmen – aber nicht eine Million. Was ich meine, natürlich hat die damalige Lage es erfordert, eine Lösung für Australien zu finden. Auch Europa kann nicht alle Armen dieser Welt aufnehmen, selbst wenn es das wollte. Und leider hat Australien etliche schlechte Erfahrungen machen müssen. In den achtziger Jahren etwa haben wir vielen Flüchtlingen aus dem Libanon Zuflucht geboten. Heute müssen wir erleben, daß deren Söhne Teil der Organisierten Kriminalität unseres Landes sind. Früher hatten wir eine liberale Asyl-Regelung. Dann mußten wir erleben, daß die Verfahren von immer mehr Antragstellern lediglich dazu benutzt wurden, irgendwie aufs australische Festland zu gelangen. Und natürlich ist auch wahr, daß wir die Arroganz mancher Flüchtlinge satt hatten, die hier herkamen und nur Ansprüche gestellt haben. Unterm Strich aber bedeutet „Stoppt die Boote“, daß Australien seine Aufnahme von Flüchtlingen auf sicherem und legalem Wege erhöht und seine Aufnahme von Flüchtlingen auf lebensgefährlichem und illegalem Wege reduziert hat. Das klingt für mich nach einer erfolgreichen Politik. Und ich sage Ihnen voraus, wenn Europa alle Flüchtlinge der Welt aufnehmen will, wird Europa untergehen. Denn glauben Sie mir, davon gibt es mehr als Sie verkraften können. 






Dr. Gary Johns, der ehemalige sozialdemokratische Parlamentsabgeordnete, Regierungsberater und zweimalige australische Minister ist Direktor am Australian Institut for Progress (AIP), lehrt an mehreren Hochschulen, plubliziert als Kolumnist der größten landesweiten Zeitung The Australian und veröffentlichte mehrere Bücher, etwa über die Selbstbestimmung der Aborigines und über soziale Gerechtigkeit. Die Aborigines vertrat er außerdem als Präsident der Bennelong-Gesellschaft ein, für letzteres setzt er als Kommissar der Productivity Commission der australischen Regierung ein. Geboren wurde er 1952 in Melbourne. 

„Stoppt die Boote!“

ist das Motto der australischen Regierungspolitik gegen illegale Einwanderung, die diese seit 2013 im Rahmen der Marineoperation „Souveräne Grenzen“ durchsetzt. Begleitet wird sie durch die PR-Kampagne „No Way!“, die multimedial bekannt macht, daß jeder Illegale konsequent zurückgeschickt wird.

Foto: Informationsplakat der „No Way“-Medienkampagne des australischen Ministers für Grenzsicherung: „Gelangten im Jahr 2013 noch über zwanzigtausend Bootsflüchtlinge nach Australien, waren es 2014 null“

 

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