© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

Knapp daneben
Wir leben, um zu arbeiten
Karl Heinzen

Seit zwei Jahrzehnten repariert der Kraftfahrzeugmechaniker B. als Angestellter der Stadtwerke Oberhausen Busse. War der Dienstschluß gekommen, konnte er früher pünktlich nach Hause. Dort stopfte er noch schnell die schmutzige Arbeitskleidung in die Waschmaschine, und es war Feierabend. Da er sich selbst um die Reinigung seiner Wäsche kümmerte, erhielt er von den Stadtwerken sogar noch eine Pauschale.

Heute jedoch kümmert sich eine Firma darum, daß frische Arbeitskleidung zur Verfügung steht. Für B. heißt das nicht nur, daß ihm kein „Waschgeld“ mehr zusteht. Er muß auch jeden Tag 20 Minuten länger im Betrieb bleiben, um sich dort umzuziehen und zu duschen. Da die Stadtwerke sich weigerten, diese 20 Minuten als Arbeitszeit anzuerkennen und zu bezahlen, zog B. mit 15 Schicksalsgefährten vor Gericht.

Schlafen, Konsumieren,  Körperpflege: Alles, was wir tun, ist heute auf wirtschaftliche Zwecke ausgerichtet.

Vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf zeichnet sich nun ein Vergleich ab. Jene zehn Minuten, die B. für das An- und Ausziehen benötigt, werden als Arbeitszeit anerkannt. Die zehn Minuten unter der Dusche gelten hingegen als Freizeit. Juristen hoffen aber, daß das Verfahren nicht zu Ende ist, sondern als Musterprozeß vor dem Bundesarbeitsgericht landet. Dieses soll endlich eine Rechtslücke schließen und verbindlich klären, wann und wie lange ein Arbeitnehmer gegen Bezahlung duschen darf, weil dies sein Beruf erfordert.

Die Antwort ist, wenn man nicht von Paragraphen, sondern von der Lebenswirklichkeit ausgeht, einfach. Alles, was wir tun, ist heute auf wirtschaftliche Zwecke ausgerichtet. Wir konsumieren, um das Wachstum anzukurbeln. Wir schlafen, entspannen und halten uns fit, um leistungsfähig zu bleiben. Wir haben Sex, um psychischen Druck abzubauen, der uns von unserem Beruf ablenkt. Wir sehen fern, um Gesprächsstoff für den Schnack mit Kollegen und Kunden zu sammeln. Wir opfern sogar Zeit für Körperhygiene, damit man am Arbeitsplatz keinen Bogen um uns macht. All diese Investitionen dienen nicht nur unserem persönlichen Erfolg, sondern auch dem unserer Arbeitgeber. Wäre es nicht fair, wenn sie dies endlich auch finanziell honorieren würden?