© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

Auf Knopfdruck empört
Pöbelkommentare, Shitstorm & Co: Haben wir in Deutschland verlernt, zivilisiert miteinander zu streiten?
Jo Harpen

Irgendwann in ein paar Jahren werden sich Historiker hierzulande mit der Frage beschäftigen, wann genau wir Deutschen verlernt haben, zivilisiert miteinander zu streiten und gegensätzliche Meinungen auszutauschen.  

Die unbegrenzten Möglichkeiten, die uns Internet und Smartphones verschaffen, haben zu einer Verwahrlosung der Diskussionskultur geführt, die zu Besorgnis Anlaß gibt. Man setzt sich nicht mehr mit einem Gedanken auseinander, man richtet denjenigen hin, der diesen Gedanken äußert. 

Der Schauspieler Til Schweiger hat es gerade erlebt. Der will Flüchtlinge unterstützen, sogar ein eigenes Flüchtlingsheim gründen, weil er findet, daß der Staat zu schwerfällig ist, um angesichts der aktuellen Herausforderungen effektiv zu agieren. 

Seine Auffassung muß man wahrlich nicht teilen, seine Projektidee nicht und schon gar nicht das Verbrüderungs-Tamtam mit dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel. Aber viele Reaktionen darauf im Kurznachrichtendienst Twitter drückten nach Schweigers Ankündigung nichts als offenen Haß aus. Ihm wurde mit öffentlicher Erschießung gedroht und überhaupt, dieser Schweiger, hatte der nicht sogar schon mal Sympathie für Bundeswehrsoldaten und ihre Angehörigen geäußert? 

Wer etwas sagt, das vom Mainstream dieser Gesellschaft abweicht, darf in Zeiten von Internetforen und Sozialen Netzwerken keine Fairneß mehr erwarten. Flüchtlingen helfen, das entspricht dem Mainstream; aber anscheinend nicht, wenn es jemand wagt, wie diese Schweiger. 

Zur Wahrheit gehört allerdings, daß auch Menschen wie der Schauspieler selbst nicht gerade zimperlich sind, wenn sie in den Ring steigen. „Ihr seid zum Kotzen! Wirklich! Verpißt euch von meiner Seite, empathieloses Pack! Mir wird schlecht!“, so antwortete er auf den „Shitstorm“ und lieferte einen Gefühlsausbruch, der sicher auch nicht geeignet ist, zur Versachlichung der Debatte beizutragen.

Es ist heutzutage leicht geworden, aus der Anonymität des weltweiten Netzes heraus Andersdenkende zu schmähen und zu beleidigen. Streitbare Frauen wie die Buchautorin Birgit Kelle („GenderGaga“) und die Organisatorin der Elternproteste in Stuttgart, Hedwig von Beverfoerde, erleben inzwischen sogar massiv, wie ganze Horden von Haß-Aktivisten offenbar mit ihren echten Namen widerwärtige Schmähungen über ihnen ausgießen. Wenn es gegen vermeintlich „Rechte“ geht, gibt es kein Halten mehr. 

War früher zwischen erboster Tirade eines Zeitunglesers und den anderen Lesern noch ein Leserbriefredakteur zwischengeschaltet, um Schlimmstes zu verhindern, so herrscht heute überall offener Kanal. Im Schutze der Anonymität wird ein Haß gepflegt, der jeden Rahmen sprengt. 

Und man darf sich dabei nicht der Illusion hingeben, das seien bloß die üblichen Ausfälle linksgestrickter Zeitgenossen, wie man sie gegen Eva Herman, Thilo Sarrazin oder die AfD-Spitze erleben konnte. Auch in manchen „rechten Milieus“ wird gehetzt, was das Zeug hält. 

Der Kölner Strafverteidiger und bisher in vielgelesenen Internetblogs aktive Kommentator Heinrich Schmitz erlebte das jüngst, nachdem er die Online-Petition „Heime ohne Haß“ öffentlich unterstützt hatte. Er wurde anonym beleidigt und bedroht, und als er vor einigen Wochen mit seiner Frau zu einem Besuch bei der Tochter ankam, fand er diese aufgelöst und zitternd vor, weil die Polizei angerufen und „mitgeteilt“ hatte, ihr Vater habe ihre Mutter ermordet. 

Beamte waren inzwischen angerückt, um das Haus der Familie Schmitz nach einer Leiche zu durchsuchen. Ein anonymer Anrufer hatte sich zuvor telefonisch auf der Wache gemeldet, behauptet, er sei Heinrich Schmitz, und hatte „die Tat“ gestanden. Der Autor hat nun, um seine Familie zu schützen, das öffentliche Schreiben zu politischen Themen aufgegeben. Ein Sieg für den Pöbel, eine Niederlage für die Demokratie.

Auch in vielen Foren der Konservativen wird gegen Andersdenkende mit dem verbalen Knüppel zu Felde gezogen. Das ist um so bedauerlicher, als ein intensiver Meinungsaustausch über Inhalte nötig wäre, um eine beständige politische Kraft im Lande zu bilden. Aber es wird nicht um Meinungen gestritten, es wird denunziert. Es ist nahezu egal, was jemand vertritt oder unternimmt, das Jagdrudel steht immer bereit, sich praktisch auf Knopfdruck zu empören, zu beleidigen und möglichst direkt hinzurichten. Kampf um die besseren Argumente? Das war gestern. 

Die Süddeutsche Zeitung schloß im Jahr 2014 sogar die Kommentarfunktion unter ihren Artikeln im Internet komplett, weil sie es leid war. Online-Redakteure bei Zeitungen und Sendern sind, auch bei der JUNGEN FREIHEIT übrigens, zunehmend damit beschäftigt, persönliche Attacken gegen Andersdenkende und übelste Beleidigungen herauszufiltern. 

Diese Entwicklung kann niemand gutheißen, der an den offenen Diskurs konkurrierender Meinungen als wichtigster Säule des demokratischen Staates glaubt. Und daran ändert auch die negative Erfahrung vieler Konservativer mit politisch linksstehenden Hetzern nichts. 

Ich höre schon diejenigen, die nun sagen werden, daß wir ja sowieso keine Demokratie mehr haben. Ich sage: Doch, die haben wir noch, aber es wird zunehmend schlechter mit der Meinungsfreiheit im Lande, weil an den Rand gebrüllt werden soll, wer nicht den Anforderungen der Politischen Korrektheit entspricht. 

Dem entschieden entgegenzutreten, ohne selbst die Mechanismen des Polit-Pöbels anzuwenden – das wäre eine Herausforderung für uns alle.